Helmut Lehr
Zu den „klassischen“ außergewöhnlichen Belastungen zählen Krankheitskosten im engeren Sinn. Diese können in aller Regel steuerlich geltend gemacht werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen die Aufwendungen für eine Kur als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig sind, ist immer wieder umstritten.
Medizinisch notwendiger Kuraufenthalt
Die Finanzverwaltung erkennt die Kosten nur dann ohne Weiteres an, wenn die medizinische Notwendigkeit vor Antritt der Kur durch einen Amtsarzt bestätigt wurde. Ein vorheriges amtsärztliches Attest ist allerdings entbehrlich, wenn eine gesetzliche Krankenkasse oder eine vergleichbar kompetente (öffentlich-rechtliche) Stelle aufgrund einer eigenständig vorgenommenen Prüfung vorab bescheinigt hat, dass die Kur medizinisch notwendig ist.
Hinweis: Steuerpflichtige nehmen dieses Erfordernis meist nicht allzu genau und vertrauen bei ihrer Steuererklärung auf „Bescheinigungen“ des Hausarztes. Aus Sicht der Finanzverwaltung ist der Hausarzt aber eine Vertrauensperson des Patienten, die oftmals keine zweifelsfrei objektiven Aussagen trifft. Allein aus diesem Grund scheitert die Berücksichtigung der Kurkosten als außergewöhnliche Belastung in sehr vielen Fällen.
Hohe Anforderungen der Rechtsprechung
Mit Urteil vom 18. August 20091) hat das Finanzgericht Düsseldorf umfassend zu der Thematik Stellung bezogen und die hohen steuerlichen Hürden nochmals bestätigt. Danach sollte sich aus dem amtsärztlichen Attest insbesondere Folgendes ergeben:
- Art der Erkrankung(en),
- Dauer der Kur,
- konkrete medizinische Behandlungsmaßnahmen,
- Ort des Kuraufenthalts.
Hinweis: Außerdem sollte möglichst noch bestätigt werden, dass bzw. warum diese Maßnahmen nicht mit gleichem Erfolg auch in der Nähe des Wohnorts durchgeführt werden können.
Abgrenzung zu privater Erholungsreise
Im Streitfall bemängelten die Richter konkret, dass viele von der Kurklinik in Rechnung gestellten Leistungen ebenso von Ärzten, Diätberatern, Physiotherapeuten, Masseuren und Fitnesstrainern am Wohnort oder in unmittelbarer Umgebung erbracht werden könnten. Zudem dienten die durchgeführten Maßnahmen ganz offenbar auch der Erholung, der Gesundheitsvorsorge und der körperlichen Ertüchtigung (z.B. Fastenkur im Frühjahr, autogenes Training, Qigong, Massagen, Wassergymnastik, Ergometertraining). Solche „Reisen“ würden von Veranstaltern auch gesunden Menschen als Kur- oder Wellnessurlaub angeboten und seien daher ohne vorherige amtsärztliche Bestätigung nicht den Krankheitskosten zuzurechnen.
Hinweis: Nur in sehr wenigen Ausnahmefällen verzichtet die Rechtsprechung auf ein vorheriges amtsärztliches Attest. Deshalb sollte jedem klar sein: Ein Steuervorteil ist mit Kurkosten in der Regel nur dann zu erreichen, wenn der Amtsarzt oder die Krankenkasse die Kur im Vorfeld angeordnet bzw. bestätigt hat.
Künstliche Befruchtung
Der Bundesfinanzhof hatte im Jahr 2007 erstmals die Aufwendungen einer nicht verheirateten empfängnisunfähigen Frau für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung anerkannt2). Das Niedersächsische Finanzgericht hat nun auch die Kosten für eine künstliche Befruchtung (hier: In-vitro-Fertilisation) einer 44 Jahre alten Frau als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt3).
Hinweis: Die Barmer Ersatzkasse, bei der die Frau freiwillig versichert war, hatte die Übernahme der Aufwendungen unter Hinweis auf § 27a SGB V wegen Vollendung des 40. Lebensjahres abgelehnt.
Fertilisationsstörung als Krankheit
Das Gericht hat aufgrund der vorgelegten medizinischen Untersuchungsergebnisse die festgestellte Empfängnisunfähigkeit der Frau als Krankheit angesehen. An dieser Beurteilung ändere auch das Alter der Frau nichts, weil die Krankheit bei einer 44-Jährigen weder aus medizinischen Gründen noch unter Berücksichtigung der herrschenden gesellschaftlichen Auffassung als unbeachtlich eingestuft werden könne.
Schuldübernahme für das eigene Kind
Übernehmen Eltern die Schulden ihres volljährigen Kindes, können die Zahlungen grundsätzlich nicht als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden. Nach Ansicht des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz4) fehlt hier die rechtliche und sittliche Verpflichtung, für die Schulden aufzukommen. Im Streitfall hatten die Eltern Umsatzsteuerschulden ihrer Tochter in Höhe von ca. 23.000 € an das Finanzamt gezahlt.
Hinweis: Die Schulden hätten zur Privatinsolvenz der alleinerziehenden Tochter (Mutter von vier Kindern) geführt, die sonst mit ihrer Familie zum Sozialfall geworden wäre.
Keine Zwangsläufigkeit
Eine steuerliche Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung scheiterte an der fehlenden Zwangsläufigkeit der Aufwendungen. Die Eltern waren weder rechtlich noch sittlich verpflichtet, für die Steuerschulden der Tochter aufzukommen. Insbesondere ist nach Ansicht des Finanzgerichts kein gesellschaftlicher Zwang ersichtlich, die Schulden volljähriger Kinder, die aus eigenverantwortlichen Entscheidungen (hier: Übernahme mehrerer Immobilien nach der Ehescheidung) herrühren, zu übernehmen.
1) Aktenzeichen 17 K 3411/08 E.
2) Vgl. AWA -Ausgabe Nr. 2 vom 15. Januar 2008, Steuer-Spartipp Nr. 2, Seite 18.
3) Aktenzeichen 15 K 495/08.
4) Vgl. Urteil vom 3. November 2009, Aktenzeichen 6 K 1358/08.
Das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz4) kann im unter
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(09):18-18