Berufliche Alternativen

Noch einmal (woanders) durchstarten?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Die Stimmung ist bei vielen Inhabern am Boden und oft schlimmer als die objektive Lage. Wer hat sich da nicht schon einmal nach einer beruflichen Alternative zur Apotheke gefragt? Gibt es überhaupt realistische Optionen? Oder ist die Apotheke doch nicht so schlecht?

Fremdbestimmt am Gängelband, durchwachsene Perspektiven, wenn man nicht gerade zum „Oberhaus“ der Apotheken gehört, eine tägliche Arbeitssituation, die mit der eigentlichen Pharmazie und Naturwissenschaft nur noch wenig zu tun hat und die der blanke Hohn angesichts der Bezeichnung „Freiberufler“ ist: Es gibt heute eine Vielzahl an Gründen, warum nicht wenige am liebsten „hinschmeißen“ würden. Manche trösten sich damit, dass wenigstens das „Schmerzensgeld“ noch stimmt, und zählen die Tage, Monate und Jahre bis ... ja, bis wann eigentlich? Bis zur Rente kann der Weg verdammt lang sein.

Inneren Frieden findet man jedoch erst, wenn man sich mit möglichen Alternativen auseinandergesetzt hat und selbst zur tiefen Überzeugung kommt, dass entweder eine bestimmte Alternative erstrebenswert und erreichbar erscheint, oder eben die bestehende Situation im Grunde „alternativlos“ ist. Dann besteht die Aufgabe darin, daraus das Beste zu machen. Hier gibt es mehr Möglichkeiten, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Jedenfalls kann es keine Lösung sein, wenn Ihre Stimmung auf Dauer-Tiefpreisniveau verharrt und Sie Ihre Situation nur noch als „Dauerferien vom eigentlichen Ich“ wahrnehmen.

Kompletter Neustart

Die einschneidendste Variante ist die, einen kompletten „Kaltstart“ in eine neue berufliche Zukunft hinzulegen. Wobei wir unterscheiden müssen: den völligen Neustart in einem fachfremden Betätigungsfeld und die „kleine Variante“, nämlich nur einen Wechsel innerhalb des Berufs (Wechsel der Apotheke, Wechsel in ein Angestelltenverhältnis). Betrachten wir die radikale Version, stellen sich vorweg entscheidende Fragen, wie sie in der Checkliste zu finden sind.

Checkliste „Neuanfang“

  • Was erwarte ich überhaupt, was sich im Vergleich zu meiner jetzigen Lage verbessern soll und auch praktisch kann? Was gebe ich auf? Auflisten!
  • Ist mein Leidensdruck wirklich so hoch, was habe ich heute auszustehen – im Vergleich zu anderen Berufen, die mir aus der Ferne so attraktiv erscheinen? Zuverlässige Informationen und Praxisberichte „aus Nachbars Garten“ sammeln!
  • Bringe ich die Flexibilität mit, ggf. nochmals „von unten“ neu anzufangen, mich neu einzulernen in andere Gegebenheiten, Anforderungen und persönliche Umgebungen?
  • Besteht im neuen Betätigungsfeld überhaupt Bedarf an Leuten wie mir? Marktsituation? Was qualifiziert mich, dort im oberen Viertel mitzuspielen? Es wird meist auch woanders schwierig, wenn man nicht zu den Besseren gehört!
  • Kann ich mir das überhaupt finanziell in meiner privaten Lage leisten? Wie sieht es mit den Übergangs- und Anlaufzeiten aus?
  • Macht mein persönliches Umfeld mit?
  • „Brenne“ ich für die neue Tätigkeit („Überzeugungstäter“) oder ist es nur eine reaktive Flucht ins Unbekannte?

Bedenken Sie: Im Vergleich zum „geschützten Biotop Apotheke“ geht es „draußen“ meist härter mit mehr „Stühlerücken“ und Wechseln zu!

Es reicht nicht, unzufrieden und frustriert zu sein. „Reif zum Ausbruch“ erfordert mehr, vor allem eine Menge Kraft und Motivation. Oft werden Sie sich erst einmal schwerer tun als heute. Das ist erträglich, wenn Sie den Neustart aus echter Überzeugung heraus durchziehen. Doch was kommt überhaupt infrage?

  • Nochmals eine andere Ausbildung machen bzw. studieren, ggf. berufsbegleitend. Abgesehen von der Berufswahl, ist zu bedenken, dass Sie meist mit jüngeren, flexibleren und mit aktuellen Fähigkeiten gesegneten Kommilitonen (z.B. „digital natives“) um den Einstieg konkurrieren werden. Dafür können Sie andere, praktische Erfahrungen in die Waagschale werfen.
  • „Kaltstart“ in ein Betätigungsfeld ohne vertiefte neue Ausbildung. Das reicht von diversen Vertriebs-, Makler- und Vermittlertätigkeiten (oft selbstständig möglich, z.B. Handelsvertretung, Agentur) bis hin zum unternehmerischen Einstieg in ganz andere Märkte. Hier gibt es nichts, was es nicht gibt. Einen Eindruck vermitteln „Unternehmerbörsen“ im Internet oder die Kammerblätter der IHK, in welchen sich Firmen zur Übergabe finden. Banken und größere, branchenübergreifend tätige Steuerkanzleien sind ebenfalls Ansprechpartner. In der radikalsten Variante spielt sich der Neustart außerhalb der Landesgrenzen ab.

