OTC-Sortiment (Teil 2)

Kennziffern und Marktpotenziale


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Beim „Hoffnungsträger“ Barverkauf ist sorgfältig zwischen optimistischen und realistischen Aussichten zu unterscheiden. Gerade in diesem selbstbestimmten Segment müssen Aufwand und Ertrag zusammenpassen. Derartige Probleme gibt es an anderen Stellen ja schon genug...

Mit gut 15% Umsatzanteil im Bundesdurchschnitt macht der Barverkauf (ohne Privatverord­nungen) von Arzneimitteln gar nicht so viel aus. Auch der Barverkauf von Nicht-Arzneimitteln (überwiegend Freiwahl) schlägt nur mit wenigen Umsatzprozenten zu Buche. Das illustriert nach wie vor die Verordnungslastigkeit und Fremdbestimmung der Apotheke. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Der Anteil des Barverkaufs am Rohgewinn macht nämlich fast das Doppelte des Umsatzanteils aus, also rund 25% bis 30%.

Nach Packungszahlen haben freiverkäufliche und apothekenpflichtige Arzneimittel die rezeptpflichtigen Arzneimittel mit etwa 825 Millionen Einheiten versus 690 Millionen Einheiten überholt. Allerdings entfallen bei den nicht rezeptpflichtigen Medikamenten fast 150 Millionen Packungen auf Verordnungen zu Lasten von GKV und PKV. Das bedeutet, dass selbst auf der Packungsseite, zumindest bei den Arzneimitteln, die Verordnungen dominieren, allerdings bei weitem nicht so sehr wie beim Umsatz. Zusammen mit den zahlreichen Freiwahlartikeln dürfte es mindestens auf ein Verhältnis von 1 : 1 nach Stückabsatz hinauslaufen.

Wichtig für die Kundenfrequenz

Noch interessanter ist das Verhältnis der Kunden. Im Bereich von etwa 20.000 bis gut 22.000 Rezeptkunden pro Jahr (GKV und privat) bewegt sich die durchschnittliche Apotheke – bei 50.000 bis 55.000 Kunden gesamt pro Jahr. Damit ist die deutlich überwiegende Zahl der Kunden nicht rezeptgebunden, was die Bedeutung des OTC-Segments für die Kundenfrequenz unterstreicht.

Wahr ist auch, dass ein durchschnittliches GKV-Rezept vorsichtig kalkuliert etwa 10,00 € bis 12,00 € Rohgewinn einbringt, der durchschnittliche „Barkorb“ jedoch nur etwa 8,00 € bis 10,00 € Umsatz, entsprechend etwa 3,50 € bis 4,50 € Rohgewinn, ausmacht. Anders ausgedrückt: Für einen Rezeptkunden benötigen Sie 2,5 bis 3 „statistische Bar­kunden“. Je nach Apotheke und Rezept- bzw. Barkundenstruktur kann dieses Verhältnis noch extremer ausfallen.

Nicht wenige Preisaktionen wer­den damit letztlich aus den Rezepterträgen finanziert –und zielen nebenbei darauf ab, diese in die Apotheke zu ziehen. Die Rechnung geht natürlich nur auf, wenn genug „freie“ Rezepte um die Apothe­ke herum „spazierengehen“.

Vorhandene Potenziale

Lohnt also zusätzliches Engagement? Oder sind die vielen Hochglanzartikel zum „Wachstumsmarkt OTC“ letztlich von legitimen, gleichwohl eigennützigen Interessen gesteuert? Schauen wir auf die Zahlen der häufigsten Apothekentypen „typisch“, Center- bzw. Lauflage und ärzte­orientiert (siehe Tabelle unten).

Der Einfachheit halber sei mit gleichen Spannen im OTC-Seg­ment kalkuliert, mit Schwer­punkt auf Arzneimitteln ohne Freiwahl. In der Praxis differieren diese je nach Umsatzvolumen, Einkaufsmodalitäten sowie Preisgestaltung. Die Center-Apotheke erzielt naturgemäß einen sehr bedeutenden OTC-Anteil am Rohgewinn. Dagegen ist die­ses Segment für eine reinrassige „Verschreiber-Apotheke“ von untergeordneter, aber nicht ver­nachläs­sigbarer Bedeutung. Um noch weitere Rezepte anzuziehen, könnte sich die Ärztehaus-Apotheke sogar am ehesten auf Preisaktionen einlassen.

