14.000, 12.000, 10.000 Apotheken – wer bietet weniger?

Versicherungsvertreter klappern bekanntlich gern mit dem Sargdeckel, und unsere Standesführung steht dem zwischenzeitlich kaum nach. Gehen in den nächsten Jahren 40 % der Apotheken von der Fahne?

Hochkonjunktur für den Pleitegeier?   © Reinhard Herzog 2024

Die diesjährigen Wirtschaftstage unserer Standesvertreter sparten nicht mit Horrorprognosen. Selbst im „Best case“ sollen, sofern nicht auf den letzten Metern ein Apotheken-Honorarwunder geschieht, in drei Jahren lediglich 14.000 Betriebe am Markt sein (minus 20 %), im Worst case dagegen nur noch 10.000 (deutlich über minus 40 %) – so die eindrucksvolle Botschaft. Das ist schon dick aufgetragen und kann sich mit anderen Untergangs-Apologeten messen lassen.

Im Moment liegen wir mit an die 150 Schließungen je Quartal bei nur wenigen Neueröffnungen stramm auf Kurs „600 + X weniger“ jährlich, wenn man die Zunahme der Betriebsaufgaben zum Jahresende einberechnet. Bis Ende 2027 reden wir bei Beibehaltung dieses im Grunde schon hohen Tempos eher über netto rund 2.000 bis vielleicht 2.500 wegfallende Standorte, womit wir die 15.000er-Marke erreichen könnten. Da Apotheken in vielerlei Verträgen gebunden sind, vornean der Mietvertrag, ist es gar nicht so einfach, vorzeitig zu schließen, selbst wenn man das wollte. Doch wer schließt überhaupt? Besonders im Fokus stehen, neben diversen Randlagen oder etlichen Bilanzruinen z.B. durch übermäßige Festkosten, die immer noch deutlich über 4.000 Filialen.

 

Gefährdete Filialen

Der Autor erinnert sich noch gut, wie man aus prominentem, fachberufenem Mund den Kolleginnen und Kollegen erzählt hat: "Ja, 30.000, 40.000 oder auch 60.000 Euro einfach mal so zusätzlich verdienen Sie nur mit Filialen!" Dass dies damals oft schon nur einer Gewinnmarge von 2 % oder 3 % entsprach und im Grunde zur (prozentualen) Gewinnverwässerung beigetragen hat, wollte kaum jemand hören. Und das fällt jetzt vielen auf die Füße. Rabatteinbußen, Hochpreisereffekte, Personalprobleme, politische Eingriffe – so wird aus 2 % oder 3 % Gewinn ganz schnell die schwarze Null, und wenn es dumm läuft, sogar ein sattes Minus.

Eine Wahrheit zum Thema Apothekenschließungen ist daher eine sich beschleunigende Auskehr von so manchen strukturellen Schieflagen. Bei den niedrig rentierlichen Betrieben, welche man bislang so mitgetragen hat und die noch ein paar Taler eingespielt haben, wird der Aderlass am größten sein. Inhaber werden sich auf ihre tragfähigen Kernbetriebe konzentrieren, und das kann man auch nur dringend empfehlen. Lieber ein stabiles Standbein als mehrere Klumpfüße.

Des Weiteren kippen Hochrisikostandorte und gewagte Geschäftsmodelle. Pflegeheim-Verblisterung mit vierstelligen Bettenzahlen zum Kampfpreis, überbordende Marketingkosten und OTC-Preisaktivitäten, um Kunden schlicht zu kaufen, ein ganzer Bauchladen an Versorgungsbereichen und Sortimenten ohne valide Deckungsbeitragsrechnung der einzelnen Segmente – all das droht jetzt beschleunigt unter die Räder zu kommen. Ebenfalls auf der „Abschussliste“ stehen manch Hochfrequenzstandorte, die in den allgemeinen Abwärtsstrudel der Einzelhandelskrise geraten und zu hohe Festkosten (der Doppelzangengriff aus viel zu hohen Mieten plus lange Öffnungszeiten) aufweisen.

 

Mehr Geld, aber nicht nur

Natürlich ließe sich all dies mit einer höheren Vergütung abmildern, nicht selten aber nur hinausschieben. Grenzwertige Filialen bleiben grenzwertig, etliche Lauflagenstandorte sind aus der Zeit gefallen, was ganz andere Einzelhandelsgrößen zu spüren bekommen. Allenfalls eine drastisch höhere Vergütung von 12,00 € (ABDA-Forderung), 14,14 € (Gutachten Prof. Kaapke der Freien Apothekerschaft e.V.) oder gar 15,00 € (Forderung der VIA – Verband innovativer Apotheken) als künftige Rx-Packungspauschale könnte da in der Tat über einige Jahre hinweg den Niedergang von beinahe jedem Todgeweihten hinauszögern – und nebenbei nicht tragfähige Geschäftsmodelle, siehe oben, konservieren oder sogar neu vitalisieren.

