OTC-Sortiment (Teil 9)

Versand als alternativer Vertriebsweg


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die Kundenfrequenz ist begrenzt, die Standortfaktoren liegen fest, das Marktpotenzial vor Ort ist ausgeschöpft. Dann stellt sich für aktive Apotheken die Frage, wie sie ihren Wirkungs­kreis ausdehnen können. Sind alternative Vertriebswege wie der Versand eine sinnvolle Option?

Der Versandhandel mit Arzneimitteln hat bundesweit einen Marktanteil von 1% bis 2% erreicht, selbst Optimisten sehen nur ein Potenzial von 5% bis allenfalls 10%. Dies gilt jedenfalls, wenn nicht Kran­kenkassen oder Ärzte massiv als akti­ve Zuweiser fungieren (müssen). Bei einzelnen hoch­preisigen OTC-Artikeln sieht die Lage schon heute anders aus, sie werden bisweilen bereits zu 20% oder 30% verschickt. So mag der Rummel um die Rolle der Drogeriemärkte und die aufgeheizte Situation den einen oder anderen verleiten, jetzt die Lösung in der „Vorwärtsverteidigung“ zu suchen, vor allem, wenn der eigene Wirkungskreis erschöpft ist.

Geschäftsmodelle

Weit über 1.000 Apotheken besitzen die Versandhandelserlaubnis. Aber nur etwa 10 bis 20 Versandapotheken sind ernsthafte „Player“ auf diesem Markt. Da erhebt sich die Frage, wo noch Luft sein soll. Prinzipiell können Sie dabei in drei Klassen spielen.

Sie betreiben einen „Hobby-Versand“ und haben die Versandhandelserlaubnis, um auf rechtlich sicherer Basis über den üblichen Botendienst hinaus in die weitere Umgebung ausliefern zu können. Von wenigen Packungen pro Monat bis zu einigen Sendungen pro Tag reicht hier das Spektrum. Letztlich läuft dieses Geschäft aber nebenbei, es sind kaum zusätzliche Arbeitskräfte oder sonstige Ressourcen nötig. Die Gefahr besteht allerdings selbst hier, dass Sie Ihr Offi­zingeschäft kannibalisieren, wenn Sie Ihren Versand über den Preis in Ihrem Umfeld bewerben. Warum soll jemand einen planbaren Bedarf in der Apotheke einkaufen, wenn er sich das Gleiche günstiger liefern lassen kann?

Sie bewegen sich in der „Medium-Klasse“ mit mittleren Sendungszahlen von einigen Dutzend pro Tag bis in den unteren Hunderter-Bereich. Das bewältigen Sie nicht mehr nebenbei, Sie benötigen einen „Apparat“. Gleichzeitig sind Sie nicht so groß, dass Liefe­ranten Schlange bei Ihnen stehen und Sie mit besten Konditio­nen versorgen. Vielleicht profitieren Sie jetzt noch vom Prinzip Hoffnung bei den Lieferanten, wenn jedoch die nackten Zahlen die Versprechungen nicht halten, stehen die Konditionen auf dem Spiel. Damit wird aber ein wichtiges Argument, der Preis, für Sie schwieriger zu handhaben. Gleichzeitig benötigen Sie eine konstant hohe Auslastung, um auf günstige Kosten zu kom­men. Für Sie heißt es: wachsen in die Top-Liga (mit hohen Ausgaben vor allem für Marketing), vielleicht spezialisieren oder aber dein­vestieren und den Geschäftszweig auf einen unverfänglichen Nebenbei-Betrieb herunterstufen.

Sie spielen in der Top-Liga mit Sendungszahlen im hoch dreistelligen bis vierstelligen Bereich pro Tag: Dann gehören Sie zu der Handvoll er­folgreicher Versandapotheker, zu­mindest nach Umsatz.

Die bekannten Versandapotheken sind alle „Vollsortimenter“, bieten also das gesamte Spektrum einschließlich Rezeptbelieferung. Das bringt eine ganze Reihe von Problemen auf der Ertragsseite mit sich (siehe unten). Wenig anzutreffen sind hingegen noch Apotheken-Spezialversender, die sich auf gewisse hochspezielle Zielgruppen konzentrieren. Gerade hier kann aber eine überregionale Bündelung sinnvoll sein. Im lokalen Umfeld ist die Patientenzahl zu klein, um sich zu spezialisieren (mit mehr Know-how, Produkt- und Marktkenntnis sowie individuell abgestimmtem Service). Bundesweit gebündelt, ergibt sich aber eine interessante Kundenklientel, welche zudem über Selbsthilfegruppen u.ä. schnell und ohne große Streuverluste zu adressieren ist.