Lohnende OTC- Aktivitäten?

Eine Ausweitung des OTC-Geschäfts um 10% (bezogen auf den Ist-Umsatz) bringt der typischen Apotheke immerhin 9.000 € Zusatzertrag p.a., im Center sind es sogar 30.000 € und im Ärztehaus rund 12.000 € (siehe Tabelle unten). Das ist ein schönes Zubrot, das die Anhebung des Korb­um­satzes um etwa 0,40 € bis 0,60 € über alle Kunden hinweg erfordert. In absoluten Mehrumsätzen sind dies 22.500 € für die typische, 75.000 € für die Center- und 30.000 € für die Ärz­tehaus-Apotheke.

Das bedeutet, dass jeder 10. Kunde zusätzlich etwas für 4,00 € bis 6,00 € mitnehmen muss (oder jeder 20. etwas für 8,00 € bis 12,00 €). Bei 200 Kunden am Tag sind das 20 „kleine“ oder 10 etwas teu­rere Zusatzverkäufe. Das ist möglich, aber dann doch nicht so einfach wie gedacht. Vor allem darf nicht allzu viel Zeit dafür aufgewandt werden. Wer 10 Kunden anspricht, dafür jeweils 1 bis 2 Minuten benötigt und den ernsthaften Kaufaspiranten nochmals einige Minuten zusätzlich gönnt, hat kaufmännisch nicht mehr viel verdient! Denn jede einzelne Minute im HV-Betrieb kostet im Minimum 0,30 € bis 0,40 €, bei akademischem Personal mehr oder weniger über 0,50 €. Nun arbeitet kaum ein Betrieb mit hundertprozentiger Auslastung (dann erst würde diese Grenzbetrachtung voll greifen), und ehe die Mitarbeiter „herumstehen“, können sie sich für Zusatzverkäufe ins Zeug legen... Dennoch: Die Rettung für eine angeschlagene Apotheke kann das offenkundig nicht sein.

Richtig hart treffen durchgängige Preissenkungen (= ech­tes Discount-Konzept). 10% niedrigere Preise über das gesamte OTC-Sortiment kosten, wie die Tabelle ausweist, viel Geld. Dies betrifft vor allem die barverkaufslastige Center-Apotheke, die besonders überlegt agieren muss. Dabei sind die Marketingaufwen­dun­gen, um die niedrigen Preise publik zu machen, noch nicht einmal berücksichtigt. Umgekehrt wird genauso ein Schuh daraus: Schon eine durchgehend 1%ige OTC-Preiserhöhung bedeutet je nach Apothekentyp rund 2.000 € bis hin zu 6.000 € Mehrertrag.

Wichtige Praxiskennzahlen

Zur Beurteilung Ihrer Leistungen im Barverkauf dienen folgende Basis-Kennziffern:

  • Die absolute Zahl der Barverkäufe je Monat/je Jahr, die jeweiligen durchschnittlichen Packungswerte sowie die statistische Zahl der Packungen je Barverkauf.
  • Der Barkorb: Wie hoch ist der durchschnittliche Einkaufsbetrag je Barverkauf? Ergänzt werden sollte dies in jedem Fall durch die viel wichtigere Kennziffer „durch­schnittlicher Rohgewinn je Barverkauf“. Achtung, Statistik-Falle: Barverkäufe können je Kunde ausgedrückt werden (also über alle Kunden einschließlich reiner Rezeptkunden hinweg) oder je tatsächlichem Barkauf. Das darf nicht verwechselt werden.
  • Die Kundenzahlen: Reine Barkunden, „Mischkunden“ mit Rezept plus Barkauf und reine Rezeptkunden. Vorsicht bei Mischkunden: Nicht bei allen Barverkäufen handelt es sich um die hier relevanten eigenen OTC- bzw. Freiwahl-Ver­käufe. Grüne oder sonstige Privatrezepte sind fremd­bestimmt und deshalb getrennt zu erfassen.

