2.000 Euro für einen Apotheken-Notdienst -
Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Von den Reichen (Schwaben!?) kann man sparen lernen - und das Geldverdienen."
Ein Rechenexempel von Prof. Reinhard Herzog.
(AdobeStock_contrastwerkstatt)
In Baden-Württemberg ist man unlängst vorgeprescht und hat seitens der Apothekerkammer annähernd 2.000 € für einen üblichen Apotheken-Notdienst aufgerufen – und gleich ein Excel-Rechenblatt dazu geliefert, mit welchem jeder diesen beachtlichen Betrag individuell auf Euro und Cent nachrechnen kann. Nun, man residiert schließlich in Stuttgart, und Stuttgart ist nicht nur Landeshauptstadt, sondern auch Schwaben-Hochburg. Da schaut man schon genauer auf das Geld, denn wie heißt es doch: „Von den Reichen (Schwaben!?) kann man sparen lernen – und das Geldverdienen.“
Wir sind in der neuen Ausgabe, die am 15. Juni erscheint, durchaus zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Da braucht man gar kein Rechengenie zu sein: Man teile den Jahres-Rohertrag durch die Zahl der dienstbereiten Stunden, und man hat eine erste Peilung, was dann auch in einem Notdienst rechnerisch gewinnbringend „rumkommen“ müsste. Günstiger wird es, wenn man mit einem dem Notdienst angepassten Personaleinsatz und lediglich kostendeckend rechnet (wovon freilich niemand leben kann). Selbst dann bräuchte man deutlich über 100 € Rohertrag je Notdienststunde, die ganze Nacht hindurch. Das erreichen selbst mit 500 € Zuschuss aus dem Notdienstfonds nur wenige vorrangig in größeren Städten, insbesondere an Sonn- und Feiertagen.
Was ist also die Konsequenz? Mehr Honorar, mehr Zuschuss, was denn sonst! Nehmen wir die 2.000 € (übrigens netto) einmal als Messlatte, dann wären für rund 350.000 Notdienste im Jahr 700 Millionen Euro fällig, plus Mehrwertsteuer für die Kostenträger. Abzuziehen sind die Erträge aus den Verkäufen in dieser Zeit, was überschlägig jedoch nur um 100 Mio. € ausmachen dürfte. Es bliebe also ein Zuschussbedarf von 600 Mio. € netto, mithin 1.700 € je Dienst und damit 1.200 € mehr als aktuell. Statt 0,21 € müssten eher 0,75 € je Rx-Packung in den Not- und Nachtdienstfonds fließen. Eine höhere Kunden-Notdienstgebühr erschöpft sich angesichts von 7 bis 8 Mio. Inanspruchnahmen jährlich (laut ABDA-Zahlen für 2023) rasch. Stramme 15 € brutto obenauf zu heute wären weitere rund 100 Mio. €. Offen bleibt, wie sehr das abschreckt, sodass die Inanspruchnahme niedriger und die Preise je Kunde entsprechend noch höher ausfallen würden. Das kann man alles im Detail rechnen und dann centgenau auf die „Wunschliste an den Weihnachtsmann“ setzen, denn das nächste Weihnachten steht schneller vor der Tür als man denkt.
Zu viel Sarkasmus? Nun, man kann zwar viel in der Theorie rechnen, am Ende steht der Realitäts-Check. Wie viele wirklich ernste Notfälle versorgt eine Apotheke? Es dürfte eine sehr überschaubare Zahl sein, ein kleiner Bruchteil der oben angeführten Kundenzahlen. Da kalkuliere man einmal die Kosten für einen solchen Notfall – und vergleiche. So gibt man z. B. in Bayern für die ärztliche Notfallversorgung etwa 7,60 € je Einwohner aus, deutschlandweit hochgerechnet wären das knapp 650 Mio. €, weniger, als die Wunschvorstellung der Apotheken. Notärzte erhalten übrigens etwa 25 € bis 30 € zusätzlich je Stunde Bereitschaft, und für einen Einsatz werden z. B. in Bayern nochmal rund 100 € fällig. Da dürfte es schwerfallen, gute Argumente für einen 2.000 €-Apothekennotdienst zu finden. Günstigere Alternativen lägen bei solchen Preisen auf der Hand, so ein begrenztes Notfall-Dispensierrecht der Ärzte oder spezielle Lieferdienste, vielleicht auch Dispensierautomaten.
Grundsätzlich erscheint es zunächst sinnvoll, Leistungen für sich zu betrachten und betriebswirtschaftlich tragend zu kalkulieren. Eine weitere Baustelle täte sich bei den Rezepturen auf, die einen Ertrag von mindestens 40 € einbringen müssten. In der Folge würden sie nochmals erheblich weniger verordnet, womit selbst diese 40 € nicht mehr hinkämen. Am Ende stünde das Labor an sich für nur noch eine Handvoll Rezepturen infrage. Womöglich käme gar das Rx-Honorar auf den Prüfstand, man erinnere sich an das seinerzeitige 2hm-Gutachten: Festzuschlag runter, dafür die Einzelleistungen hoch. Und vergessen wir nie: Leistungen, die (zu) teuer sind, werden ausgedünnt, durch andere Versorgungsformen ersetzt oder schlicht gar nicht mehr nachgefragt. Für Phantomleistungen wird jedoch niemand hunderte Millionen Euro bezahlen. 2.000 € für einen Apotheken-Notdienst? Ein schöner Traum, im Versorgungs-Kontext aber kaum zu rechtfertigen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.