Technische Voraussetzungen

Was das Erscheinungsbild und den technischen Ablauf eines „Internet-Shops“ angeht, sind die Messlatten gelegt – und zwar auf hohem Level. Ihre Chancen liegen darin,

  • erheblich billiger zu sein und dies im Internet durch entsprechende Verlinkung an die (Preis-)Suchmaschinen sichtbar zu machen – keine besonders erfreuliche Situation, nur über den Preis konkurrieren zu müssen;
  • durch hervorstechende an­dere Vorteile auf sich aufmerksam zu machen: besonders gelungener Auftritt, exklusive Produkte, noch schnellerer Service etc.

Beim Internet-Auftritt lässt sich trotz des hohen techni­schen Standards noch manches verbessern. Das fängt bei den Abbildungen und den Produktbeschreibungen an. Gerade die Beschreibungen sind oft nur rudimentär, bisweilen wird nicht einmal die Indikation ersichtlich, geschweige denn die Zusammensetzung.

Überhaupt noch nicht entwickelt ist eine Beratungs- oder Leitungsfunktion. Wer z.B. gewisse Indikationen eingibt, könnte daraufhin eine Auswahl an Präparaten bekommen, gegebenenfalls aber auch den eindringlichen Hinweis, einen Arzt oder eine stationäre Apotheke zu kontaktieren, zumindest aber die telefonische Beratung in Anspruch zu nehmen.

Solche Funktionen sind grenzwertig, verschärfen sie doch die Konkurrenz zum statio­nä­ren Geschäft weiter; gleichzeitig könnten sie aber den Versandhandel aus seiner Schmuddelecke herausholen. Unbestritten ist es jedoch möglich, die technische Intelligenz der Systeme im Sinne der Kunden zu nutzen.

Kosten als Achillesferse

Die wirtschaftliche Betrachtung des Versandhandels dreht sich um folgende Kernthemen:

  • Die operativen Kosten je Sendung: Wie hoch ist der Mindestaufwand, um eine Sendung auf den Weg zu bringen?
  • Welche sonstigen Kosten fallen, ggf. nur kalkulatorisch, an (Raumkosten, Abschreibungen und vor allem Marketing)?
  • Welchen Produkt-Mix (Mischung von OTC-Medikamenten und Rezepten sowie Preisklassen der Produkte) brauche ich, um diese Kosten zuzüglich Gewinn zu decken? Wo liegen demzu­folge Mindestbestellwerte für die Versandkostenfreiheit?
  • Welche Kannibalisierungs­effekte zur stationären Apotheke treten auf (was wesentlich davon abhängt, wie die Wirkungskreise des Marketings aufeinander abgestimmt werden)?

Die reinen operativen Kosten je Sendung (also Auftragsannahme und -verbuchung, das Kommissionieren selbst, Versandmaterial, Rechnung und beigelegte Prospekte, Transportkosten, Prüf- und Beratungsaufwand) sollten etwa 7,00 € bis 8,00 € betragen, wobei der Paketdienst den höchsten Anteil ausmacht. Dazu kommen Kosten für Re­tourenbearbeitung, „Problemfälle“ und Zahlungsausfälle. Schon 1% Zahlungsausfall belastet jede weitere Sendung kalkulatorisch mit etwa 0,50 € oder mehr. Zahlungsausfälle sind ein nicht zu unterschätzendes Risiko im Versandhandel; wer an dieser Stelle insgesamt unter 9,00 € rein operativen Gesamtkosten bleibt, liegt schon ganz gut.

Investitionen, Abschreibungen, der oft unterschätzte Marketingaufwand und natürlich die Gewinn­erwartung kommen hinzu. Unter 10,00 € Rohgewinn je Sendung dürfte also die Gewinnschwelle kaum erreicht werden können, eher markieren Werte von 12,00 € und mehr den Beginn der stabilen Rentabilität.

Es lässt sich leicht nachkalkulieren, dass ein durchschnittliches Kassenrezept Roherträge in der Gegend von 10,00 € bis 12,00 € generiert, im Bereich der gerne anvisierten Chroniker auch deutlich mehr. Mit einem „guten“ Rezept im Korb liegt man im Versand schon ziemlich auf der sicheren Seite. Kein Wunder, dass die „Sammelwut“ um sich gegriffen hat.

Im vorherrschenden OTC-Segment hingegen sind erhebliche Bestellmengen nötig, um obige Mindest­erträge zu generieren. Die meisten Ver­sandapotheken haben tatsächlich einen deutlichen Überhang von Barkäufen und da­für nur recht geringe Rezeptanteile. Dazu kommt die Bürde erheblich niedrigerer Preise, um die Kunden anzuziehen.

