Prof. Dr. Reinhard Herzog
Leider allzu häufig ist zu beobachten, dass sich das Umfeld gravierend ändert – und mit ihm auch die Einzelhandels- und Firmenlandschaft. Nur bei vielen Apotheken scheint das Rad stehen zu bleiben, manche wirken wie eine aus der Zeit gefallene Reminiszenz an die „guten alten Jahre“. So nehmen die Umsätze oft einen ähnlich gestrigen Verlauf und halten mit der Marktentwicklung nicht mehr Schritt.
Welches sind heute die wichtigsten äußeren Einflussfaktoren sowie Bedrohungen für den Apothekenerfolg?
Fast jeder Branchenkundige würde wohl auf Arztpraxen als wichtigste Erfolgsbringer tippen, gefolgt von potenten Frequenzbringern wie großen Lebensmittlern – und liegt damit sicher nicht falsch.
Erfolgsfaktor Bevölkerungsdichte
Weniger im Fokus steht jedoch das Bevölkerungs- und damit das Kundenpotenzial im unmittelbaren Umfeld. Der wichtigste Parameter ist dabei die Bevölkerungsdichte innerhalb der berühmten „5 Fußminuten“, was etwa 400m bis 500m entspricht. Solche Strecken werden typischerweise zu Fuß zurückgelegt, ohne auf motorisierte Verkehrsmittel zurückzugreifen. Das entschärft nebenbei die Parkplatzfrage.
Ein Kreis mit einem 500-m-Radius umschließt knapp 0,8 Quadratkilometer Fläche. Dahinter können in einem noblen Villenviertel gerade einmal einige hundert Liegenschaften mit einer entsprechend begrenzten, wenn auch wohlhabenden Kundenklientel stecken. Das Marktpotenzial ist demzufolge überraschend begrenzt. In Trabantenstädten und Wohnsilos kann sich hier aber ohne Weiteres eine fünfstellige Einwohnerzahl wiederfinden. Wer hier einigermaßen platziert ist, dem sind weit überdurchschnittliche Umsätze fast garantiert – erst recht, wenn noch der eine oder andere Verschreiber in diesem Umfeld praktiziert. Tatsächlich finden sich höchst erfolgreiche Apotheken an solchen von außen betrachtet alles andere als attraktiv ausschauenden Standorten: „Geschäft wird dort gemacht, wo die Leute sind.“
Arztpraxen: wenig Neues
Wenig Neuigkeiten gibt es von den Arztpraxen als den wichtigsten „Königsmachern“ der Apotheken zu vermelden. Hausärzte, breit aufgestellte Internisten sowie Kinderärzte bringen sowohl Frequenz als auch Umsatz. Spezialärzte wie Neurologen, Lungen- und Nierenexperten oder Urologen treiben die Umsätze bei geringen Spannen in teils schwindelerregende Höhen, das „Klumpenrisiko“ für die Apotheke ist hierbei aber hoch. Augenärzte sind übrigens infolge teurer Spezialpräparate umsatzmäßig aus ihrem früheren Verordnungsschatten herausgetreten. Im Hinblick auf die Standortwertigkeit und Zukunftssicherheit kommt es heute immer mehr darauf an, nicht nur von ein oder zwei Praxen existenziell abhängig zu sein.
Gefährdeter Facheinzelhandel
Im Bereich des Einzelhandels als Frequenzbringer (Center, städtische Lauflagen) bahnen sich hingegen epochale Veränderungen an. Der Bedrohungs-Mix aus Online-Konkurrenz (bis hin zu Frische-Lieferdiensten für Lebensmittel), teils horrenden Mieten und dem Aussterben der inhabergeführten Fachgeschäfte verändert die Flaniermeilen nachdrücklich. Es dominieren Filialisten und Ketten, insbesondere aus den Bereichen Bekleidung, Mobilfunk und „Convenience Food“.
Demzufolge verändern sich die Art und Anzahl der Passanten erheblich. Solche Frequenzstandorte sind heute mit anderen Augen zu bewerten als noch vor einigen Jahren, insbesondere was die längerfristige Zukunft angeht. Hier mit hohen Mieten und langer Bindung ins Obligo zu gehen, will heute im Vergleich zu den 1990er und frühen 2000er Jahren sehr gut überlegt sein.
