Legenden im Arbeitsrecht

Den häufigsten Irrtümern auf der Spur


Jasmin Theuringer

Im Arbeitsrecht halten sich hartnäckig stets wiederkehrende Irrtümer. Besonders viele gibt es im Zusammenhang mit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Auf einige Irr­tümer, die besonders oft vorkommen, wird nachfolgend anhand von Beispielen ein­gegangen.

„Kündigen? Aber der Mit­arbeiter hat doch gar keinen Vertrag.“: Ein Arbeitsverhältnis wird bereits durch die tatsächliche Arbeitsaufnahme wirksam begründet. Das gilt auch, wenn kein schriftlicher Vertrag vorliegt. Ohne schriftlichen Vertrag befindet sich der Arbeitnehmer keines­falls im rechtsfreien Raum, es gelten vielmehr die gesetzlichen bzw. tariflichen Regelungen.

„Eine Kündigung muss stets begründet werden, sonst ist sie unwirksam.“: Eine Kündigung muss zwingend schriftlich ausgesprochen werden. Sie muss aber keine schriftliche Begründung enthalten. Ausreichend ist, unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass das Arbeitsverhältnis enden soll. Eine Begründung ist nur bei der Kündigung von Auszubildenden nach der Probezeit gesetzlich vorgesehen. Bei einem Arbeitsverhältnis reicht auch ein schriftliches „Ich kündige“.

„Wenn ich mich mit der Kündigungsfrist vertan habe, ist die gesamte Kündigung unwirksam.“: Wird in einer Kündigung das falsche Be­endigungsdatum angegeben, etwa weil der Arbeitgeber sich verrechnet hat, wird die Kündigung dadurch nicht unwirksam. Es muss keine neue Kündigung ausgesprochen werden, die Kündigung gilt stattdessen zum nächstmöglichen Termin.

„Am sichersten ist die Zustellung der Kündigung per Einschreiben mit Rückschein.“: Wichtig ist, dass die Kündigung beweisbar zu­gestellt wird. Die denkbar schlechteste Lösung ist dabei das Einschreiben mit Rückschein, denn es ist nicht sicher. Wenn der Postbote den Empfänger nicht antrifft, hinterlässt er einen Benachrichtigungszettel im Briefkasten mit der Aufforderung, das Schreiben bei der Post abzuholen. Ahnt der Arbeitnehmer, was ihn erwartet, wird er es nicht abholen. Die Kündigung wird dann nach Ablauf der Lagerfrist dem Arbeitgeber zurückgeschickt. Der Benachrichtigungszettel im Briefkasten ersetzt den Zugang nicht, es muss also nochmals – unter Beachtung einer neuen Frist – gekündigt werden.

Selbst wenn das Einschreiben dem Arbeitnehmer zugeht, kann er sich vor Gericht noch erfolgreich damit verteidigen, der Umschlag habe keine Kündigung enthalten, sondern sei leer gewesen. Das ist zwar unglaubwürdig, doch der Arbeitgeber hat oft keine Chance, das Gegenteil zu beweisen.

„Mein Ehepartner kann vor Gericht nicht als Zeuge aussagen.“: Eine sichere Zustellung kann im Beisein eines Zeugen erfolgen, entweder durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten des Arbeitnehmers oder durch persönliche Übergabe. Der dabei anwesende Zeuge muss auch wissen, was sich in dem Umschlag befindet. Für Kollegen des zu Kündigenden ist das oft unangenehm. Es empfiehlt sich daher, eine Vertrauensperson wie den eigenen Ehepartner hinzuzuziehen. Dieser ist vor Gericht ein vollwertiger Zeuge.

„Nach der dritten Abmahnung darf gekündigt werden.“: Die Annahme, einem Arbeitnehmer könne nach drei Abmahnungen wirksam gekündigt werden, ist ebenso verbreitet wie unrichtig. Eine verhaltensbedingte Kündigung kann bereits nach einer einzigen Verfehlung des Arbeitnehmers gerechtfertigt sein, wie die jüngst in der Presse diskutierten Beispiele für Kündigungen nach einem Diebstahl geringwertiger Sachen gezeigt haben. Ist durch das Verhalten des Arbeitnehmers das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien zerstört, insbesondere bei Diebstählen, Unterschlagungen im Betrieb oder bei einem Spesen- oder Stempelkartenbetrug, kann auch ohne Abmahnung gekündigt werden, häufig sogar fristlos. Umgekehrt kann einem langjährig beschäftigten Arbeitnehmer auch nach mehrfachen Abmahnun­gen nicht ohne Weiteres gekündigt werden, wenn es sich zum Beispiel um geringfügige Verfehlungen wie gelegentliches Zuspätkommen um einige Minuten handelt. Ob und ggf. wie viele Abmahnungen einer Kündigung voraus- gehen müssen, kann nur im Einzelfall beurteilt werden.

