Glosse: Kai aus der Kiste

Das ist Eskalation! Während es andernorts tatsächlich knistert und die Welt ruck-zuck am Abgrund stehen kann, macht unsere Standesvertretung inzwischen in Scherzartikeln. Läuft!

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Noch rätselt der Autor, ob die neueste Aussendung der ABDA an gut 110 politische Würdenträger tatsächlich wie Kai aus der Kiste hüpft, in Form eines sich selbst entfaltenden Pop-up-Würfels, oder ob es sich um eine Art Bausatz handelt. Versteht man die Verlautbarungen richtig, sollte es Ersteres sein. Immerhin, das setzt schon fortgeschrittene Papierkunst voraus, bzw. einen kompetenten Scherzartikel-Lieferanten. Als qualitätsbewusster Pharmazeut fragt man sich, wie hoch wohl die Versagerrate sein wird, nein, nicht in Berlin nach Köpfen, sondern wieviele dieser Würfel sich nicht, nur etwas oder eben wirklich plangerecht-vollständig entfalten. Man denke nur einmal an die Imagewirkung, falls ein beträchtlicher Teil bereits hier versagt – und dann mit solch tragenden Botschaften wie:

  • „Apotheken stärken. Jetzt erst recht“. (Jetzt erst recht, wo die meisten der Apotheken-Kunden = Beitragszahler den Gürtel teils beträchtlich enger schnallen müssen?)
  • „Gesundheit statt Mangel.“ (Mangel an was? Wobei ich ja auch finde: Lieber gesund und reich als krank und arm :-)
  • „Vergessen Sie die Apotheken nicht!“ (Na ja, vielleicht sollten die Angeschriebenen die Apotheken einstweilen doch lieber vergessen angesichts solcher Aktionen, bis es vielleicht mal wirklich ernsthaft zur Sache geht.)

 

Ich selbst erinnere mich an die eine oder andere Pop-up-Karte aus Kindertagen, mit damals allerdings regelhaft spaßigen Motiven. Das war ungefähr in den 1970er Jahren. Immerhin, Kittel und letzte Hemden sind ja auch schon auf die Reise nach Berlin gegangen, nebst diversen anderen ABDA-Aussendungen, wohl meist für die Rundablage. Hoffentlich wird wenigstens auf CO2-Neutralität, gute Entsorgbarkeit und Recycling-Fähigkeit geachtet. Doch was kommt als nächstes? Hier eine exklusive Ideen-Auswahl:

  • Pharmazeuten wie auf den Leib geschneidert: Ein Brief mit selbstverständlich völlig harmlos befüllten Steckkapseln, nur in ein Tütchen lose verpackt und eingelegt. Durch die postalische Behandlung ist deren Bruch garantiert. Schriftliche Botschaft dazu: So sieht es aus, wenn am falschen, pharmazeutischen Ende gespart wird. (Ich muss gestehen, dass die Urheberschaft dieser Idee von einer Studierenden aus Tübingen während meiner damaligen, lange zurückliegenden Assistentenzeit stammt. Sie schickte mir tatsächlich ebenjene Kapseln, offenkundig im Praktikum nicht fertig bekommen, in einem Umschlag mit o.a. Ergebnis … und das habe ich bis heute nicht vergessen). Aber Achtung – womöglich Großalarm wegen vermeintlichem Biowaffen-Angriff, Anthrax aus den 2000er Jahren lässt grüßen! Immerhin, so bliebe das jedermann im Gedächtnis, die „Thekers“ als (vermeintliche) Giftmischer. Der mediale Großrummel wäre garantiert.
  • Das Sortiment der Scherzartikel-Branche ist reich bestückt, heute gerne in Kombination mit der Elektronik. Vertonte Karten zum Beispiel, garniert mit optischen Effekten, wie dem zündenden Apothekenblitz. Oder geht dem Empfänger gerade ein Licht auf? Originellen Effekten sind kaum Grenzen gesetzt. Aber Vorsicht wegen Elektronik-Schrott und Öko-Bilanz!
  • Die Wirkung des Duftes: Duftkalender sind zwar ein alter Hut. Die olfaktorischen Wirkungen auf das menschliche Verhalten und die Psyche werden jedoch gemeinhin unterschätzt. Eine Auswahl an Duftkarten: So be…scheiden geht es deutschen Apotheken mit entsprechender Note. „Uns stinkt es gewaltig“ – passend hinterlegt. Oder was ganz harmonisch-liebliches: Warum werden die Apotheken so wenig geliebt? Immerhin – das wäre mal wirklich neu.
  • Selbst das gute alte Telefon bzw. Smartphone bietet viele fröhlich-freche, aufmerksamkeitsstarke Ansatzpunkte. Telefonmarketing-Agenturen wissen dazu mehr.
  • Nicht zu verachten, auch und gerade wenn sie wirklich lustig mit ernstem Kern sind: Apothekenspots für Funk, Fernsehen und Internet (Ansätze gab es schon einmal, aber eben nicht sonderlich lustig). Was sich gerade an bürokratischem Irrsinn in Apotheken abspielt, kann man ohne große filmische Nachbearbeitung ungefiltert senden. Wer von den Älteren erinnert sich nicht gerne an Dieter Hallervorden und die Serie „Nonstop Nonsens“ – nomen est omen – aus den späten 1970er Jahren? Geendet hat das immer mit „Der gespielte Witz“. Revival heute: „Der gespielte Apothekenwitz“  – leider nicht gespielt und bitterer Ernst. Tag für Tag. In noch knapp 18.000 Apotheken, die angesichts dessen verständlicherweise immer weniger werden.

 

Da kann man doch nur sagen: Glückauf bei der (Scherz-)Eskalation! Und dann bitte wenigstens wirklich lustig. Der Alltag ist für die meisten trist und grau genug.

„Man wirkt durch Witz und nicht durch Zauber; und Witz beruht auf Stund' und günstiger Zeit.“ (William Shakespeare)

„Witz ist die Freiheit des Sklaven.“  (Arnold Ruge, deutscher Publizist und Schriftsteller)

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.