Die vertiefte Betrachtung der Absatzdaten sollte den Blick auf die Wertverteilung der Produkte lenken: Wie viel wird in der Preisklasse über 20,00 €, wie viel noch über 50,00 € abgesetzt, jeweils nach Umsatz, Ertrag und Stückzahl? Wie entwickeln sich diese „OTC-Hochpreiser“ im Zeitverlauf? Wo liegt die absolute Preis-Schmerzgrenze, ab der Barverkäufe praktisch nicht mehr zustande kommen? Wie setzen sich die Spitzen-Barkörbe zusammen, von wem werden sie gekauft?

Märkte und Indikationen

Werfen wir einen Blick auf die Marktdaten der häufigsten Indikationen. Bedeutsame Quellen sind dabei die Daten der IMS Health ( http://www.imshealth.de/ ), Erhebungen von ACNielsen ( http://www.acnielsen.de/ ) sowie An­gaben des Bun­des­ver­ban­des der Arzneimittelhersteller ( http://www.bah-online.de/ ). Dabei stechen teilweise erhebliche Differenzen ins Auge, was u.a. an unterschiedlichen Definitionen und Abgrenzungen der einzelnen Indikationen sowie der Begriffe „OTC“ und „Gesundheitsmittel“ liegt.

Die vorderen Plätze nehmen die „Klassiker“ Erkältung, Magen-Darm und schmerzende Gelenke ein – also all das, was das tägliche Leben verleidet, aber in aller Regel rasch wieder abklingt (siehe Tabelle). Der große Rest illustriert hingegen die ganze Bandbreite des Apothekensortiments.



Die Apotheke kann mit OTC-Packungswerten von netto 7,50 € bis 8,00 € gegenüber den anderen Absatzkanälen eine Spitzenstellung verbuchen. Denn dort bewegt sich das meiste unter 3,00 € netto (Durchschnittspackungswerte um 2,00 €), mit Schwerpunkt auf billigen Vitaminen und Mineralstoffen, die den Packungswert nach unten ziehen. Obwohl von geringer Umsatzbedeutung (unter 20%, weniger als 1 Mrd. € netto), können die anderen Vertriebsschienen nach Stückzahlen aber bei­nahe die Hälfte der Packungseinheiten auf sich ziehen. Die Probleme der Datenerfassung und Abgrenzung sind erheblich, sodass dies nur Anhaltswerte sind. Nichtsdestotrotz: Die Kundenfrequenz, die ja hinter den Packungszahlen steht, ist bei Drogeriemärkten, Le­bens­mit­telhändlern etc. nicht zu vernachlässigen.

Andererseits scheint die Abschöpfung im Moment noch auf Grenzen zu stoßen. Wer das Sortiment der Drogeriemärkte durchstöbert, entdeckt erstaunlich viele Präparate, die zwischen 5,00 € und 10,00 € kosten und etliche Regalmeter in Beschlag nehmen. Offensichtlich sind sie aber nicht die „Renner“, anders lassen sich die niedrigen Durchschnittspackungswerte nicht erklären. Die Statistik schlägt hier zu: Ein Brause­tabletten-Röhrchen für 0,79 € und eine OTC-Packung für 6,99 € ergeben eben im Schnitt nur noch 3,89 €...

Insgesamt ist der OTC-Markt also fest in Apothekenhand, was u.a. der Apothekenpflicht zu verdanken ist. Die Daten zeigen aber, was deren Aufhebung ökonomisch anrichten könnte. Mit 20% bis 30% Umsatzrückgang im OTC-Segment wäre dann realistisch zu rechnen – eine Größenordnung, die bei Weitem nicht mehr jeder verkraften würde.

In der AWA -Ausgabe Nr. 3 vom 1. Februar 2008 lesen Sie, wie Sie beim OTC-Sortiment Ihren eigenen Weg finden können.

Dr. Reinhard Herzog,

Apotheker, 72076 Tübingen,

E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(02):5-5