„Ist der Arbeitnehmer krank, darf nicht gekündigt werden.“: Ist ein Arbeitnehmer häufig oder dauerhaft arbeitsunfähig krank, kann dies eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen. Diese Kündigung kann auch während der Krankschreibung wirksam ausgesprochen werden. Eine Krankschreibung schützt nicht vor einer Kündigung, andernfalls wäre auch die Kündigung wegen dauerhafter Erkrankung faktisch ausgeschlossen.

„Ein schwerbehinderter Mitarbeiter ist unkündbar“: Schwerbehinderte Arbeitneh­mer genießen einen beson­deren Kündigungsschutz. Dadurch werden diese Mitarbeiter jedoch nicht unkündbar. Allerdings ist vor Ausspruch der Kündigung eine behördliche Zustimmung einzuholen. Diese wird erteilt, wenn die Kündi­gung keinen Zusammenhang mit der Schwerbehinderung hat und bei einer Abwägung der beiderseitigen Interessen die Kündigungsgründe die Nachteile des Arbeitnehmers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegen.

„Mit der Rente endet automatisch das Arbeitsverhältnis.“: Das Arbeitsverhältnis endet durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder Ablauf der Befristung, nicht aber dadurch, dass der Arbeitnehmer das Rentenalter erreicht. Auch dann ist ein Beendigungsakt erforderlich. Der Arbeitnehmer kann auch nach Erreichen des Rentenalters weiter arbeiten, wenn er das möchte. Das Rentenalter bzw. die Möglichkeit, Rente in Anspruch zu nehmen, ist auch kein Grund, der für sich allein eine Arbeitgeberkündigung rechtfertigen könnte. Betriebsbedingte Kündigungen dürften gerade bei langjährigen Mitarbeitern an der Sozialauswahl scheitern, personenbedingte Kündigungen allein aufgrund des Alters daran, dass ein Arbeitnehmer nicht mit Erreichen des 67. Lebensjahres von einem Tag auf den anderen seine Arbeitsfähigkeit verliert.

Möglich ist aber, das Arbeitsverhältnis auf das Erreichen des Rentenalters zu befristen. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass die Befristung auf den Beginn des Rentenalters gerechtfertigt sei, da es hierfür ein beachtenswertes Interesse des Arbeitgebers gebe, nämlich die Erhaltung einer ausgewoge­nen Altersstruktur in seinem Betrieb. Auch die Belange des Arbeitnehmers seien hinreichend geschützt, da der Bezug der Rente für das Auskommen des Arbeitnehmers sorge.

Abfindung

„Jeder Kündigung folgt eine Abfindung.“: Wird einem Arbeitnehmer gekündigt, hat er nicht automatisch Anspruch auf eine Abfindung, er kann nicht einmal auf Zahlung einer Abfindung klagen. Eine Kündigungsschutzklage hat das Ziel, die Kündigung für unwirksam zu erklären. Dann aber ist keine Abfindung zu zahlen, das Arbeitsverhältnis ist vielmehr fortzusetzen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ist zwar das häufigste Ende eines Kündigungsschutzprozesses – jedoch stets das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Parteien. Können sich diese vor Gericht nicht einigen und ist die Kündigung gerechtfertigt, wird das Gericht die Klage des Arbeitnehmers abweisen. Der Arbeitgeber muss dann keine Abfindung zahlen.

Befristung

„Der Vertrag ist befristet, das haben wir so abgesprochen.“: Eine Befristung des Arbeitsverhältnisses muss stets schriftlich erfolgen. Auch wenn zwischen den Parteien eine Befristung mündlich vereinbart wurde, muss diese zwingend vor Arbeitsaufnahme schriftlich niedergelegt werden. Andernfalls wird mit der Arbeitsaufnahme ein Arbeitsverhältnis begründet, das mangels wirksamer schriftlicher Befristungsabrede unbefristet ist. Eine nachträgliche Befristung des Arbeitsverhältnisses ist dann nicht mehr möglich.

