Wiederauferstehung aus intellektuellen Ruinen?

Raus aus dem Krisenmodus - ein Hoffnungsschimmer?
(AdobeStock_Alexej)

„Wenn du weise bist, mische diese zwei Dinge: Hoffe nie ohne Verzweiflung, und verzweifle nie ohne Hoffnung!“ So drückte es schon Seneca der Jüngere vor 2.000 Jahren aus. Schaut man auf die aktuellen Fakten, dann war die Lage selten – positiv gewendet – anspruchsvoller als heute. Wir haben nicht nur eine billionenschwere Großbaustelle, wir haben eine ganze Handvoll: Den Themenkomplex äußere und innere Sicherheit, den Umgang mit Kriegsfolgen im näheren und weiteren Umfeld (das reicht über die Ukraine hinaus, z. B. in den Nahen Osten und weitere Teile Afrikas), die Transformation der Wirtschaft, was zwischenzeitlich weit über die Klimathematik hinausreicht (Stichworte Künstliche Intelligenz, die Neuausrichtung der Globalisierung, Innovationsrückstände), und nicht zuletzt die Verschiebung unserer demografischen Statik im Land und in ganz Europa. Das fragile Osteuropa ist hier in einer nochmals schwierigeren Lage; bei Licht betrachtet sind viele Länder dort faktisch erledigt, bei einem drohenden Verlust von 40 % bis 50 % der Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten. Da mag man als Einzelner die beste Alternative darin sehen, schlicht den Koffer zu packen – und dann: nichts wie weg, weit weg!

Als Blaupause für ein künftiges Gesellschaftsmodell taugt dies freilich nicht. Da kommt der eingangs zitierte Seneca wieder ins Spiel: Die Lage ist ernst, aber ist sie auch hoffnungslos, gar aussichtslos? Hoffnungslos und aussichtslos sind zweierlei Dinge. Das eine haben wir selbst in der Hand, das andere sind Fakten. Halten wir uns an die Fakten, welche die Grundlage für die Hoffnung legen können. Und da steht die Botschaft: Rein (natur-)wissenschaftlich spricht nichts dagegen, in allen Bereichen die Kurve zu bekommen. CO2 – ein Schad- wie übrigens auch Rohstoff – ist in erster Linie ein technisches Thema und ließe sich in den Griff bekommen, ohne die Gesellschaft auf den Kopf zu stellen, wenn man denn einmal Ideologie durch Intelligenz ersetzte. Das liegt an uns selbst.

Noch einfacher sollte es beim Thema Krieg und Frieden sein, denn: „Es gab nie einen guten Krieg oder einen schlechten Frieden“ (Benjamin Franklin, US-Gründungsvater). Und bereits im alten Griechenland wusste man: „Es genügt nicht, einen Krieg zu gewinnen; wichtiger ist es, den Frieden zu organisieren“ (Aristoteles), zumal „alle Kriege nur Raubzüge sind“ (Voltaire). Wenn allerdings die medialen Maschinen der Meinungsmache auf Hochtouren laufen, unter Verschweigung so mancher Versatzstücke in den Erzählungen, wird es schwierig mit der Vernunft. Da wir allerdings als komfort- und wohlstandsverwöhnte, dabei kampfentsagte Gesellschaft viel zu verlieren haben, besteht dennoch mehr als nur Hoffnung.

Die Weltkarte lässt sich zudem ökonomisch neu vermessen. Warum das Wohl vieler Industriezweige auch künftig noch an einem fernen China (ersatzweise Indien?) hängen soll, welches inzwischen selbst Industrienation ist, erschließt sich nur schwer. Sind wir in Europa samt angrenzenden Regionen nicht ein auskömmlicher Markt, jedenfalls für die Produkte, bei welchen es nur um schnöde Fertigungskosten geht? Hier gilt es, Preisgefüge und Wertigkeiten neu zu justieren, nicht zuletzt im Pharmasektor.

Nichtsdestotrotz müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen. Immer höhere Einkommen für gleiche, oft geringere Leistung können nicht dauerhaft aufgehen. Wir können zwar weiter den Weg des Bewahrens gehen und ineffektive, kaum zukunftsfähige Strukturen letztlich durch direkte oder indirekte Subventionen und Staatseingriffe konservieren: „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ – statt Leistung und Innovation. Oder schlimmer: Stellen mit „negativer“ Wertschöpfung, sprich Verhinderungs- und Hilfsbremserposten in Verwaltungs- und Überwachungsinstitutionen immer weiter ausbauen, sodass unter dieser Glocke kaum mehr etwas gedeiht. Auch das Gesundheitswesen ist hier adressiert – (zu) personalintensiv, aber hinsichtlich Sachinvestitionen unterkapitalisiert und unterautomatisiert.

Es wird sich einiges ändern müssen, und so manche Komfortzone wird sich nicht halten lassen. Wer sich diesen Erkenntnissen verweigert, der versündigt sich an der Zukunft. Erste Signale deuten darauf hin, dass dies zunehmend verstanden wird – und das stimmt vorsichtig hoffnungsfroh.

Prof. Dr. Reinhard Herzog

Apotheker

Apothekenexperte, Fachautor und seit 1993 Lehrbeauftragter an der FH Sigmaringen im Studiengang Pharmatechnik – und dort seit 2020 Honorarprofessor. Herausgeber und langjähriger Autor des AWA.