Den Absprung finden
Stay or leave?

Trennungen und Abschiede sind ein allgegenwärtiges, oft schwieriges Phänomen. Wann ist es Zeit, den Ausstieg aus dem eigenen Betrieb ernsthaft ins Auge zu fassen, und wie?

 Stay of leave? (© AdobeStock 392745857_C_Krakenimages.com)

Alles hat seine Zeit, und auch einmal ein Ende – nur die Wurst hat derer zwei … Aber Spaß beiseite: Ausstieg und Nachfolgeregelung gehören zu den anspruchsvollsten Aufgaben, vor denen die allermeisten Inhaber irgendwann einmal stehen werden. Es sei denn, sie lassen es auf die „biologische Lösung“ ankommen, die dann schlicht eines weniger schönen Tages das Aufhören erzwingt, plötzlich-final oder noch mit einer längeren Leidensphase dazwischen.

Zwei Handlungsstränge sollten sich idealerweise zusammenführen lassen. Zum einen die Entwicklung der Motivlage, die zu einem hohen Grad psychologisch bedingt ist: „Keine Lust mehr“, schlichte Erschöpfung, andere Lebensperspektiven gewinnen die Oberhand, man hat „es schlicht nicht mehr nötig“, und vieles mehr, bis hin zu konkreten Beeinträchtigungen. Zum anderen sind es ganz nüchterne wirtschaftliche Erwägungen, die einen Ausstieg nahelegen: Der Betrieb steht im Zenit und bietet ideale Voraussetzungen für einen Verkauf. Oder es stehen umfangreiche Veränderungen und Sanierungsmaßnahmen an, die man selbst nicht mehr schultern mag (und dafür Preisabschläge in Kauf nimmt). Im besten Fall ist einfach die Zeit für den Übergang innerhalb der Familiengenerationen reif.

Einfach so verkaufen?

Doch ist es wirklich sinnvoll, sich von seinem Betrieb zu trennen? Im Grunde gilt hier, wie für alle Beziehungen (und Inhaber zu sein, ist ebenfalls eine Art von teils sehr tiefer Beziehung zur eigenen Firma): Ist diese zerrüttet, sind die elementaren Grundfesten dauerhaft erschüttert, dann führt an einer Trennung kein vernünftiger Weg vorbei. Wer nur noch mit Bauchgrimmen und missgelaunt in seiner Firma, bei seiner Arbeitsstelle oder auch daheim bei seiner Familie auftaucht, sollte Grundsätzliches ändern – entweder an sich, oder eben an der Beziehung.

Gern liegt der Fall aber vielschichtiger. Man könnte schon, aber so richtig Lust hat man doch nicht, und dann ist da der Blick auf die eigene Lebensuhr … Nicht wenige reden sich ihr Altwerden förmlich ein. Wenn man nur innig genug daran glaubt, zum alten Eisen zu gehören, dann wird es auch bald so sein – die „self fulfilling prophecy“. Diesen zweifelnden und unentschlossenen Mitmenschen hilft vielleicht ein Blick auf die nüchternen, wirtschaftlichen Realitäten.

Ein Blick auf die Zahlen

Heutige Apothekenwerte liegen (grundlegende Verkaufbarkeit und Rendite deutlich oberhalb eines kalkulatorischen Unternehmerlohns um die 100.000 € p.a. unterstellt) zwischen einem und eineinhalb Jahres-Roherträgen. Bei Gewinnsätzen, die sich zwischen 20 % und bisweilen noch über 30 % vom Rohertrag (nicht Umsatz!) abspielen, bewegt sich ein realistischer Apothekenwert („all inclusive“) gern bei vier bis sechs Jahresgewinnen. Mit 65 haben Sie als Mann noch gut 20 Jahre, als Frau reichlich 25 Jahre Restlebenserwartung. Gemessen daran sind um die fünf Jahresgewinne nicht viel. Aber es gibt ja eine (gute) Rente, oder? Nun, dann schauen Sie mal, wie die Dynamisierungsraten der Versorgungswerksrenten in den letzten Jahren und Jahrzehnten so aussahen (nicht zuletzt im Vergleich zur gesetzlichen Rente). Vorsicht – es könnte Sie beunruhigen! Zwar gehen Ihre Renten von einem viel höheren Niveau aus, aber dieser Vorsprung schmilzt eben zusammen, doch das ist ein eigenständiges Thema. Jedenfalls kann es ein weiteres Argument sein, ein rentables Unternehmen nicht einfach so für eine Handvoll Jahresgewinne herzugeben.

Was dann? Nun, wie wäre es mit einem Teil-Rückzug? Bauen Sie jemanden auf, aber dergestalt, dass Sie nicht in den baldigen Zugzwang einer Übergabe kommen, die- oder derjenige aber gleichwohl so attraktive Bedingungen vorfindet, dass ein Weggang schwerfiele. Das verlangt eine Menge Feingefühl und die sorgfältige Synchronisation der jeweiligen Lebensuhren (auch für die Co-Chefin oder den Co-Chef läuft ja die Zeit). Aber es kann sich wirklich lohnen.

Schlussbemerkung

„Never change a running system“ gilt auch hier. Im Gegenteil – machen Sie das „running system“ noch besser, indem Sie neue Kreativität und frischen Schwung hinein holen, ohne Ihren Markenkern ganz aufzugeben. Natürlich sollten Sie schon noch etwas Motivation aufbringen, und Ihr Betrieb sollte so substanzstark sein (bzw. ein entsprechend erschließbares Marktpotenzial haben), damit die Rechnung aufgeht. Doch das ist allemal lohnender als das Altenteil, und das wahrscheinlich nicht nur finanziell.

 

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.