Gesundheitsfonds im Fokus

Drei Fragen an Prof. Dr. Jürgen Wasem


Dr. Christine Ahlheim

Prof. Dr. Jürgen Wasem ist Inhaber des Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftungslehrstuhls für Medizinmanagement der Universität Duisburg-Essen.

?Zu welchen gesundheitspolitischen Entwicklungen wird es nach Ihrer Einschätzung im Vorfeld der für den 1. Januar 2009 geplan-ten Einführung des Gesundheitsfonds kommen?

Im Augenblick würde ich die Wahrscheinlichkeit, dass der Gesundheitsfonds kommt, auf 70% bis 80% einschätzen, also sicher bin ich mir noch nicht. Denn die Festsetzung des Beitragssatzes durch das Ministerium sorgt sicher für Streit in der Koalition. Im Übrigen wird jede Krankenkas­se versuchen zu vermeiden, dass sie im Jahr 2009 eine Zusatzprämie erheben muss. Die Kassenmanager rechnen damit, dass die Versicherten extrem sensibel auf eine etwaige Zusatzprämie reagieren werden. Daher werden die Kassen sich gut überlegen, welche freiwilligen Ausgaben sie sich auch in der „neuen Welt“ noch leisten können.

Auf der anderen Seite gilt: Krankenkassen, die zum Beispiel aufgrund ihres regionalen Tätigkeitsschwerpunk­tes in einer teuren Region an einer Zusatzprämie ohnehin nicht vorbeikommen, werden eine „Mehrwert-Strategie“ entwickeln müssen, ihren Ver­sicherten also vemitteln müssen, dass es für die Zusatzprämie auch bessere Leistungen im Vergleich zum Durchschnitt der Mitbewerber gibt – ohne, dass die Mehrleistungen tatsächlich erheblich kostenmäßig ins Gewicht fallen dürfen.

Wenn der Gesundheitsfonds kommt, fällt Ende 2008 die gesonderte Förderung von DMPs durch ihre Koppelung an den RSA weg. Die Anschubfinanzierung für Projekte der In­tegrierten Versorgung fällt ebenfalls Ende 2008 weg. Mit Blick auf die Zusatzprämie werden die Krankenkassen im Jahr 2008 eine sehr kritische Bestandsaufnahme machen. Ich gehe davon aus, dass viele dieser Projekte die Einführung des Gesundheitsfonds nicht überleben werden.

?Welche Alternativen zum Gesundheitsfonds wären aus Ihrer Sicht wünschenswert?

Es besteht bei allen politischen Akteuren und in der Wissenschaft im Grunde genommen Konsens, dass die GKV eine Finanzierungsreform braucht. Sowohl die Bürgerversicherung als auch die Pauschalprämie sind jeweils Modelle, die mit einem gewissen Recht für sich in Anspruch nehmen, auf die Herausforderungen eine Antwort zu geben. Der Gesundheitsfonds gibt diese Antworten nicht. Er ist ein politisch verständliches, aber nicht ein angesichts der Herausforderungen taugliches Kon­zept. Politisch verständlich, weil der Gesundheitsfonds in Richtung beider Modelle ausgestaltungsfähig ist, wenn entsprechende politische Mehrheiten verfügbar sind. Wenig tauglich, weil er weder die Finanzierungsbasis verbreitert noch die Nachhaltigkeit stärkt noch positive Anreize auf dem Arbeitsmarkt setzt.

Insofern wird die Debatte über die richtigen Schritte einer Finanzreform weitergehen. Aus meiner Sicht ist insbesondere vordringlich, die Krankenversicherungsausgaben von den Arbeitskosten abzukoppeln. Denn wir betreiben faktisch seit drei Jahrzehnten ja mehr Lohnnebenkostenpolitik als wirklich Gesundheitspolitik. Dies muss nicht zwingend mit einer Pauschalprämie einhergehen, sondern könnte auch durch Festschreibung oder Abschaffung des Arbeitgeberbeitrags im heutigen Finanzierungssystem geschehen. Auch unter dem Gesundheitsfonds wäre das möglich.

?Welche Reformschritte sehen Sie bei den öffentlichen Apotheken als erforderlich an?

Ich bin davon überzeugt, dass das Fremd- und Mehrbesitzverbot fallen muss. Apothekenketten müssen möglich werden. Mit ihrer Hilfe wird es möglich sein, Wirtschaftlichkeitsreserven auf der Vertriebsschiene von Arzneimitteln zu generieren. Gleichzeitig sollte der Kontrahierungszwang der Krankenkassen gegenüber Apotheken beseitigt werden. Erforderlich ist allerdings eine konsequente Unterstellung auch der gesetzlichen Krankenkassen unter das Wettbewerbsrecht. Die Sonderregelungen (§69 SGB V), die bisher keine vollständige Anwendung des Wettbewerbsrechts ermöglichen, müs­sen fallen.

Die Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen werden die Strukturen des Apothekenmarktes erheblich verändern. Kurzfristig wird es vermutlich zu einer Zunahme der Zahl der Apotheken kommen. Auf mittlere Sicht aber wird dann die Zahl der Apotheken sinken. Ich glaube allerdings nicht, dass dabei die wohnortnahe Versorgung gefährdet wird, weil wir in Europa die höchste Apothekendichte haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf absehbare Zeit eine Pluralität der Betriebsformen bei der öffentlichen Apotheke behalten werden. Die heutige Ein­zelapotheke wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Sie muss sich ihr spezifisches Profil geben. Ich sehe, dass zahlreiche Apotheken dies bereits erkennen und sich entsprechend vorbereiten.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(01):3-3