Mitarbeiterführung

Vom Umgang mit „High Potentials“


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Eigentlich sollte sich jeder glücklich schätzen, der heute hoch talentierte Mitarbeiter oder gar richtige „High Potentials“ in seinen Reihen weiß. Solche Menschen haben und sie länger behalten sind jedoch verschiedene Dinge, und so warten hier etliche Herausforderungen.

Situationsanalyse

Damit Sie mit solchen Bedenken adäquat umgehen können und mehr Chancen erkennen als Risiken fürchten, ist eine sachliche Bestandsaufnahme gefragt:

  • Worin besteht die tatsächliche oder nur vermutete Überlegenheit des Mitarbeiters mir gegenüber?
  • Was kann ich umgekehrt hinsichtlich meiner Fähigkeiten und Erfolge in die Waagschale werfen?
  • Worin bestehen nun die Ängste, kann ich sie konkreti­sieren? Muss ich beispielsweise einen künftigen Konkurrenten, einen internen Machtkampf, Rangeleien unter Alphatieren, die Spaltung und Parteienbildung innerhalb meiner Mitarbeiterschaft fürchten? An welchen Stellen sind die Befürchtungen berechtigt, wo sind sie dagegen rein emotional bedingt, vielleicht sogar völlig irrational?

Wenn man sich viele Situationen genauer anschaut, wird man feststellen, dass der Top-Mitarbeiter in einigen Belangen in der Tat besser als der Chef abschneidet (häufig sind das: Fachwissen, Umgang mit neuen Techniken, Schnelligkeit und Auffassungsgabe, Neugier und Energie), in anderen ist aber bisweilen so­gar eine dramatische Unter­legenheit festzustellen, z.B. hinsichtlich der Lebens-, Berufs- und Füh­rungs­erfahrung, aber auch bei Be­ziehungsnetzwerken, Ab­ge­klärt­heit, Umgang mit (Miss-)Erfolgen, weitsichtigem strategischem Den­ken und umsichtigem Haushalten mit Ressourcen und den eigenen Kräften.

Bisweilen entpuppen sich manche vermeintliche Talente nach einiger Zeit gar als Blender – viel versprochen, wenig gehalten.

Wer sich dergestalt der Sachlage stellt, kann viel souveräner agieren und muss sich nicht von diffusen Ängsten beherrschen lassen, dass jemand an der eigenen Stellung rütteln oder auf andere Weise gefährlich werden könnte.
Hoch talentierte Mitarbeiter gibt es auf verschiedenen Gebieten: der fachlich brillante Tüftler und Forscher, der präzise Zahlenmensch, das Gedächtnis-Genie – alles recht klar umrissene Spe­zialisten-Fähigkeiten, die in bestimmten Bereichen sogar ex­trem wertvoll sein können. Gefährlich werden solche Menschen Ihnen nur selten, denn dazu fehlen oft zu viele andere Fähigkeiten. Häufig finden sich sogar ausgesprochene Schwächen auf sonstigen Gebieten oder es mangelt an Selbstbewusstsein.

Hier geht es dann darum, diese Spezialisten durch kluge Führung und Anleitung im Sinne des Unternehmens zu entwickeln und adäquat einzusetzen, um von ihrem Sachverstand optimal zu profitieren. Durch gut auf das jeweilige Talentprofil zugeschnit­tene Aufgaben und Herausforderungen mit der Möglichkeit, in den Spezialgebieten zu brillieren, halten Sie die Motivation hoch.

Die Kunst besteht darin, diese Menschen andererseits nicht zu sehr in ihren Nischen verschwinden zu lassen. Man muss sie „erden“ und in das übrige Geschehen einbinden. Alsbald entwickeln sich nämlich sonst Son­derlinge, die diverse Marotten entwickeln, manchmal wie eine Glucke auf ihrem Expertenwissen hocken und sorgsam darauf bedacht sind, sich diesen Experten- und Unverzichtbarkeitsstatus zu erhalten. Probleme kann es am ehesten in kleinen Betrieben geben, die keinen Raum für solches Spezialistentum zulassen und wo jeder alles können und erledigen muss.

