Dreistellige Milliardenlücken - na und?
Prof. Dr. Reinhard Herzog

Lässt sich die große Einnahmenlücke
mit Mist vom Kleinvieh schließen?
(AdobeStock_schiers_images)
172 Milliarden Euro beträgt nach neuesten Schätzungen die Finanzlücke der öffentlichen Haushalte allein von 2027 (34 Mrd. €) bis 2029 (dann bereits 74 Mrd. €), mit allen Prognose-Unsicherheiten. Außen vor bleiben die schuldenfinanzierten Sondertöpfe für Infrastruktur und Klimaschutz, welche sich über 12 Jahre strecken sollen und 500 Mrd. € umfassen. In der Rahmenplanung für die nächsten Jahre sind im Bundeshaushalt nur dafür knapp 60 Mrd. € jährlich vorgesehen. Die Rüstung profitiert bis 2027 noch vom „Sondervermögen“, beschlossen 2022, in Höhe von 100 Mrd. €, dem rasch weitere Zuwächse folgen sollen. Für 2029 stehen reine Rüstungsausgaben von gut 150 Mrd. € im Raum (2025: 86 Mrd. €). Noch gar nicht thematisiert sind die steigenden Defizite der Sozialkassen und die Frage, was davon über immer erdrückendere Beiträge und was über Steuern finanziert werden soll. Wir wissen zudem nicht, was uns aus den internationalen Krisen heraus noch alles blüht.
Reden wir Klartext: Es klafft eine Einnahmelücke um 100 Mrd. € jährlich, und das ist angesichts der oben skizzierten Größenordnungen mittelfristig schon sehr optimistisch. Da muss der Wirtschaftsmotor gehörig auf Touren kommen, um diesen Fehlbetrag nicht größer werden zu lassen. Bleibt also die Frage: Wie bekommt man 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Staatskassen? Ein kleiner Blick in den Instrumentenkasten, wie der Staat noch effektiver zulangen könnte – bei einem Gesamtsteueraufkommen in der Republik von rund 940 Mrd. € in 2024.
Am einfachsten dreht man die Steuerschraube beim Konsum, Mehrwertsteuer vornean. Die erbringt rund 300 Mrd. € und ist nach der Lohn-/Einkommensteuer (427 Mrd. € in 2024) die ergiebigste Quelle. Durchgehend 1 %-Punkt mehr dürfte um 17 bis 18 Mrd. € einspielen. Man könnte alle zwei Jahre um einen Prozentpunkt erhöhen bis in die Gegend von 25 % bzw. 12 % ermäßigt, ohne dass dies zu übermäßigen Belastungen führen würde – und hätte die fiskalische Lücke schon sehr deutlich verkleinert. Komplizierter wird es, wenn man am Einkommensteuertarif dreht. Tatsache ist, dass ein Prozentpunkt mehr beim Spitzensteuersatz nur einen sehr niedrigen, einstelligen Milliardenbetrag einbringt. Große Fässer kann man beim Griff in die Vermögen der Bürger aufmachen, welche um 20 Billionen Euro betragen (Geld- und Immobilienwerte). Anders als gern proklamiert macht hier die Breite der Erhebung den Erfolg: 10 % Erbschaftssteuer auf alles ohne hohe Freibeträge und zusätzlich eine Art „Geldsteuer“ von vielleicht einem Promille auf alle Vermögen und Geldkonten würden niemanden wirklich schmerzen,aber in der Summe winken sehr deutlich zweistellige Milliardenbeträge. Spannend wird Letzteres, wenn erst einmal Digitalwährungen Einzug halten.
Kleinvieh macht übrigens auch Mist: Würde das „Heilix Blechle“ mit im Schnitt 100 € pro Fahrzeug mehr Kfz-Steuer belegt, wären das 5 Mrd. €. Ein Cent mehr Mineralölsteuer macht 0,7 Mrd. €. Manch Milliarde ließe sich aus den Dunstkreisen von Zigarettenqualm und Alkoholfahnen in Form höherer Steuern herausholen, mit einem gewissen Gesundheitseffekt obenauf. Und 30 % statt 25 % Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge bedeuten gut 3 Mrd. €.
Man sieht: Es gibt einigen Spielraum bei den Steuereinnahmen, ohne Einzelne über Gebühr zu belasten. Zusätzlich 1.500 € bis 2.000 € p. a. im Schnitt für jeden Erwachsenen wären es jedoch. Die Masse macht‘s. Volkswirte werden monieren, dass das Geld dann woanders im Wirtschaftskreislauf fehlt oder eben umverteilt wird. Doch sind die Schulden von heute die Steuern und Lasten der Nachfolgenden von morgen – plus Zinsen, deren Anstieg 2026 bis 2029 von 30 auf 67 Mrd. € erwartet wird. Hier können wir zurückschalten, indem wir Einnahmen und Ausgaben frühzeitig ins Gleichgewicht bringen. Wer nun meint, sich an den (vermeintlich) Faulen und Armen gesundsparen zu können, schaue auf die nüchternen Zahlen, wenngleich der Sozialstaat fraglos aus dem Ruder läuft. Es gäbe jedoch tatsächlich einen richtig großen Hebel: Vernunft und Frieden statt Konfrontation! Leider reicht es nicht, wenn nur eine Seite diese Erkenntnis hat. Aber wir sollten daran arbeiten, denn wir haben zu viele andere Großbaustellen in unseren alternden Gesellschaften, übrigens in West wie Ost.

Prof. Dr. Reinhard Herzog
Apotheker
Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.