Prof. Dr. Reinhard Herzog
Auftraggeber-Interesse beeinflusst Ergebnisse
Die erste Frage sollte der Herkunft der Studie gelten. Unterschieden werden das „Sell-Side-“ und das „Buy-Side-Research“. Beim „Sell-Side-Research“ geht es dem Finanzdienstleister oder dem – beispielsweise vom Emittenten finanzierten – Analystenhaus darum, die Aktie populär zu machen und das Interesse der Investoren zu wecken. Die Informationen werden daher entsprechend positiv ausfallen, Verkaufsempfehlungen sind die große Ausnahme. Gut beraten sind Investoren in diesem Fall, wenn sie eine gewisse Skepsis walten lassen und wenn sie – vor allem – auch zwischen den Zeilen lesen.
Dies gilt besonders, wenn derartige Analysen von den Medien nachgedruckt werden: Viele Zeitschriften rühmen sich zwar einer redaktionellen Unabhängigkeit, wissen aber dennoch den „Komfort“ der Übernahme einer fertigen Analyse – verbunden möglicherweise mit einem lukrativen Anzeigenauftrag des beworbenen Unternehmens – zu schätzen. Gerade nach dem Auflagenschwund der vergangenen Jahre hat sich dieser Trend deutlich verstärkt; Leidtragende sind letztlich die Anleger.
Neutraler gehalten sind meist die „Buy-Side-Analysen“, die in erster Linie für die hauseigene Vermögensverwaltung und die Eigenanlage sowie für die angeschlossenen Geschäftsstellen erstellt werden. Sie findet man allerdings selten in den Medien, einige Häuser halten sie ganz unter Verschluss. Probleme sind jedoch vorprogrammiert, wenn eine Studie bekannt wird und im Widerspruch zur Analyse der „Sell-Side“ steht: Nicht ganz zu Unrecht fragen sich die Anleger dann, welchen Wert die publizierten Informationen tatsächlich haben.
Doch nicht nur die Zielsetzung einer Analyse sollten Anleger beachten: Ähnlich wie bei Arbeitszeugnissen hat sich mittlerweile auch bei Finanzanalysen ein gewisser „Geheimkodex“ entwickelt, ausgelöst durch manche überhitzte Reaktion des Marktes in der Vergangenheit. So wird die Empfehlung „kaufen“ oder „verkaufen“ heute von den meisten Finanzdienstleistern nicht mehr allzu gerne verwendet:
- Zum einen könnten solche klaren Aussagen zu starken Kursgewinnen oder -verlusten beim jeweiligen Wert führen, wenn sich alle angesprochenen Anleger blind daran halten.
- Zum anderen sind – zumindest in der Theorie – auch Haftungsfragen zu beachten, wenn sich ein Analyst allzu optimistisch oder pessimistisch gibt.
Klare Signale sind die große Ausnahme
Entsprechend liest man heute eine Vielzahl recht nuancenreicher Abstufungen, wobei es allerdings von Anbieter zu Anbieter Unterschiede gibt. Dies beginnt im Bereich der Handlungsempfehlung: Der Hinweis „kaufen“ oder „buy“ ist ein recht klares Signal – allerdings auch nur, wenn sich das Institut nicht mit dem Ausdruck „strong buy“ selbst übertrifft. Denn damit wird „buy“ abgestuft, das Papier erscheint nur noch haltenswert. Gleiches gilt bei einem Verkaufshinweis: „Verkaufen“ oder „sell“ gilt als extremes Signal, das jedoch im Falle eines ebenfalls verwendeten „strong sell“ in seiner Bedeutung reduziert wird.
Schwieriger wird es im mittleren, also neutralen Bereich. Hier findet sich oftmals eine Gewichtungsempfehlung, also „übergewichten“, „neutral gewichten“ oder „untergewichten“. Im Klartext entspricht dies wiederum den – allerdings abgeschwäch‑ten – Signalen „kaufen“, „halten“ und „verkaufen“. Nur allzu gerne werden aber auch seltener verwendete Begriffe der Analyse vorangestellt. Ein „weak hold“ – auf Deutsch: „schwach hal‑ten“ – gilt unter Insidern als Verkaufssignal, ein „accumalate“ – also zukaufen – steht meist für eine eigentlich gute Aktie, die aktuell etwas unter Druck steht und nachgekauft werden kann. So recht überzeugt hat der Wert den Analysten jedoch nicht.