Manche vermeintlichen „High Potentials“ bleiben beständig unter ihren Möglichkeiten und verkaufen sich unter Wert, oft aus persönlichen Gründen, weil beispielsweise Familie oder Freizeitaktivitäten im Vordergrund stehen oder weil man sich „den Stress“ einer Karriereentwicklung nicht antun möchte. Insoweit sind das letztlich keine „High Potentials“ mehr, sondern einfach Talentierte, die ihr Potenzial eben nicht ausnutzen. Für einen Arbeitgeber sind das häufig echte Bereicherungen, kauft er sich doch für verhältnismäßig wenig Geld ungeschliffene Diamanten ein, die ansonsten für wenig Ärger sorgen und nicht beständig auf ein Kräftemessen aus sind. Gleichwohl gilt es, diese Spezies gerade aus Sicht des Inhabers sorgfältig zu pflegen. Oftmals sind es hier Kleinigkeiten und Dinge auf der Gefühlsebene, die darüber entscheiden, ob sich diese Mitarbeiter wohlfühlen, sich gewinnbringend einsetzen und insoweit auch zu Ihrem Erfolg beitragen.

Umgang mit Alphatieren

Als Chef am meisten gefordert werden Sie jedoch von den Top-Talenten, die um ihre Fähigkeiten wissen, ausgesprochen selbst­bewusst und echte Alphatiere (oder auf dem besten Weg dazu) sind. Manchmal ist sogar schon von vornherein klar: Diese Arbeitsstelle ist eine „Durchgangsstation“, absehbar wird der Mitarbeiter z.B. die heimische Apotheke übernehmen oder sich anderweitig weiterentwickeln.

Damit sind wir beim ersten Punkt, den es frühzeitig zu klären gilt: Geht es um ein langfristiges Arbeitsverhältnis oder ist es absehbar, dass ein Angestelltenverhältnis in Ihrer Apotheke den Mitarbeiter nicht auf Dauer befriedigen wird? Einiges lässt sich bereits während des Rekrutierungsprozesses klären und kann dann entsprechend im Arbeitsvertrag berücksichtigt werden.

Infrage kommt beispielsweise eine Befristung des Arbeitsverhältnisses, das stellt einiges klar und wirkt als „Stopper“ gegen Fehlentwicklungen. Allerdings lässt sich nicht jeder darauf ein, schon gar niemand, der um seinen „Marktwert“ weiß. Zudem müssen Sie aufpassen, damit nicht ein negatives Signal zu senden: Im Grunde misstraue ich Ihnen erst einmal, schauen wir zunächst, wie Sie sich so machen. Manch einer reagiert darauf irritiert oder gar gekränkt – keine gute Startvoraussetzung. Ehe man sich dann für wirklich weit schlechtere Bewerber entscheidet, wird man wohl Entgegenkommen zeigen und sich auf sein Beobachtungsvermögen in der Probezeit verlassen. Bei der Wahl zwischen einer Top-Kraft und einem „nur“ guten Bewerber kann das bereits anders aussehen.

Zu überlegen sind auch Kon­kurrenzklauseln („nachvertragliches Wettbewerbsverbot“), um das Risiko einer Konkurrenzgründung „gegenüber“ im Falle von approbierten Mitarbeitern oder der Abwanderung zum Hauptkonkurrenten um die Ecke zu minimieren. Dabei sind allerdings einige Voraussetzungen zu beachten (Karenzentschädigung nach Ablauf des Arbeitsverhältnisses in Höhe von mindestens 50% der früheren regelmäßigen Bezüge, maximal zwei Jahre, Schriftform­erfordernis etc.). Um hier nicht in Vertragsfallen zu tappen, ist eine fachliche Beratung (Arbeitsrechtler) dringend anzuraten. Doch besser ist es natürlich, es gar nicht auf die Nagelprobe ankommen zu lassen, und daran haben Sie ebenfalls Ihren Anteil.

Fördern und fordern

Sie haben sich für eine Top-Kraft entschieden und bauen auf ein längerfristiges Engagement? Das klappt am besten, wenn Sie Per­spektiven bieten können – fachlicher Art, aber auch durch mehr und mehr Verantwortung in personel­ler und managementbezogener Hinsicht. Erarbeiten Sie also mit dem Mitarbeiter eine schrittweise, an das Erreichen vereinbarter Ziele geknüpfte indi­viduelle Entwicklungsperspektive – step by step, mit steter Rückkopplung. Genau darauf kommt es an: im Gespräch bleiben, Ziele abgleichen, die Dinge nicht einfach laufen lassen und nebeneinanderher arbeiten, mit der Gefahr, dass sich Probleme anstauen und erst viel zu spät erkannt werden.

