Versandhandel und manches mehr:
Wir verbieten uns einfach die Welt schön

Prof. Dr. Reinhard Herzog

 

Zwei Straßenschilder mit verschiedenen Mehrwertsteuerangaben zeigen in entgegengesetzte Richtungen

Was hilft uns mehr gegenüber dem Versand: Verbote oder Wettbewerbsfähigkeit?
(AdobeStock_Jer)

Passend zur Jahreszeit erscheint der nächste Verbotsstreich am Horizont. Baden in größeren Flüssen, vor allem Rhein und Ruhr in Nordrhein-Westfalen, soll verboten werden. Ohne Frage ist Schwimmen in Freigewässern nicht ohne Risiko (gut 400 Menschen ertrinken jährlich in der Republik), dennoch ist das ein weiterer Schritt auf dem Weg in den Null-Risiko- und Vollkasko-Bemutterungsstaat. Ausbaufähig dazu – mit größeren Flüssen fängt es an, enden tut es am heimischen Badesee. Ein Badeverbot auf „Malle“ würde dort auch wirksam den Touristenstrom eindämmen, dessen man zunehmend überdrüssig ist. Eine ausgeprägte Verbotskultur entwickelt wie vieles andere, was von oben herab administriert wird, eine ausgeprägte Eigendynamik.

Messerangriffen kommt man bei, indem man sie einfach im öffentlichen Raum verbietet. Fruchtet das erwartbar nicht, wäre über Essstäbchen und eine Anpassung der Esskultur nachzudenken, auf dass man den Messern weitestgehend und flächendeckend den Garaus machen kann. Vielleicht kann China da etwas Entwicklungshilfe leisten. Drogen verbieten wir traditionell ebenfalls (und demnächst wieder mit wachsender Wonne), obwohl – ist da nicht immer noch was mit Alkohol und Zigaretten? Dafür arbeiten wir uns an Lachgas, GHB und Cannabis ab. Das eine oder andere OTC-Arzneimittel (Dextromethorphan!) steht gleichfalls schon auf der Watchlist. Wer Risiken sucht, der findet – analog dem alten Ärzte-Bonmot: „Wer gesund ist, wurde nur noch nicht gründlich genug untersucht.“ Sicher, man kann das Ideal einer drogenfreien Welt vertreten. Dies dann aber durchzusetzen (z. B. durch ein kontinuierlich-flächendeckendes Drogenmonitoring, wozu die Technik heute in der Lage wäre), dazu reicht der Gratis-Mut dann doch nicht – Überwachung, gläserner Bürger und so. Obwohl genau das auf leisen Sohlen und Schrittchen für Schrittchen doch kommt.

Ja, man kann sich die Welt schon schön zurecht verbieten: Geheiligt sei die Sicherheit, zumindest deren Illusion. Zwar sterben die Menschen (nicht zuletzt durch unser Unvermögen und unser Zaudern) nicht allzu weit weg zu Abertausenden in sinnlosen Kriegen, aber wir verbieten – Lachgas. Oder das Baden im Rhein. Zum Lachen?

Bis hierher werden die meisten schmunzelnd-staunend mitgehen, doch nun kommen wir zum unangenehmeren Teil, der nämlich konkret uns als Apotheker betrifft. Wie schön könnte die Apothekenwelt doch sein – ohne Versand, mit regelmäßiger Honorarerhöhung angelehnt an die Beamtenbesoldung, ein striktes Verbot jedweder fremder Einflussnahme, vielleicht sogar eine Bedarfsplanung, und das am besten in einem Jahrhundertvertrag beinahe auf ewig garantiert. Hach, wie toll könnte das alles doch sein – und es ist nur ein paar Paragrafen entfernt, plus einen entsprechenden politischen Mehrheitswillen. Wäre das hübsch – für nicht mal mehr 13.000 Inhaberinnen und Inhaber, indirekt vielleicht für viele Angestellte, wobei Letzteres schon gar nicht mehr so klar ist. Würden die nicht auch (oder gar lieber) für große Drogeriemärkte, EDEKA, Rewe und Co. arbeiten wollen, falls diese ungehemmt in den Arzneimittelmarkt eindringen würden?

Ja, man kann plausibel darlegen, dass der Versandhandel die hiesigen Apotheken ein gutes Stück weit verdrängt (siehe Seite 4 f.). Es gibt gute Gründe, die Wettbewerbsbedingungen zu hinterfragen. Man kann die nationale Karte spielen: Was haben unsere Umsätze in Holland verloren? Man kann sich auf den Nimbus der „Arzneimittel als Waren besonderer Art“ stützen – denn sonst stellt sich schnell die Frage, warum das nicht auch für Autos, Rohstoffe, Textilien usw. gelten sollte.

Wettbewerb, gerade internationaler, hat das Land stark gemacht. Davon zehrt der Sozialstaat, dessen Teil wir sind. Wäre es nicht sinnvoller, unser Apothekenwesen so aufzustellen, dass wir wettbewerbsfähig sind, selbst gegenüber dem Versand, wozu es freilich faire Spielregeln für alle braucht, aber auch eine Menge Entschlackung und Vereinfachung des Apothekenalltags? Wir sollten uns diese Fragen nicht zu einfach machen. Denn selbst aus einem (hier stets fremdbestimmten!) Paradies kann man rasch wieder vertrieben werden, wenn es nicht mehr finanzierbar ist. Mehr stärkende Freiheit wagen, könnte am Ende klüger sein.

Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.