Standespolitik

Zu leise, gerade richtig, gar zu laut?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Was für eine Frage, die angesichts des nahenden Apothekertages durchaus aktuell ist! Natürlich ist unsere Standespolitik viel zu nachgiebig und zu leise. Die Interessen der Apotheken werden viel zu schwach vertreten. Das würden wohl die meisten von uns voller Überzeugung antworten – mit den üblichen Argumenten: Seit Jahren keine Honorarerhöhung, jedes Jahr geht es schlechter, die Bürokratie (von wem eigentlich alles vorangetrieben?) frisst uns auf …

Subjektiv mag das alles zutreffen – die berühmte „gefühlte“ Realität. Die objektiven Zahlen weisen jedoch auf den ersten Blick in eine andere Richtung: Beständig steigende Umsätze und (!) Roherträge, jedoch wachsender Aufwand und zunehmende Kosten. Unter dem Strich bleibt ein mäßiges Gewinnplus, jedoch auf einem ganz ordentlichen absoluten Niveau. Nur sagt dieser statistische Mittelwert immer weniger aus, viele Apotheken liegen weit darunter, andere profitieren. Filialverbünde machen das noch unübersichtlicher, da für die absolut teils beachtlichen Gewinnsummen ein großes Rad gedreht wird, was diese Beträge unter der Lupe harter, betriebswirtschaftlicher Kennzahlen schnell wieder verblassen lässt. Dennoch: Armut sieht immer noch anders aus. Und vom Apotheken-Versorgungsnotstand sind wir in der Breite meilenweit entfernt.

Das macht es für die Standespolitik in der Tat schwierig. Helfen könnte ein Verweis auf die neue Spendierfreudigkeit in anderen Bereichen des Gesundheitswesens. So soll die Pflege erheblich aufgestockt werden – nach Köpfen und hinsichtlich der Bezahlung. Bei den Heilmittelerbringern (v.a. Physiotherapeuten) greift seit letztem Jahr das Heil- und Hilfsmittelversorgungs-Stärkungsgesetz (HHVG) mit erheblichen Honorarverbesserungen im deutlich zweistelligen Prozentbereich in den Jahren 2017 bis 2019. Und es wird noch mehr gefordert. Das alles hat nur einen Schönheitsfehler: Das Einkommensniveau ist hier wie da weitaus niedriger. Selbstständige Physiotherapeuten verdienen bislang im Schnitt deutlich weniger als die Hälfte dessen, was ein selbstständiger Apotheker verdient.

Und ein bekanntes Honorargutachten meint gar, bei den Apothekengewinnen gehe noch was – nach unten. Bleiben die Ärzte als Orientierungsmarke. Nur sind diese traditionell in einer weitaus stärkeren Position, nicht zuletzt zahlenmäßig: Es gibt allein fast achtmal so viele „Kassenarztsitze“ wie Apothekeninhaber.

Gleichzeitig gilt es, die Eigenheiten und Skurrilitäten des Apothekenwesens zu verteidigen, obwohl es nicht leicht ist, dafür immer wirklich überzeugende, belegbare Rechtfertigungsgründe zu finden. Auch andere Apothekenstrukturen funktionieren mit Vor- und Nachteilen, das bestätigt der Blick ins Ausland. Hinsichtlich des Bewahrens bisheriger Strukturen ist die Standespolitik also sehr wohl erfolgreich, abgesehen vom „Ausrutscher“ des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) 2004, das die meisten heutigen Probleme (aber auch Chancen für die Starken) hervorgebracht hat. Im Übrigen wird dies von außen ebenfalls so gesehen – die „Apothekerlobby“ gilt in Politikerkreisen als stark!

Für das Bewahren gibt es eine gute Note, für die Zukunftsgestaltung eher nicht. Welche Position die Apotheke in zehn oder gar zwanzig Jahren einnehmen soll – bei fortschreitender Automatisierung, Digitalisierung und dem Vordringen künstlicher Intelligenz –, darüber bestehen noch viel zu wenig Vorstellungen abseits des Bisherigen. Vergessen wir nicht, dass die westlichen Gesellschaften vor den gewaltigen Herausforderungen stehen, ihre Positionen im weltweiten Wettbewerb zu verteidigen sowie z.B. den demografischen Wandel oder die Umwelt-, Klima-, Migrations- und Ressourcenfragen zu managen. Hier wird es zu Umschichtungen und neuen Prioritätensetzungen kommen müssen. Der jetzige Dürre-Sommer mag, auch wenn Wetter und Klima nicht das Gleiche sind, doch einen Ausblick darauf geben, was uns künftig ins Haus stehen könnte. Dagegen erscheinen unsere Apotheken-Sorgen als geradezu niedlich, absolut, aber auch hinsichtlich der betroffenen Personen.

Manchmal sind demzufolge leise Töne und gedämpfte Hintergrundmusik besser, solange man nicht weiß, welches Stück das große Orchester denn nun zum Besten geben soll. Nur die Backen aufzublasen reicht eben nicht, um anderen den Marsch zu blasen …

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(17):19-19