Die Kosten für die Versicherten allein der obigen, erhöhten Fixzuschläge betrügen übrigens 3,3, 5,3 und 6,1 Milliarden Euro (GKV und Privatverordnungen, mit dort zu entrichtender Mehrwertsteuer). Das ist in der gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Großwetterlage wohl illusorisch. Andererseits gilt es durchaus, den gerade in Schwung kommenden Kellertreppeneffekt nicht ausufern zu lassen, was von etlichen Politikern tatsächlich auch gesehen wird. Eine maßvolle Erhöhung des Rx-Fixums auf eine Größenordnung von 10,00 €, wirklich spürbare operative Erleichterungen im Alltag, die Stellschraube Kassenrabatt sowie kaufmännische Freiheiten im Einkauf, neben dem Thema neue Märkte und Betätigungsfelder, hätte schon einen hohen, stabilisierenden Effekt, ohne in abenteuerliche Milliardenkosten auszuufern. Die adäquate Bezahlung zeitaufwendiger, heute noch querfinanzierter Leistungen (Rezepturen, diverse Dienstleistungen, Notdienste u.a.) kostet ebenfalls nicht die Welt, wir reden insgesamt von überschaubar dreistelligen Millionenbeträgen. Manche Leistungen, gerade Rezepturen, würden im Gefolge angemessener Honorierung dann wohl weniger nachgefragt, was aber wenigstens Arbeit spart.

 

Schrumpfungsszenarien

Doch was, wenn auch dies unterbleibt? Was würde das für die Übrigbleibenden bedeuten? Wesentliche Implikationen auf Basis der zu erwartenden Marktentwicklung zeigt Abbildung 1. Immerhin sollten wir, aus heutiger Sicht, in 2028 auf die 70-Milliarden-Euro-Marke beim Branchenumsatz (ohne Spezialversorgung!) zumarschieren. Die bislang rund 900 bis 950 Millionen Kundenbesuche pro Jahr würden sich entsprechend ebenfalls auf die verbliebenen Apotheken verteilen müssen. Durch das Verschwinden gewinnschwacher Apotheken sollte sich die Rendite der verbleibenden Betriebe rein statistisch knapp auf dem heutigen Level stabilisieren können, wir rechnen einmal mit 4 %. Heute fahren Hauptapotheken etwas höhere Renditen als die jüngst berichteten 4,3 % ein, da dieser Mittelwert durch die Filialproblematik und manch „Zombie-Apotheke“ etwas verzerrt wird. Doch es drohen auf der anderen Seite weitere Renditeeinbußen (Einkaufsrabatte, Kostenentwicklung), und die Übergangsphase wird recht holprig mit etlichen Verwerfungen.

Für etliche unserer Vorlieferanten und Dienstleister stehen die Zeichen gleichfalls auf Sturm. IT- und andere direkt von der Apothekenzahl abhängige Anbieter müssten Einbußen hinnehmen oder die Preise entsprechend den geringeren Kundenzahlen nach oben anpassen. Und nicht zu übersehen: Der viel beklagte Fachkräftemangel dürfte sich bei einem derart starken Rückgang der Betriebsstätten in recht kurzer Zeit auf nur noch 15.000, 12.000 oder gar noch weniger in einem anderen Licht darstellen. Womöglich lugt dann das längst vergessene Gespenst der Arbeitslosigkeit wieder hervor, vor allem in den (Uni-)Städten. Bewegte Zeiten stehen der Branche ins Haus. Wenn es nicht doch anders kommt.

 

Abbildung 1: Was verbleibt den übrig bleibenden Apotheken bei mehr oder weniger starkem Einbrechen der Apothekenzahlen ohne weitere Honoraranpassungen?

 

„Du kannst so rasch sinken, dass Du zu fliegen meinst.“  (Marie von Ebner-Eschenbach, Schriftstellerin)

„Apotheken gehen nicht gleich pleite, aber sie hören vielleicht einfach auf zu verkaufen.“ (In freier Anlehnung an die früheren Ausführungen von Wirtschaftsminister Robert Habeck zur Insolvenz von Betrieben)

 

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.