Kommunikation in der Apotheke

Vom Missverstehen mit vier Ohren


Ute Jürgens

Bereits in den 70er-Jahren entwickelte Friedemann Schulz von Thun sein Vier-Ohren-Modell. In der Apotheke ist dieses Modell wertvoll, um Missverständnisse zu klären oder herauszufinden, warum „plötzlich“ eine Mitarbeiterin vollkommen anders reagiert als sonst.

Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass eine Mitteilung nicht nur eine sachliche, sondern auch eine emotionale Ebene hat. Für Letztere benennt von Thun drei „Ohren“: das Beziehungs-, das Selbstoffenbarungs- und das Appellohr.

Dies lässt sich an einem einfachen Beispiel erläutern: Sie holen eine verordnete N2-Packung. Als der Kunde diese sieht, sagt er: „Das ist falsch, ich habe zur Arzthelferin gesagt, dass ich eine große Packung möchte!“ Wenn Sie mit Ihrem Sach­ohr hören, nehmen Sie das Gesagte einfach nur wahr und klären ruhig den Sachverhalt. Mit Ihrem Beziehungsohr hören Sie ein Gemeintes: „Sie haben einen Feh­ler gemacht!“ Denn das Beziehungsohr empfängt in erster Linie, was der Sender vom Empfänger hält. Vielleicht fühlen Sie sich angegriffen, setzen zur Verteidigung an und dementsprechend antwortet der Kunde. In den meisten Fällen haben wir uns im HV so gut „im Griff“, dass nichts weiter daraus entsteht. In „freier Wild­bahn“ hingegen ergäbe ein Wort das andere, denken Sie an private Meinungsverschiedenheiten, Teamquerelen, die Schlange im Supermarkt etc.

Auf Ihrem Selbstoffenbarungsohr hören Sie, dass der Kunde unbedingt eine N3-Packung möchte und befürchtet, zu kurz zu kommen. Sie nehmen jetzt keinen Vorwurf wahr, sondern Angst. Ihre Antwort fällt entsprechend beruhigend aus, vielleicht bieten Sie den Anruf beim Arzt an usw. Die vierte Möglichkeit betrifft Ihr Appell­ohr: Sie hören, dass der Patient seinen Einfluss auf Sie geltend machen und einen Austausch erreichen möchte. Deshalb organisieren Sie diesen ohne weitere Worte.

Vier Botschaften, vier Reaktionen

Ein anderes Beispiel ist die Frage, die wir nun etwa acht glückliche Monate nicht hören werden: „Sind die Kalender schon da?“

  • Erste Antwort: „Ja/Nein“ – das Sachohr reagiert.
  • Zweite Antwort: Das Beziehungsohr hat vernommen, dass der Fragende den Empfänger für großzügig und freundlich hält – „Ja, ich gebe Ihnen gerne einen“.
  • Dritte Antwort: Das Selbst­offenbarungsohr hat die Be­fürchtung, keinen Kalender mehr zu bekommen, wahrgenommen – „Ja, ja, wir denken doch jedes Jahr an Sie“.
  • Vierte Antwort auf den gehörten Appell „Her mit dem Kalender oder Kunde gewesen!“: Sie sagen gar nichts mehr, sondern schieben den Kalender während des Gesprächs über den HV-Tisch, damit der Patient Ihrer Beratung wieder aufmerksam zuhören kann.

Eine ganz andere Situation ist das Mitarbeitergespräch. Falls Ihre Angestellte auf eine Frage oder Aussage von Ihnen unerwartet reagiert, gilt es he­rauszufinden, was bei ihr angekommen ist. Anscheinend hat sie durch den Kontext, in dem Ihre Bemerkung fiel, Ihre Körpersprache oder Formulierung etwas anderes als das Gemeinte verstanden. Möglich wäre, dass allein die Situation, in Ihrem Büro zu sitzen, sie in Hab-Acht-Stellung versetzt. Sie hört dann nicht mehr neutral auf allen Ohren gleichzeitig, sondern nur das Beziehungsohr ist auf Empfang gestellt. Alles, was Sie sagen, wird zunächst daraufhin gefiltert, was Sie von ihr halten.

Wenn Sie bewusst das Ap-pellohr ansprechen möchten, kann das offen oder verdeckt geschehen. Bei Letzterem liegt die Verantwortung beim Empfänger. Er kann reagieren oder nicht, seine Handlung bleibt freiwillig. Andererseits ist es eine etwas umständliche, zuweilen auch manipulative Art, seine Wünsche zu äußern. Ein Beispiel: Bei Dienstantritt emp­finden Sie, dass der Helferinnenbereich reichlich unaufgeräumt ist. Zwei PKAs sind ge­rade beim Frühstück und bester Laune. Sie sagen: „Oh je, wie sieht es denn hier aus! Jetzt räume ich erst Mal meinen Schreibtisch auf.“ Die Damen behalten ihre gute Laune und werden es Ihnen spätestens in den nächsten zehn Minu- ten gleichtun. Im Allgemeinen wird jedoch der offene Ap­pell favorisiert, weil er ehrlich ist und mehr Klarheit bringt.

