Die Qual der Wahl

Ist weniger mehr?


Andreas Kinzel

Es gibt viele Kriterien, nach denen Kunden „ihre“ Apotheke und dort „ihre“ Produkte auswählen. Eines davon ist die Anzahl der Auswahlmöglichkeiten. Für Sie stellt sich dabei die Frage: Wann verkaufen Sie mehr? Wenn Sie dem Kunden eine kleine oder eine große Auswahl bieten?

Macht weniger zufriedener? Nicht unbedingt! Vielmehr zeigen Untersuchungen, dass Kunden eine große Auswahl attraktiv finden. Ist die Auswahl allerdings zu groß, kann sie die Kunden auch überfordern [1].

Wie viele verschiedene Nasensprays führen Sie? Wie viele davon stehen in der Sichtwahl? Finden sich alle Produkte, die Sie von einer Kosmetikmarke vorrätig haben, im Regal? Fällt es dem Kunden dann leicht, sich für das „Richtige“ zu entscheiden? Können Sie bei einer solchen Auswahl noch kompetent beraten? Fragen über Fragen!

Was sich von Marmelade lernen lässt

Eine größere oder eher eine kleinere Auswahl? Womit lässt sich mehr verkaufen? Eine bekannte Untersuchung dazu ist das sogenannte „Marmeladenexperiment“ [2]. In einem gehobenen Lebensmittelgeschäft bot man den Kunden in zwei Versuchsanordnungen eine unterschiedliche Anzahl an Marmeladensorten zum Probieren an: An der größeren Auswahl (24 Sorten) kamen 242 Personen vorbei. Von ihnen blieben zwar 145 (60%) stehen, es kauften letztlich aber nur vier (1,7%) ein Glas. An der kleineren Auswahl (6 Sorten) kamen 260 Personen vorbei, von denen wiederum nur 104 (40%) stehenblieben, jedoch 31 (11,9%) anschließend ein Glas erwarben. Somit führte die größere Auswahl zwar zu einer erhöhten Aufmerksamkeit der Kunden. Allerdings war der Erfolg – also die Quote tatsächlicher Käufe – bei einer kleineren Auswahl wesentlich größer. Das bestätigten auch weitere Untersuchungen. Sie zeigten ebenfalls, dass sich durch eine Sortimentsreduktion ein höherer Umsatz erzielen lässt [1]. Demzufolge ist bei der Auswahl manchmal weniger mehr.

Für Sie besteht die Schwierigkeit nun darin, dem Kunden ein angemessenes Angebot zu bieten, ihm (weitgehend) die konkrete Entscheidung abzunehmen und ihm trotzdem das Gefühl zu geben, dass er die völlige Entscheidungsfreiheit im Dschungel der Sortimentsvielfalt hat. Gerade die (wahrgenommene) Entscheidungsfreiheit nämlich führt dazu, dass der Kunde sich nicht zu etwas gezwungen, sondern vielmehr von Ihnen wertgeschätzt fühlt und deshalb eher zum Kauf bereit ist.

Wie Sie Ihre Kunden nicht überfordern

Wenn Sie die Auswahl begrenzen wollen, sollten Sie die umsatzschwächsten Artikel zumindest aus der Sichtwahl, gegebenenfalls aber auch aus dem Gesamtsortiment, nehmen. Dabei gilt es sicherlich, die Wünsche spezieller Kunden zu beachten. Doch dann sollten Sie auf die kleinsten Mengen der entsprechenden Produkte zurückgreifen.

Zumeist genügt es, in der Sichtwahl – z.B. bei Generika – nur eine einzige Marke zu platzieren. So ist es beispielsweise im Hinblick auf den Abverkauf fraglich, ob Sie drei verschiedene Alternativen an Nasensprays mit denselben Eigenschaften präsentieren sollten: Testen Sie das doch einmal selbst in einer Abwandlung des „Marmeladenexperiments“ (Kasten)! Hinzu kommt, dass Sie – so Sie mehrere Alternativen anbieten – vielleicht auch in die Verlegenheit geraten, die genauen Unterschiede zwischen den einzelnen Präparaten erläutern zu müssen.