Hier gilt es einfach, ehrlich zu sein: Sind Sie ein „Management-Ass“, können Sie persönlich überzeugen, sind Sie weltgewandt, aber in Ihrer Apotheke bislang schlicht versauert, dann kann es Ihnen durchaus gelingen, gar einen komplett fachfremden Betrieb zu übernehmen und auf Kurs zu bringen. Viele andere Manager tun das ja auch: Karrieren z.B. vom Automobilzulieferer zur Kosmetikfirma und dann zum Pharmagroßhandel sind nicht unüblich. Allerdings: Das sind angestellte Manager mit dem Sicherheitsnetz eben dieser Anstellung. Als Firmenübernehmer schweben Sie frei in beträchtlicher Fallhöhe. Bevor es überhaupt zur Übernahme kommt, müssen Sie meist Geldgeber überzeugen. Oder Sie schauen nach Alternativen mit überschaubaren Investitionen:

  • Beratende, künstlerisch-gestaltende, schriftstellerische oder lehrende Tätigkeiten.
  • Hochinteressant sind Spezialdienstleistungen („ökologische Nischen“), die allerdings durchweg entsprechendes Know-how erfordern: Unternehmensberatung, Themen wie QMS, GMP und Sicherheit im Pharma-, Lebensmittel- und Kosmetiksektor, Patent- und Markenwesen (ggf. aufwendige Ausbildung zum Patentanwalt nötig) etc.
  • Mancher macht sich gar seine ehemaligen Kollegen zu Kunden: An, nicht mit der Apotheke verdienen! Hier gibt es jedoch viele „Eintagsfliegen“ und gescheiterte Konzepte.
  • Übernahmen in Einzelhandel und Gastronomie. Mit frischen Konzepten ist dort immer noch so manch schneller Euro zu machen. Doch selbst bei raschem Erfolg ist die Nachhaltigkeit traditionell nicht allzu groß – wie sieht es in fünf oder zehn Jahren aus, zumal im Zeitalter der digitalen Umwälzungen?

Wirkliche Verbesserung?

Meist besteht eben in Märkten mit niedrigen Einstiegshürden kein Mangel an Anbietern! Es wird deshalb sehr schwerfallen, dort ein apothekenadäquates Einkommen mit zudem ähnlicher Sicherheit zu erzielen. „Geschützte Biotope“ gibt es da nicht so viele ...

So bleibt die Erkenntnis: Möchten Sie weiter in erster Linie Ihre Arbeitskraft verkaufen und gleichzeitig die Investitionen klein halten, kommen wieder bevorzugt Dienstleistungstätigkeiten infrage. Die erwirtschaftbaren Stundenerträge sind allerdings oft überraschend bescheiden, es sei denn, Sie können wiederum ein rares und gefragtes Expertenwissen verkaufen. Entschädigen mag jedoch der Aspekt der größeren Freiheit und Unabhängigkeit von Politik und Kostenträgern.

Sind Sie hingegen ein aus vollem Holz geschnitzter, führungsstarker, risikobereiter Unternehmer, stellt sich durchaus die Frage, ob Sie nicht ein „ganz großes Rad“, nur woanders, drehen können. Allerdings müssen Sie sich selbstkritisch fragen, warum Sie das bisher nicht in Ihrem angestammten Metier zuwege gebracht haben ...

Brücke in die „Freiheit“

Ein harter Schnitt „Knall auf Fall“ raus aus der Apotheke und der angestammten Tätigkeit dürfte bei vielen Kollegen und Kolleginnen großes Unbehagen auslösen, so ganz ohne Netz und doppelten Boden. Somit bieten sich „gleitende Übergänge“ an. Hierfür gibt es eine Reihe erfolgreicher Beispiele.

Eine Variante ist, ein schon lange gepflegtes Hobby oder eine Passion im Rahmen des Apothekenbetriebes weiterzuentwickeln. Das kann der Weg in den therapeutischen Bereich sein, wobei sich hier die Ausbildung zum Heilpraktiker als am ehesten erreichbares Ziel anbietet. Bekannte Heilpraktiker erzielen ein mit normalen Arztpraxen oder Apotheken vergleichbares Einkommen, manche Heilpraxen sind „Cashcows“. Die Anlaufzeiten sind in schöner Regelmäßigkeit sehr lang, die Konkurrenz ist groß, der Patientenstrom bei Weitem nicht so garantiert wie in einer halbwegs gut liegenden Apotheke. Der Arbeitseinsatz ist umsatzproportional hoch, denn Sie verkaufen eben wieder „nur“ Ihre Arbeitszeit!