„Einer Schwangeren darf nicht gekündigt werden, daran ändert auch die Befristung des Arbeitsverhältnisses nichts.“: Das ist richtig. Aber zur Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnis­ses ist auch keine Kündigung erforderlich. Das Arbeitsverhältnis endet durch Zeitablauf, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Davor bewahrt der besondere Kündigungsschutz eine Schwangere nicht, sodass das Arbeitsverhältnis durch die Befristung auch während einer Schwangerschaft endet.

Probezeit

„Wenn der neue Mitarbeiter lange krank war, kann die Probezeit verlängert werden.“: Innerhalb der vereinbarten Probezeit kann das Arbeitsverhältnis gekündigt werden, ohne dass hierfür ein triftiger Grund vorliegen muss. Die maximale Dauer der Probezeit wird durch das Kündigungsschutzgesetz vorgegeben: Nach einer Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten gilt – sofern das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist – für den Mit­arbeiter der all­gemeine Kündigungsschutz. Diese Regelung kann nicht durch die Vereinbarung einer länger als sechs Monate andauernden Probezeit umgangen werden. Die Verlänge-rung einer ursprünglich beispielsweise nur dreimonati-gen Probezeit um weitere drei Monate ist zwar einvernehmlich möglich, aber unnötig. Auch bei der Vereinbarung einer drei­monatigen Probezeit gilt das Kündigungsschutzgesetz – sofern anwendbar – erst nach einer Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten, vorher hat der Arbeitnehmer keinen allgemeinen Kündigungsschutz.

Bei einem Ausbildungsverhältnis dagegen ist die einvernehmliche Verlängerung der ursprünglich vereinbarten Probezeit über das gesetzliche Maß von vier Monaten hinaus zulässig, wenn der Auszubildende lange arbeitsunfähig erkrankt war.

Entgeltzahlung

„Wenn die Tarifgehälter stei­gen, bekommen meine Mitarbeiter automatisch mehr Geld.“: Der Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter (BRTV) und damit auch der Gehaltstarifvertrag sind nicht allgemeinverbindlich. Das bedeutet, der Gehaltstarifvertrag gilt nur, wenn beide Parteien durch die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband bzw. in der ADEXA tarifgebunden sind oder wenn im Arbeitsvertrag eine Vergütung „nach Tarif“ vereinbart wurde. Ist das der Fall, sind Tarifer­höhungen an die Mitarbeiter weiterzugeben. Dabei dürfen die Tariferhöhungen aber auf eine bereits oberhalb des Tarifgehalts liegende Vergütung angerechnet werden. Ein Verweis im Arbeitsvertrag, dass „im Übrigen“ der Tarifvertrag gelte, reicht für eine wirksame Vereinbarung des jeweiligen Tarifgehalts dagegen nicht aus.

„Lohnfortzahlung auch bei Krankheit? Aber das ist doch nur eine Aushilfe!“: Nahezu jede Apotheke beschäftigt einen oder mehrere Boten sowie eine Putzhilfe. In der Regel handelt es sich bei diesen Mitarbeitern um sogenannte 400-€-Kräfte, im Alltag werden sie als „Aushilfe“ bezeichnet. Häufig werden sie auch so behandelt – umso größer ist die Überraschung, wenn eine der vermeintlichen „Aushilfen“ Lohnfortzahlung bei Krankheit verlangt oder nach einer Kündigung gerichtliche Hilfe in Anspruch nimmt und Recht bekommt.

Eine Aushilfe ist ein Arbeitnehmer, der zur Überbrückung eines vorübergehend erhöhten Arbeitsanfalls eingestellt wird. Besonders häufig werden Aushilfen in Saisonbetrieben wie Gaststätten mit Außenbetrieb oder z.B. als Erntehelfer beschäftigt. Boten in Apotheken dagegen werden dauerhaft beschäftigt und sind daher keine Aushilfen im arbeitsrechtlichen Sinn, sondern vollwertige Arbeitnehmer. Als solche haben sie Anspruch auf bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Einhaltung der einschlägigen gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfristen und sie genießen Kündigungsschutz wie jeder andere Mitarbeiter auch. 400-€-Kräfte sind also Teilzeitbeschäftigte mit allen Arbeitnehmerrechten. Aufgrund der Höhe ihres Einkommens werden sie lediglich sozial- und steuerrechtlich anders behandelt.

Jasmin Theuringer, Rechts-
­anwältin, Bellinger Rechts­-
anwälte und Steuerberater,
40212 Düsseldorf,
E-Mail: theuringer@bellinger.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2010; 35(24):10-10