Typische Störquellen beim Verstehen können sein: das Selbstkonzept des Empfängers, also sein Bild von sich, und korrelierte Botschaften. Bei Letzteren wird zwar die Hauptaussage als solche verstanden, zusätzlich jedoch eine andere damit verbunden. Beispiel: „Sind die Standgefäße auf die Verfalldaten geprüft?“ Die Mitarbeiterin hört ein „Das hätte längst passieren müssen!“ mit und antwortet statt „Nein“ mit „Nein, was soll ich denn noch alles auf einmal machen!“.

Das Selbstkonzept des Empfängers „Ich bin hier die Dienstälteste, kann am meisten und alles am besten und bin nur für die Oberaufsicht zuständig“ sorgt bei indirekten Appellen Ihrerseits zum Beispiel dafür, dass manches von dieser Person überhört wird. Sie wundern sich dann, dass sie nicht reagiert, und fühlen sich nicht ausreichend respektiert. Das gegenteilige Selbstkonzept: Eine Wiedereinsteigerin arbeitet nur Teilzeit, hat wenig Erfahrung und wenig Selbstbewusstsein. Aus Angst, etwas falsch zu machen, werden manche Arbeiten liegen gelassen oder nur unvollständig bzw. fehlerhaft erledigt. Und weil sie befürchtet, dass „alle“ merken, dass sie „keine Ahnung“ hat, traut sie sich nicht nachzufragen. In beiden Fällen stört das Selbstkonzept der Empfängerin die Kommunikation, entweder wird die Botschaft gar nicht aufgenommen oder es wird nicht verstanden, was zu tun ist.

Gesprächsstörung im Mittelpunkt

Das Vier-Ohren-Modell ist gut geeignet für Gesprächsanalysen und zum Training. Sobald man merkt „Da stimmt etwas nicht!“, hilft es, in Gedanken einen Schritt zurückzugehen und zu überlegen: „Was machen wir hier eigentlich?“, „Warum reagiert mein Gesprächspartner so wütend?“, „Warum ärgere ich mich gerade?“ oder „Habe ich den Kunden missverstanden oder der Kunde mich?“. In diesem Moment rückt man vom eigentlichen Gesprächsthema ab und stellt die Gesprächsstörung in den Mittelpunkt, man geht auf die Metaebene. Wer hat was verstanden, wieso läuft das Gespräch nicht wie gewünscht, inwiefern redet man aneinander vorbei? Indem bei­de Gesprächspartner über das Missverständnis reden, kann es sich häufig leicht aufklären. Vollkommen müßig ist dabei die Frage nach Henne und Ei. Da im Gespräch das ei­ne das andere ergibt, braucht man sich nicht damit aufzuhalten, wer „angefangen“ und „die Schuld“ hat. Das kostet nur eines: Zeit. Kommunikation verläuft im­mer kreis­förmig, ein Anfang existiert nicht.

Erst wenn man Störungen rechtzeitig erkennt, besteht die Möglichkeit, erfolgreich dagegen anzugehen. Versucht man, sämtliche schwierigen Gespräche anschließend zu analysieren, entsteht die Chance, beim nächsten Mal Probleme und Missverständnisse zu vermeiden. Dabei hilft es, das Gespräch in Gedanken oder im Rollenspiel mit Kollegen so lange durchzusprechen und abzuwandeln, bis man für sich die optimale Antwort gefunden hat, die das Gespräch gerettet hätte. Eine solche Übung baut den eigenen Ärger ab, falsch reagiert zu haben, gleichzeitig prägen sich dabei Formulierungen ein, die beim nächsten ähnlichen Störfall hilfreich sind.

Selbstoffenbarungsohr öfter aufstellen

Insgesamt gesehen verläuft das Miteinander besser, wenn wir häufiger unser Selbstoffenbarungsohr aufstellen. Sich in den anderen hineinzuversetzen, ihn dadurch besser mit seinem Anliegen zu verstehen, schafft Empathie. Das Gegenüber fühlt sich verstanden, ernst- und angenommen und bleibt offen für das Gespräch und unsere Wünsche.

Ute Jürgens, Kommunikations-trainerin und Einzelcoach,

KomMed, 28865 Lilienthal,

E-Mail: KomMed@freenet.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(02):9-9