Offene Fragen zur Kassen-Nachschau

Wenn der Inhaber abwesend ist


Dr. Bernhard Bellinger

In vergangenen AWA-Ausgaben haben wir Ihnen bereits erläutert, was Sie bei der sogenannten „Kassen-Nachschau“ beachten sollten (vgl. AWA 19/2017, AWA 13/2018). Wie aber verhält es sich, wenn ein Prüfer während Ihrer Abwesenheit in der Apotheke steht?

Als der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2018 in die Abgabenordnung (AO) den §146b mit Regeln zu einer Kassen-Nachschau einfügte, war zunächst die Verwirrung groß: Was bedeutete das nun konkret? Rechtlich bis heute nicht geklärt ist, ob während der Abwesenheit des Inhabers eine Kassen-Nachschau möglich ist – und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Denn §146b AO befasst sich nicht mit der Frage, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist.

Die Finanzverwaltung hat versucht, das Beste daraus zu machen und einen Anwendungs-Erlass zu §146b AO (AEAO) zur Verfügung gestellt [1]. In Ziffer 4 heißt es dort: „Ist der Steuerpflichtige selbst [...] nicht anwesend, aber Personen, von denen angenommen werden kann, dass sie über alle wesentlichen Zugriffs- und Benutzungsrechte des Kassensystems des Steuerpflichtigen verfügen, hat der Amtsträger sich gegenüber diesen Personen auszuweisen und sie zur Mitwirkung bei der Kassen-Nachschau aufzufordern. Diese Personen haben dann die Pflichten des Steuerpflichtigen zu erfüllen, soweit sie hierzu rechtlich und tatsächlich in der Lage sind (§35 AO).“

Der letztgenannte §35 AO hat folgenden Wortlaut: „Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters [...], soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.“

Die folgenden Ausführungen beziehen hierzu kritisch Stellung.

Prinzipiell bedarf jedes Handeln eines Finanzbeamten einer gesetzlichen Ermächtigung. Verwaltungsanweisungen wie der AEAO zu §146b ersetzen eine solche jedoch nicht, sondern können nur interpretieren, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Fehlt es an einer gesetzlichen Vorschrift, kann eine Verwaltungsanweisung die Lücke also nicht schließen.

Wer hat „wesentliche Zugriffs- und Benutzungsrechte“?

Das Gesetz adressiert die Pflichten des steuerpflichtigen Unternehmers bei der Kassen-Nachschau nur an diesen selbst – im Falle einer Apotheke somit an Sie als Inhaber. Sind Sie nicht anwesend, fehlt also automatisch der Pflichtige, der bei der Kassen-Nachschau mitwirken muss [2]. Wenn somit hinter der Verkaufstheke irgendeine zum Kassieren berechtigte Person steht, stellt sich automatisch die Frage, weswegen angenommen werden kann, dass diese Person „über alle wesentlichen Zugriffs- und Benutzungsrechte des Kassensystems“ verfügt.

Wer im Kassensystem eines Warenwirtschaftssystems kassieren darf, hat einen optischen Zugriff auf wesentliche Daten des Verkaufs – aber nicht auf alle. In der sogenannten „Kassenauftragszeile“, die alle korrespondierenden Daten des Geschäftsvorfalls abbildet, sind je nach System bis zu 80 Informationen zu einem einzelnen Verkaufsfall gespeichert. Wenn Sie dulden, dass der Kassen-Nachschauer diesen Datensatz speichert, dann würden Sie ihm mehr Informationen zur Verfügung stellen, als der Kassierende selbst sehen kann (z.B. den Einkaufspreis und damit Ihre Gewinnmarge). Denn regelmäßig bestehen für solche Daten Zugriffskonzepte. Von daher wird es praktisch nie die Vermutung geben können, dass eine Person, die nicht der Inhaber ist, „über alle wesentlichen Zugriffs- und Benutzungsrechte des Kassensystems“ verfügt – und schon gar nicht, dass Angestellte einen Zugriff auf betriebliche Kontoauszüge hätten, die man bei der Kassen-Nachschau durchaus als vorlagepflichtig ansehen darf [3].

Überdies sehen die „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ (GoBD) [4] sowie die neue Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSGneu) Datenzugriffs-Konzepte vor, die sich nicht damit vertragen, Nicht-Inhaber dazu aufzufordern, mit der Kasse in Verbindung stehende Daten zu transferieren. Denn diese Personen dürften entsprechende Zugriffsrechte gar nicht haben.

Wer ist „verfügungsberechtigt“?

