Glosse 
Psychedelisches Heimgärtnern - 
Pharmazeutische Biologie neu belebt

Der „Nährwert“ der pharmazeutischen Biologie im Apothekenalltag war bislang eher überschaubar. Das könnte sich dank Karl Lauterbach demnächst ändern. Eine Glosse mit realem Kern.

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Sie ahnen es schon – Cannabis steht mal wieder auf der Agenda. Nun, mit Genuss-Cannabis (was allein schon für eine Wortkreation …) in Fachgeschäften – Apotheken!? – wird es nun erst einmal nichts, von den Modellregionen mit noch völlig unklarer Ausgestaltung abgesehen. Viele Kolleginnen und Kollegen sind im Grunde wohl ganz froh, dass dieser Kelch an ihnen vorbeigegangen ist. Doch ist er das wirklich, insbesondere für jene Minderheit, die eigentlich ganz gerne in dieses Geschäftsfeld eingestiegen wäre? 

Die heimische Fensterbank ruft

Immerhin drei Cannabispflanzen im gleichzeitigen Besitz gesteht man dem erwachsenen „Otto Normalverbraucher“ bzw. der Normalverbraucherin in Bälde wohl zu. In Szene-Wohngemeinschaften reicht das schon für ein reichlich bestücktes Fensterbrett. Fachmann bzw. Fachfrau fragen sich: Was soll eigentlich dabei herauskommen bei so mancher Heimkultur auf dem finsteren Hinterhof-Balkon oder dem Nordost-Fenstersims in Berlin-Marzahn? Die schon heute gern kümmerlichen Zimmerpflanzen an der Grenze zur Pflanzenquälerei und Lebensfähigkeit sind beredte Zeitzeugen dieser desolaten Situation. Es droht viel Qualm für wenig Vergnügen. Allenfalls Lungenfachärzte werden ein „positives“ Resümee beim Blick auf ihre Patientenzahlen ziehen.

Zusätzlich wird nun eine neue Clubkultur gefördert. Der Cannabishandel soll ja, möglichst ausschließlich, in diesen Clubstrukturen stattfinden und nicht mehr profan auf der Straße. Wie viel davon schlichte Wunschvorstellung ist, sei dahingestellt. Auf 500 Mitglieder beschränkt, werden diese Organisationsformen schon eine Wirkmacht entfalten, insbesondere, wenn diese sich wohl durch eigenen Anbau selbst versorgen müssen („Anbaugenossenschaften“). Hinsichtlich Logistik und Beschaffungswegen scheint allerdings bei dem Clubkonzept noch so manches unausgegoren zu sein. Bei einigen hundert THC-hungrigen Mitgliedern stellen sich da etliche Herausforderungen an ein effizientes, wirkstoffoptimiertes Gärtnern.

Renaissance der pharmazeutischen Biologie

Hier kommen die Pharmazeuten ins Spiel. Unsereins hat ja fundierte Kenntnisse zu den diversen Einflussfaktoren bei der Gewinnung von „Arzneidrogen“ sowie der schlussendlichen Aufbereitung zu etwas Wirksamem und qualitativ Hochwertigem quasi mit der Berufs-DNA aufgesogen. Wir wissen um die Relevanz von Kultivierungstemperatur, Licht, Wasser und Düngung, oder können uns zumindest schnell und fachkompetent hineinfinden. Identität, Reinheit, Gehalt, Qualität – unsere Kernkompetenz. Nicht zu vergessen: Mit pharmazeutisch-technologischem Sachverstand macht die Aufarbeitung der heimischen Ernte gleich doppelt Spaß, hier sogar wörtlich zu nehmen!

"Out-of-the-box-Denken"

Bekanntlich sind die momentanen Apothekenzeiten kein Zuckerschlecken. Das erfordert Mut, Fantasie und bisweilen auch ein „Out-of-the-box-Denken“. So manch größerer Kiffer-Club sollte Bedarf an Expertise in Form eines fachlichen Beirats haben. Vielleicht gründet der eine oder andere Mutige aus der Kollegenschaft gar selbst einen solchen Club? Jedenfalls winkt eine Renaissance der pharmazeutischen Biologie in ungekanntem Ausmaß; das bisherige Teedrogengeschäft in der Apotheke kann man doch getrost als „Randsegment“ bezeichnen. Der Anspruch ist zudem ein ungleich höherer: Vom Samen bis zum Top-Endprodukt! Zur humoristischen Einstimmung sei dem einen oder anderen die filmische Kifferkomödie „Lammbock“ aus den 2000er Jahren empfohlen …

Vielleicht besteht sogar eine berechtigte Hoffnung, dass Clubmitglieder nach einigen experimentellen Umwegen als Pharma-Pötschkes den Weg in die leibhaftigen Apotheken finden und sich hinsichtlich ihrer Probleme fachkompetent beraten lassen. Dann greifen sie besser zu etwas Bewährtem aus dem klassischen pharmazeutischen (Phyto-)Sortiment – oder bekommen am besten ihr Leben anderweitig ganz ohne chemischen Krückstock in den Griff! „Dauerferien vom Ich“ und „Rosarot 24/7“ sind eben nicht unbedingt die Lösung der eigenen Lebensprobleme, sondern gern der Beginn einer Abwärtsspirale.

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.