Struktureller Wandel mit Vernunft und Augenmaß

Ran an die "Heiligtümer"? (Quelle: AdobeStock _Vasilev_Evgenii) 

Die „Heiligtümer der Apotheken“ sind die Arzneimittelpreisverordnung – die angeknackst ist, siehe Privatverordnungen im Versand – sowie das heutige Fremdbesitzverbot, welches die vollumfängliche Haftung „mit Haus und Hof“ sowie sehr eingeschränkte Möglichkeiten bei der Betriebsform nach sich zieht. Bis heute stoppt jeder Politiker ein Aufbegehren des Berufsstandes zuverlässig, indem er diese beiden Säulen auch nur leise zur Diskussion stellt. 

Doch tragen diese Säulen überhaupt noch, und passen die heutigen „freiberuflichen“, in Wirklichkeit eben auch einengenden und zunehmend risikobehafteten Strukturen weiterhin in unsere Apothekenlandschaft? Einer Landschaft, in welcher wir neben kleineren Betrieben mit einer Handvoll Mitarbeitenden Filialkonstruktionen im umsatzmäßig deutlich zweistelligen Millionenbereich mit bisweilen 50 oder gar noch viel mehr Beschäftigten haben? Wer möchte hierfür noch die alleinige persönliche Haftung übernehmen, bei diesem Grad an politischer Fremdbestimmung? Und wer möchte sich auf der anderen Seite noch in einer kleineren Apotheke als Inhaber aufopfern, nur um sich zwar selbstständig nennen zu dürfen, aber eben von politischen Gnaden und für eine Einkommensperspektive, welche auf die eingesetzte Arbeitsleistung gerechnet immer häufiger nicht mehr attraktiv ist?

Ja, eine Honorarerhöhung würde das alles auf einen Schlag lösen. Wirklich? Natürlich hilft mehr Geld, aber eben nicht allein. Der Blick zu den Ärzten zeigt: Selbst mit großen Anreizen und guten Einkommensperspektiven bleiben viele Arztpraxen vor allem auf dem Land unbesetzt. Unabhängig vom Geld möchte man sich dieses „Hamsterrad“ nicht mehr antun. Eine berufsständische Strukturpolitik muss das auf dem Schirm haben.

Der Verband innovativer Apotheken (via e. V.) schlägt in seinem „5-Punkte-Plan“, neben einem 15 Euro betragenden und laufend dynamisierten Rx-Fixhonorar, die wohl bislang in der Fachdiskussion weitestgehende strukturelle Öffnung vor: Die Betriebsform der GmbH mit allerdings Apothekern als alleinigen Gesellschaftern, sowie die Erweiterung der Filialen auf sechs Betriebe pro Inhaber. Weitere Vorschläge beschäftigen sich mit innovativen Versorgungs- und Präventionskonzepten, zudem werden Vergütungen für das Inkasso von Zuzahlungen und Herstellerrabatt sowie das Management von Lieferengpässen angemahnt. Eine Rezept-Direktabrechnung wird ebenfalls für sinnvoll erachtet.

Die Richtung scheint vorgegeben: Mehr Handlungsmöglichkeiten und Freiräume eröffnen, Zusammenschlüsse und neue Formen der Kooperation erleichtern, Risiken (vor allem externer bzw. politischer Natur) minimieren. Es zeichnet sich ab, dass es weiterhin auf größere, leistungsfähigere und wirtschaftlich potentere Strukturen hinauslaufen wird, die nebenbei als Arbeitgeber attraktiver sind. Natürlich stellt sich immer drängender die Frage, inwieweit wir in (Prä-)Kettenstrukturen hineinlaufen, zumal in Familienverbünden. Und irgendwann wird der wachsende Kapitalbedarf mehr auf ein (möglicherweise mitbestimmendes) Fremdkapital schielen lassen. Unbestritten dürfte sein, dass Apotheken am Ende immer von Apothekern verantwortlich geleitet werden müssen. Ein Elektrohandwerksbetrieb wird ja auch nicht vom Dachdecker geführt. Hier dürfte der politische Rückhalt groß sein. Sprich: Die Zeichen stehen auf Öffnung – mit Vernunft und Augenmaß. „Liberalisierung“ ist kein Selbstzweck oder gar eine Ideologie, sondern ein Mittel, gesundheitspolitische und patientenorientierte Ziele sowie die Bedürfnisse der „Leistungserbringer“ näher zusammenzubringen. Liberalisierung bedeutet nicht grenzen- und ordnungslos.

Die dümmste Variante wäre, in einer politischen Nacht-und-Nebel-Aktion (bei Koalitionsverhandlungen ja nicht unüblich) einen Strukturbruch übergestülpt zu bekommen, bei welchem man sich dann nur noch in Schadensbegrenzung üben und die Scherben zusammenkehren kann. Um mit Konfuzius zu sprechen: „Ein vornehmer Mensch tadelt sich selbst, ein gewöhnlicher die andern.“ Und so gilt es, die eigene Linie und Vorstellung von der freiberuflichen Selbstständigkeit frühzeitig zu hinterfragen. Schnell wird man ansonsten von der Realität überholt, nicht zuletzt von der Lebensrealität und den Wünschen der eigenen Kolleginnen und Kollegen. 

 

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Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.