Geschickt kann es allerdings sein, verschiedene Varianten bestimmter Präparate anzubieten. Dann können Sie im Beratungsgespräch jeweils auf die entsprechenden Vorteile hinweisen. Hierdurch schlagen Sie gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Zum ersten zeigen Sie, wie vielfältig Ihr Sortiment ist. Zum zweiten können Sie Ihre Kompetenz unter Beweis stellen. Und zum dritten überlassen Sie dem Kunden (scheinbar) die Entscheidung.

Allerdings sollten Sie nur zwei, maximal drei verschiedene Varianten anbieten. Sind es mehr, kann der Kunde in der sogenannten „Consumer Confusion“ landen: Die Auswahl würde ihn verwirren und überfordern. Das wiederum führt dazu, dass er unter Umständen überhaupt nicht kauft und stattdessen die Apotheke mit den Worten „Ich überlege es mir nochmal“ verlässt.

Im Beratungsgespräch ist es geschickt, geschlossene Fragen zu stellen. Bei dieser Art von Fragen bleiben dem Kunden nur die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Die einfachsten Varianten dabei sind „Ja oder Nein?“ sowie „Entweder x oder y?“ Auch wenn Sie den Kunden auf diese Weise sehr gut lenken können, hat er eine Wahlmöglichkeit und damit das Gefühl, selbst entscheiden zu können.

Mit offenen Fragen hingegen geben Sie ihm tatsächlich die Möglichkeit, frei zu antworten. Das ist nicht nur für ihn anstrengender, weil er über seine Optionen nachdenken muss, sondern auch für Sie: Denn Sie sind dann in ein längeres Beratungsgespräch verwickelt. Beispiele für geschlossene und offene Fragen finden Sie übrigens in Tabelle 1.

Soll das nun heißen, dass Sie nur das Allernötigste vorrätig haben sollten? Nein! Das wiederum führt auch nicht zum Erfolg. Fehlt nämlich das „Richtige“ im Regal, sind viele Kunden sogar verärgert und kaufen in der Folge nicht bei Ihnen, sondern vielmehr bei der Konkurrenz [3, 4]. Folglich sollten Sie Ihr Sortiment allgemein sowie insbesondere die in der Sichtwahl präsentierten Produkte am Image Ihrer Apotheke und an den Bedürfnissen Ihrer Kunden ausrichten.

Was heißt das für die Praxis?

Zusammenfassend gilt es also, möglichst viele Kundenwünsche abzudecken, ohne dabei zu viele weitestgehend identische Produkte anzubieten. Dazu sollten Sie ein gut strukturiertes Sortiment anbieten, das sich in einer ausgewogenen Mischung widerspiegelt: Markenprodukte sollten ebenso wie Generika, Innovationen ebenso wie Traditionelles und Verkaufsrenner ebenso wie Produkte zur Erfüllung von Spezialwünschen vertreten sein.

Sicherlich hat ein Kunde bei einer großen Auswahl viel mehr Möglichkeiten. Allerdings wird die Entscheidung für ihn damit oft auch komplizierter. Meist kann somit ein kleines, aber feines Sortiment den Umsatz mehr steigern als eine scheinbar unendlich große Auswahl. Manchmal ist eben weniger mehr!

Literatur

[1] Schweizer, M., Rudolph, T.: Wenn Käufer streiken, Wiesbaden: Gabler 2004

[2] Iyengar, S.S., Lepper, M.R., Journal of Personality and Social Psychology 2000, 79 (6): S. 995–1006

[3] Helm, R., Hegenbart, T.: Regallücken im Einzelhandel. In: Helm, R., Stölzle, W. (Hrsg.): Optimal Shelf Availability, Frankfurt/Main: Deutscher Fachverlag 2009, S. 111–132

[4] Helm, R. et al.: Die schwierigen letzten 50 Meter, Absatzwirtschaft 7/2007, S. 48

Andreas Kinzel, Apotheker und Diplom-Kaufmann (FH), 80637 München, E-Mail: a-kin@web.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(16):10-10