Die Tabelle auf Seite 6 stellt den Kalkulationsgang beispielhaft anhand eines Niedrigpreis-, Mediumpreis- und Hochpreis-Artikels dar. Die obere Hälfte zeigt einen üblichen Rechengang in der Offizinapotheke, wobei in die Spannen und Erträge einkalkuliert ist, dass sie je nach Artikel 17,50% bis 20,00% Rabatt bekommt.

Was passiert bei Preissenkungen, welche Rabatte muss man erhalten, wenn man umgekehrt im Versand mit niedrigeren Zielspannen zufrieden sein kann? Am Beispiel einer durchgängigen Preissenkung von 25% kann im Niedrigpreis-Segment noch eine Spanne von 30% erwirtschaftet werden, selbst wenn nur 15% an Einkaufskonditionen erzielt werden. Im Mediumpreis-Bereich reichen ähnliche Konditionen wie in der Offizin­apotheke (20%). Bei teuren Präparaten sind 25% Preissenkung in Anbetracht der dort sowieso schon schmaleren Margen nur mit besseren Konditionen (rund 25%) machbar, selbst wenn die Zielspanne auf 22,5% abgesenkt wird. Allerdings generiert die­se reduzierte Spanne immer noch im Beispiel einen Stück­ertrag von knapp 11 €, in jedem Fall ausreichend für eine gute Kostendeckung. Erreichen die Preissenkungen aber einmal 30%, 35% oder noch mehr, wird es kritisch. So etwas lässt sich nur aktionsweise durchhalten.

Das zeigt aber auch, dass eine reine OTC-Sendung Mindestbestellwerte in der Größenordnung von 50 € bis 60 € netto (= 60 € bis gut 70 € brutto) erfordert, um an die Grenze zur Rentabilität zu gelangen. Steuern lässt sich dies durch den Mindestbestellwert, ab dem die Versandkosten entfallen. Manche Mitspieler senken allerdings den Mindestbestellwert in nicht mehr zuträgliche Regionen (teilweise bis 15 €!) ab. Der Versand ist heute ein hartes, hochkompetitives Geschäft, das aber angesichts des vorhandenen Marktvolumens noch Wachstumsmöglichkeiten hat.

„Ideale“ Durchschnittspäck­chen sähen so aus:

  • Ein oder zwei Rezepte plus die eine oder andere OTC-Packung oder
  • Vorratskauf-Bestellung von Großpackungen mit einem hohen Bestellwert über 75,00 € brutto.

Versandhandel ist also in der Theorie rentabel, wenn obige Randbedingungen erfüllt sind und zudem die erforderlichen Mindeststückzahlen bei den täglichen Aussendungen erreicht werden.

Fazit

Man kann es drehen, wie man will: Die Zahl derjenigen, die den Arzneimittelversandhandel gewinnbringend zu gestalten verstehen, hält sich in sehr engen Grenzen, und das wird so bleiben. Es ist ein System für Spezialisten, über dem rechtliche Unwägbarkei­ten schweben – auch in anderen Ländern wird über das Für und Wider diskutiert.

So lässt sich weder das Rosinenpicker-Image wi­derlegen noch erscheint der Versandhandel in unserem dicht besie­delten Land ein breitenwirksa­mes Geschäftsmodell für den Arzneimittelvertrieb zu sein. Damit bleibt das Argument „Preis“, welches vor allem den Markt hochpreisiger und häufig verwendeter Präparate empfindlich beeinflusst.

Ein ernsthafter Einstieg in das Versandgeschäft will daher gut überlegt sein. Eine „Sandwich-Position“ zwischen Himmel und Erde ist sicher nicht erstrebenswert. Für eine Top-Position müssen Sie in einem schon verteilten, aber immer noch wachsenden Markt viel „Spiel­geld“ und Durchhaltevermögen mitbringen. Bleiben Spezialsegmente – in der Nische tun sich in der Tat immer wieder Chancen auf – oder aber der „Hobby-Versand“ als Abrundung des klassi­schen Leistungsspektrums.

In der AWA -Ausgabe vom 15. Mai 2008 lesen Sie: OTC-Arzneimittel – Präparate zweiter Klasse?

Dr. Reinhard Herzog,
Apotheker, 72076 Tübingen,
E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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Dr. Reinhard Herzog:
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erhältlich beim Deutschen Apotheker Verlag (Telefon: 0711/ 2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E-Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de).

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2008; 33(09):8-8