Wer seinen Lebensinhalt in der qualifizierten Beratung sieht, kann eine solche für die verschiedensten Lebenssituationen anbieten. Es soll sogar schon Fälle gegeben haben, wo sich Kollegen zum erfolgreichen, seriösen Finanz- und Anlageberater entwickelt haben! Andere Apothekeninhaber haben eine ausgeprägte künstlerische, technische, schriftstellerische oder handwerkliche Ader. Man schaue nur einmal in die Geschichte, wie viele Dinge in Apotheken erfunden wurden (und teils den Grundstein für große Firmen gelegt haben)!

Berufsbegleitend noch einmal studieren?

Erwähnt seien in diesem Zusammenhang die außerordentlich vielfältigen Möglichkeiten der berufsbegleitend möglichen Fernstudien in verwandten oder völlig fremden Berufszweigen. Allein die Recherche nach dem Begriff „Fernstudium“ fördert eine Unmenge an Möglichkeiten zutage. Bisweilen bessert sich Ihre Stimmungslage schon ganz erheblich und nachhaltig, wenn Sie sich einfach mal vertieft mitetwas anderem beschäftigen. Die Frage nach dem völligen Ausstieg aus der Apotheke stellt sich dann infolge der neu gewonnenen Zufriedenheit vielleicht gar nicht mehr.

Trauen Sie sich etwas! Leben Sie Ihre Kreativität aus! Mit der Sicherheit der Apotheke im Hintergrund haben Sie beste Startchancen, um die Sie manch „Start-up“ beneidet. Doch müssen Sie sich Freiräume schaffen. In erster Linie benötigen Sie dazu ein gut eingespieltes Team. Sie werden dann vielfach wirtschaftliche Neutarierungen vornehmen müssen: Weitgehende Freiheit erkaufen Sie sich oft nur durch Gewinnverzicht!

Modell „Privatier“

Nicht wenige haben nicht mehr die Kraft und die Lust, noch einmal durchzustarten. Sie zählen vielmehr die Tage bis zur Rente oder „finanziellen Freiheit“. In der Tat ist das Erreichen der finanziellen Freiheit ein in höchstem Maße erstrebenswertes Ziel! Denn es bedeutet, etwas tun zu können, aber es nicht mehr zu müssen. Was gibt es Schöneres? Die langfristig angelegte, clevere Geldanlage ist ein wesentlicher Baustein auf dem Weg dahin.

Fragenliste „Vorruhestand“ / „Privatier“

  • Welches laufende Einkommen werden Sie auf welchen Zeithorizont benötigen? Wer hängt noch alles daran (familiäre Fragen)? Wo soll das „neue“ Leben verbracht werden – von „heutigem Zuhause“ bis „Aussteigerszenario“ in Übersee?
  • Welchen Kapitalstock benötigen Sie dann? Beiträge, Steuern und Unvorhergesehenes berücksichtigen, bedenken Sie die nötige Dynamisierung der Entnahmen!
  • Wie sieht Ihr Kapitalstock aus? Ehrliche Vermögensbilanz erstellen, sprich echtes Nettovermögen nach Schulden (davon frei verfügbar/anlegbar/verwertbar) ermitteln!
  • Welche Erträge sind daraus erzielbar, mit welcher Sicherheit? Wer hat das Know-how dafür, und wer kümmert sich auf Dauer darum?

Unterschätzt werden die Beträge und Kapitalrenditen, die nötig sind, um über längere Zeit hinweg vom Vermögen leben zu können, selbst wenn man es ganz aufbraucht (siehe Tabelle). Steuern und Versicherungsbeiträge schmälern zudem die Entnahmen empfindlich.

Gern übersehen wird die Erfordernis der Dynamisierung der Entnahmen, wenn es über Jahrzehnte hinweg funktionieren soll. 2% pro Jahr sollten es zurzeit schon sein. Denn was sind 5.000 € monatlich noch in 20 oder 30 Jahren wert? Was müssen Sie dann z.B. allein für die Krankenversicherung bezahlen? Das heißt aber: In 20 Jahren benötigen Sie statt heute 5.000 € monatlich gut 7.400 € bei nur 2% Plus pro Jahr. Ungeplante größere Ausgaben greifen den Kapitalstock an und mindern in der Folge die laufenden Erträge, die nur noch aus dem Restbetrag erwirtschaftet werden können. Erst eine irgendwann hinzutretende Rente sorgt wieder für eine Entschärfung der Lage. All das gilt es zu beachten, bevor man sich als „Privatier“ verabschiedet.

Am Ende zeigen die Zahlen: Echte finanzielle Freiheit beginnt im deutlich siebenstelligen Vermögensbereich – für die meisten kaum erreichbar.

Apotheker Dr. Reinhard Herzog, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2016; 41(09):4-4