Betrachten wir weiterhin §35 AO: Verfügungsberechtigter in diesem Sinne – und damit hinsichtlich der Kassen-Nachschau nach §146b AO zur Mitwirkung verpflichtet – kann statt des Inhabers nur derjenige sein, der

a) vom Inhaber zur Mitwirkung bei der Kassen-Nachschau bevollmächtigt ist oder
b) durch seine Arbeitsplatzbeschreibung mit der Erfüllung steuerlicher Pflichten (z.B. zur Abgabe von Lohnsteuer- oder Umsatzsteuer-Voranmeldungen) beauftragt ist oder
c) vom Inhaber mit der kompletten wirtschaftlichen Leitung des Betriebes beauftragt ist und dabei als Ansprechpartner auch nach außen auftritt.

In einer Apotheke würde entsprechend außer Ihnen als Inhaber nur jemand bei der Kassen-Nachschau mitwirken müssen, der eine dieser drei Voraussetzungen erfüllt. Da Filialleiter einer Apotheke keine leitenden Angestellten sind, sondern kraft Gesetz nur pharmazeutische Verantwortung haben (vgl. auch AWA 2/2018), würden sie automatisch als Mitwirkungsverpflichtete ausscheiden.

Zudem wäre zu fragen, wann und warum ein Kassen-Nachschauer vermuten könnte, dass ein Mitarbeiter rechtlich und tatsächlich in der Lage sei, einen Daten-Transfer im Rahmen einer Kassen-Nachschau zu begleiten. Warum sollte dieser Mitarbeiter über sämtliche Passwörter für die notwendigen Daten verfügen? Allein ein Warenwirtschaftssystem, das konform mit den GoBD (Textziffer [Tz.] 100) die Zugangsberechtigungen sortiert, würde eine solche Vermutung automatisch gegenstandslos machen.

Was ist der aktuelle Stand?

Gerade sind die internen „Grundsätze für die Durchführung einer Kassen-Nachschau (§146b AO)“ der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen (OFD NRW) publik geworden [5]. Danach soll der Inhaber, wenn er abwesend ist und kein Bevollmächtigter angetroffen wird, durch Mitarbeiter gebeten werden, in den Betrieb zu kommen. Ist er „verhindert oder ein zeitnahes Erscheinen nicht möglich, ist [seine] Einwilligung zur Durchführung der Kassen-Nachschau mit einer der angetroffenen Personen einzuholen. Wird diese Zustimmung oder die Mitwirkung verweigert, ist die Kassen-Nachschau zu beenden und hierüber ein Aktenvermerk zu erstellen.“

Bei einer Filiale hingegen geht die OFD NRW in Ziffer 3c offenkundig davon aus, mit dem Filialleiter eine „Person mit entsprechender Kassenberechtigung“ vor sich zu haben, die zur Mitwirkung bei der Kassen-Nachschau verpflichtet sei. Das ist bei Apotheken nicht richtig. Hier gelten die Grundsätze für den Inhaber unverändert.

Fazit

Diese Ausführungen zeigen, dass die Auffassung, die in Ziffer 4 der AEAO zu §146b veröffentlicht wurde, juristisch nicht zu halten sein wird. Die Verfügung der OFD NRW zur Situation beim fehlenden Inhaber ist juristisch präziser als der AEAO, aber in Bezug auf Filialleiter jedenfalls bei Apotheken abzulehnen.

Sind Sie also nicht damit einverstanden, dass während Ihrer Abwesenheit in der Apotheke eine Kassen-Nachschau durchgeführt wird, sollten Sie dazu stehen und sie legitim durch Ihre Mitarbeiter ablehnen lassen. Andernfalls müssten Sie einem Mitarbeiter eine mehr oder weniger vollständige Einsicht in Wirtschaftsdaten der Apotheke (Umsatz, Rohertrag) geben. Wenn Sie dazu bereit sind, sollten Sie der betreffenden Person (und nur ihr) eine entsprechende schriftliche Vollmacht erteilen.

Service

[1] Bundesministerium der Finanzen (BMF), Schreiben vom 29.05.2018, Aktenzeichen: IV A 4 - S 0316/13/ 10005 :054

[2] Bellinger, B., BBK 24/2017, S. 1168ff.

[3] Achilles, G., Der Betrieb (DB) 1–2/2018, S. 18ff.

[4] BMF, Schreiben vom 14.11.2014, Aktenzeichen: GZ IV A 4 – S 0316/13/10003

[5] Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen, Schreiben vom 21.06.2018, Aktenzeichen: S 1504 - 2017/0001 - St 435

gut zu wissen:

Für Ihren Steuerberater könnte eine ausführliche Version dieser Stellungnahme interessant sein, die sich auch mit den weiteren Regelungen des AEAO zur Kassen-Nachschau beschäftigt:

Bellinger, B., BBK 6/2018, S. 280ff.

Dr. Bernhard Bellinger, Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht, 40212 Düsseldorf, E-Mail: bellinger@bellinger.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(15):12-12