Die „Karriere“ kann sich bis hin zur Stellvertretung und einer Partizipation an den Erfolgen der Apotheke erstrecken: Gewinnbeteiligungen und Tantiemen in wirklich beachtlicher Höhe (und nicht nur ein verkapptes 13. Gehalt), möglicherweise eine regelrechte Mitunternehmerschaft in Form einer OHG-Beteiligung, was allerdings eine belastbare Vertrauensbasis und persönliche Harmonie voraussetzt.

Nachfolger aus Talentpoolrekrutieren?

Das oben Gesagte leitet bereits zu einem naheliegenden Gedanken über: Als potenzielle Nachfolger für meine Apotheke kommen nur die Besten infrage. Diese zeigen erst einmal als An­gestellte, was sie können, und werden dann auf die Nachfolge vorbereitet. So logisch das klingt und ja durchaus funktioniert – der Weg ist gleichwohl mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Die einfachere und stressärmere Lösung ist daher gerade bei starken Apotheken, am Tag X rasch und konzentriert den Verkaufsprozess zu starten und auf dem freien Markt zu suchen.

Denn so gut sich der potenzielle Nachfolger auch macht – wenn es dann an die Übergabe geht, ist das Konfliktpotenzial groß. Gerade wer längere Zeit als Chef-Stellvertreter in der „zweiten Reihe“ tätig war, reklamiert einen Gutteil des Betriebserfolges (bisweilen ja zu Recht) für sich, und damit fangen die Probleme an. Es werden Vorzugskonditionen erwartet, schließlich hat man ja lange „gebuckelt“ und auf die Nachfolge hingearbeitet. Dem beugen Sie am besten vor, indem Sie gerade solche Top-Kräfte adäquat honorieren – Sie sind ihnen dann nichts schuldig. Für herausragende Leistungen hat es gutes Geld gegeben, sollte es mit der Nachfolge wider Erwarten doch nicht klappen, brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben.

Falls sich tatsächlich ein ent­sprechendes Frustpotenzial aufgebaut hat, kann es im Vorfeld einer geplanten Übergabe zu einem permanenten Kräftemessen und Zerren um die Macht kommen. Nicht selten wird das üb­rige Personal mit hineinge­zogen, schlimmstenfalls findet eine Spaltung in die Chef-Frak­tion und die Nachfolger-Fraktion statt. Spätestens jetzt sind Entscheidungen fällig, entweder im Sinne der geplanten Übergabe oder aber in Form einer Alternative ohne den Kronprinzen oder die Kronprinzessin. Denken Sie dabei immer daran: Man sieht sich oft zweimal im Leben, gestalten Sie also auch diesen Schlussakt fair! Kluge Arbeit­geber haben bereits Wege im Hinterkopf, die man dem einstigen Hoffnungsträger außerhalb der eigenen Apotheke ebnen kann.

Fazit: Eine oder zwei Nummern kleiner reichen oft auch

Bei näherer Betrachtung ist das Thema „High Potentials“ gerade für den Kleinbetrieb „Apotheke“ ausgesprochen ambivalent. Während Großkonzerne und Forschungsinstitutionen auf die Besten angewiesen sind und diesen adäquate Bedingungen bieten können, sieht das in der Apotheke zumeist deutlich anders aus. Benötigt man hier überhaupt herausragende Talente? Und kann man diesen die wünschenswerten Entfaltungsmöglichkeiten bieten?

Gar nicht so selten wird daher das Ergebnis lauten: Eine oder zwei Nummern kleiner tun es auch. Wer aber Top-Leute aufnimmt, sollte sich der besonderen Herausforderungen bewusst sein. Denn schließlich stellt auch ein hochkarätiger Sportwagen andere Anforderungen an das Fahrkönnen als ein Allerweltsmobil – es sei denn, Sie fahren ihn nur im ersten Gang auf dem Hof…

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2013; 38(09):5-5