Vergleich zum Gesamtmarkt
Zunehmender Beliebtheit erfreut sich schließlich auch die Einschätzung einzelner Aktien im Vergleich zum Gesamtmarkt: Als „Outperformer“ werden Werte bezeichnet, deren Kursentwicklung auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten besser verlaufen könnte als der Gesamtmarkt oder der jeweilige Branchenindex. „Market Performer“ sind Papiere, die mit dem Index gehen, und eine „Underperformance“ wird festgestellt, wenn ein Wert voraussichtlich schlechter tendiert als das jeweilige Börsen- bzw. Branchenbarometer. So interessant solche Signale sein können, so riskant sind sie jedoch auch: Wenn der Markt um 50% einbricht, ist ein Verlust von 40% eine deutliche „Outperformance“ – für den Anleger jedoch nur ein sehr schwacher Trost.
Ein Blick zurück kann sich lohnen
Entscheidend für den Anlageerfolg sind jedoch nicht allein die aktuellen Bewertungen: Erfahrene Investoren beobachten auch die Entwicklung der veröffentlichten Signale. Hat ein Analyst bei der Daimler-Aktie „halten“ empfohlen, während er sie zuvor als „Outperformer“ bewertet hat, ist darin eine verklausulierte Verkaufsempfehlung zu sehen. Umgekehrt gilt als Kaufsignal, wenn der „halten“-Hinweis nach einer bisherigen „Underperformer“-Einstufung abgegeben wurde.
In jedem Fall sollten Anleger auch den Gültigkeitszeitraum für die Prognose beachten. Wird ein Signal ausdrücklich als „Trading“-Hinweis gegeben, gilt es für die nächsten drei bis sechs Monate. Hingegen sehen die meisten anderen Analysen einen Zeithorizont von sechs bis zwölf Monaten vor. Ist die Bewertung schließlich mit einem Hinweis auf Langfristigkeit versehen, können Anleger sich auf einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten einstellen.
Keinesfalls sollten Anlageentscheidungen jedoch allein auf Basis einer einzigen Analyse getroffen werden, sondern die Meinungen unterschiedlicher Experten berücksichtigen. Hier leistet das Internet gute Dienste: In den Programmen von Kreditinstituten, aber auch Finanzmagazinen finden sich häufig neben den eigentlichen, oft wörtlich übernommenen Analystenschätzungen Übersichten über die Anzahl der in letzter Zeit ausgewerteten Analysen und deren Tendenz. Anhand dieser Konsensusschätzungen kann man sich ein recht gutes Bild über die Expertenmeinungen machen.
Allerdings sollte sich kein Anleger allein auf die Analystenaussagen verlassen, sondern sich selbst einen Überblick verschaffen, z.B. auf der Homepage des jeweiligen Unternehmens. Hierzu zählen insbesondere Fragen nach der Umsatz- und Ertragsentwicklung der vergangenen Jahre, der Produktpalette und den Zukunftsperspektiven. Auch ein Blick auf den Chart kann sich lohnen, ist im aktuellen Kurs doch meist die erwartete Entwicklung der kommenden Jahre bereits eingepreist.
Pluspunkt: offene Unternehmenskommunikation
Gerade die Homepage ist in vielen Fällen ein wichtiger Maßstab, um chancenreiche Aktien herauszufinden: Ein Unternehmen, das in leicht verständlicher Form umfassend über alle Ereignisse berichtet und bereitwillig alle relevanten Unternehmenskennzahlen veröffentlicht, genießt an der Börse bereits einen erheblichen Bonus. Muss man jedoch die gewünschten Informationen erst mühsam suchen oder sich gar umfangreiche Dokumente herunterladen, um einzelne Zahlen zu finden, spricht dies gegen ein Engagement. Grundregel: Je offener die Unternehmenskommunikation, umso günstiger sind auch die Chancen auf eine solide Kursperformance.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2012; 37(21):12-12