Als ein weiterer, noch wenig beachteter Standortfaktor muss heute das Arbeitskräfteangebot vor Ort gelten. Gibt es genügend geeignete und bezahlbare pharmazeutische Fachkräfte?
Die größten Standortgefährdungen
Neben den „Klassikern“ – Ärzte ziehen weg, Hauptfrequenzbringer brechen ein oder ganz weg – stehen heute die massiven Bauaktivitäten ganz oben auf der Liste der Standortbedrohungen. Teilweise kann man von grassierendem Bauwahn sprechen. Wenn man Glück hat, geht es „nur“ um temporäre Baustellen, die sich allerdings über Monate, teils über Jahre hinziehen und mehr als die Hälfte des Umsatzes kosten können. Hinterher sollte wieder alles ins Lot kommen. Wobei das so eine Sache ist: Kunden, die in andere Apotheken abgewandert sind, wollen erst einmal zurückerobert werden!
Wenn es dumm läuft, ist der Endzustand schlechter als die Ausgangslage: Bushaltestelle verlegt, sonstige Verkehrsführung apothekennachteilig geändert, Eingangsbereiche ungünstig umgestaltet und vieles mehr. Umgekehrt kann man auch profitieren.
In jedem Fall ist zu empfehlen, sich über die anstehenden Bauvorhaben der Gemeinde und privater Investoren im Apothekenumfeld intensiv zu informieren.Schließlich haben solche Bauprojekte erhebliche Vorlaufzeiten. Viel zu oft werden Kollegen noch von so etwas überrascht bzw. haben keine Vorstellungen davon, was wirklich auf sie zukommt.
Der Immobilien- und Bauboom in den Stadtregionen führt zu weiteren Verschiebungen der Standortwertigkeiten. Im Zuge der Neugestaltung ganzer Stadtviertel („Gentrifizierung“) verändert sich die Bevölkerungsstruktur. Es birgt durchaus Risiken für die Apotheke, wenn die ältere Stammkundschaft durch hippe, jüngere Bewohner ersetzt wird, die völlig anders „ticken“ und nebenbei einen weit niedrigeren Arzneimittelbedarf haben. Wer hier dann nicht hinsichtlich Erscheinungsbild und Angebotspolitik mit der Zeit geht, der verschwindet mit der Zeit ganz …
Eine weitere Konsequenz des niedrigzinsgetriebenen Immobilienbooms sind teilweise beträchtlich anziehende Mieten. Die Neuverhandlung eines auslaufenden Mietvertrages in einem attraktiv gelegenen Objekt kann heute schnell ein veritabler „Gamechanger“, schlimmstenfalls „Showstopper“ werden. Wie weit man hier „mitpokern“ darf bzw. wann man besser aussteigt und andere Standortoptionen prüft, ist eine individuelle, oft analytisch anspruchsvolle Aufgabe. Diese Sachlage mag dazu verführen, sich auf einen langfristigen, unflexiblen Mietvertrag einzulassen (z.B. 20 Jahre fest am Stück). Vorsicht! Flexibilität ist und bleibt Trumpf, denn Situationen ändern sich! Fünf Jahre plus drei Mietoptionen für je fünf Jahre wären sicher besser.
Demgegenüber rücken die eher auf lange Sicht wirksamen demografischen Entwicklungen in den Hintergrund. Weiterhin wird die Kaufkraft in der Bedeutung eher überschätzt. Sie spielt in anderen Branchen eine viel größere Rolle. Warum? Ob nun vor Ort durchschnittlich 100 € OTC-Umsatz je Einwohner getätigt werden statt 80 €, macht angesichts von 450 € bis 500 € Pro-Kopf-Verschreibungsumsatz nicht so viel aus. Zudem verlangt ein anspruchsvolles, hochwertig orientiertes und oft sehr „spezielles“ Kundenpublikum in der Apotheke nach sehr viel Zeit und Aufmerksamkeit, was die höheren Erträge relativiert.

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(20):4-4