Valsartan – der nächste „Aufguss“

Alles gut in unserer Pharmalandschaft!?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Schulterklopfen, dankende Worte, alles gut gelaufen. Auf die deutschen Apotheken ist eben Verlass. Alle von den möglichen N-Nitrosodimethylamin (NDMA)-Verunreinigungen betroffenen Valsartan-Präparate sind feinsäuberlich aussortiert und retourniert. Alles im Lot?

Nun, das womöglich dicke Ende ist noch gar nicht so richtig umrissen. Nachdem es Wochen gedauert hat, bis erste Analyseergebnisse eintrudelten (dankbarerweise von unserem Zentrallaboratorium mit Werten von 3,7 bis 22µg NDMA je Tablette in unterschiedlichen Valsartan-Dosierungen), weiß man dennoch nicht so recht, was man damit anfangen soll.

Eine erste Bewertung gab Ende Juli die US-amerikanische Food & Drug Administration (FDA) heraus – Basis waren ihre Analyseergebnisse, die vorerst im Dunkeln blieben, angesichts derselben Wirkstoffquelle aber mit unseren vergleichbar sein sollten: Wer vier Jahre lang Valsartan in der hohen Dosierung von 320mg täglich eingenommen hat, sieht demzufolge einem Risiko von etwa 1:8.000 für eine NDMA-bedingte Krebserkrankung entgegen. Oder anders gewendet: Auf ein „Valsartan-Patientenjahr“ steht ein zusätzliches Krebsrisiko von etwa 1:32.000. Die European Medicines Agency (EMA) nennt inzwischen ein Risiko von 1:5.000 – in sieben Jahren (und damit von ähnlichen 1:35.000 je „Valsartan-Patientenjahr“).

Das kann man als viel ansehen, oder als sehr wenig. So haben die zumeist älteren Patienten bereits ein allgemeines jährliches Krebsrisiko im Promille- bis unteren Prozentbereich (also von 1:1.000 bis über 1:100), wie man Auswertungen des Robert-Koch-Instituts entnehmen kann. Angesichts der hiesigen betroffenen Patienten reden wir mutmaßlich über eine statistische zusätzliche Krebserkrankungszahl im unteren zweistelligen Bereich jährlich. Nichtsdestotrotz ist dies z.B. wenig gegenüber der hoch fünf- bis niedrig sechsstelligen Zahl an schweren Herzereignissen und Infarkten allein in den USA infolge jenes Vioxx-Skandals vor rund 15 Jahren, der dann das „Ende“ einiger COX-2-Inhibitoren einläutete.

Wir können insoweit fast froh sein. Doch was, wenn die Risiken ungleich höher gewesen wären? Wäre ein Rückruf auf Patientenebene sinnvoll gewesen? Schwupps, sähe die Erfolgsbilanz weniger gut aus – weil das in unserem System schlicht nur lückenhaft möglich ist. Hierfür kann man viele Gründe anführen, bis hin zum Datenschutz. Wir rühmen uns als die unverzichtbare Bastion der Arzneimittelsicherheit, und können doch glücklich sein, dass uns die wirklichen Lackmustests erspart bleiben, weil vieles an anderen Stellen abgefangen wird.

Noch betrüblicher: Andere Branchen können es besser. Beispiele gefällig? Vielleicht haben Sie sich schon gefragt, wie es in der Automobilbranche möglich ist, zielgenau diejenigen Kunden zu ermitteln, die von einem ganz bestimmten Defekt ihres Fahrzeugs betroffen sind, ob nicht öffnende Airbags, nicht funktionierende Gurtschlösser oder auch „Beschiss-Software“. Die Rückverfolgbarkeit zu den Kunden mittels „Track and Trace“ bzw. entsprechender Datenbanken (bei Kraftfahrzeugen ist es die Fahrzeug-ID bzw. „Fahrgestellnummer“ in Kombination mit den Zulassungsdaten) machen es möglich – und das seit Jahrzehnten.

Wir sollten uns also nicht zu sehr überhöhen. Weder wissen wir zu vielen Problemen wirklich gute Antworten (das gilt trotz publizierter Sartan-Austausch-Tabellen auch für die scheinbar einfache Fragestellung, welche Wirkstoff-Alternativen nun als Ersatz infrage kämen und wie das neue Nutzen-Risiko bewertet werden müsste – wer sich einmal mit kompetenten Fachärzten auf tiefere Diskussionen einlässt, wird staunen, welche Defizite die typischen Pharmazeuten noch hinsichtlich der in praxi therapeutisch relevanten Aspekte haben). Noch würden wir eben einen Rückruf auf Patientenebene bravourös meistern.

Wir haben auf unserer logistischen Ebene geglänzt, die mehrheitlich bis zur Apothekentüre reicht. Um als umfassende Arzneimittelexperten abseits des „Pharmalateins“ aus Studienzeiten und der Schrulligkeiten der Apothekengesetzgebung wahrgenommen zu werden, haben wir noch eine hübsche Wegstrecke zu gehen, und zwar technisch (u.a. mit einer Medikationsmanagement-Software, die ihren Namen verdient), organisatorisch und politisch. Auf geht’s!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(16):19-19