Cannabis

Vom Schmuddelkind zum globalen Hype


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Ein chinesisches Sprichwort sagt: "Weht der Wind der Veränderung durch das Land, bauen die einen Windmühlen und die anderen Mauern." Wie Chancenverwertung oder eben Chancenvermeidung ausschaut, sehen wir am Beispiel Cannabis, auch als Marihuana, Dope, Gras, Pot oder schlicht "Kraut" bezeichnet. Aus konservativer Sicht wird es von schrägen "Kiffern" konsumiert, die gutmütig-friedfertig etwas aus der Welt gefallen zu sein scheinen.

Drohend stehen die Begriffe Rausch- und Einstiegsdroge im Raum. Und so gilt dem klassischen "Genuss-Kiffer" immer noch das gestrenge Auge der Justiz, wenn auch mit unterschiedlicher "Sehschärfe". Man schaut über manches hinweg, teils weil es mehr oder minder offiziell legitimiert, teils weil es schlicht im Alltag etabliert ist. Der Ritterschlag der Legalisierung führt meist über den komplizierten Weg des medizinischen Nutzens. Erste Nationen wie Kanada, Uruguay oder manche Bundesstaaten der USA haben jedoch eine limitierte Legalisierung zu Genusszwecken auf den Weg gebracht. Das hat einen förmlichen Hype ausgelöst und nicht nur eine Menge Finanzkapital (darunter viel "Spielgeld"), sondern zwischenzeitlich selbst bekannteste Großkonzerne aus dem Lebensmittel-, Getränke- und Pharmabereich angezogen. Cannabis scheint zum kommenden Mega-Marken-Label zu werden: Cannabis-Coke, Dope-Schokoriegel, Hanf-Kosmetik und Vieles mehr. Nun rufen ernstzunehmende Analysten global gar einen kommenden dreistelligen Milliarden-Markt auf.

Wer früh auf diesen "grünen Goldrausch" an der Börse (vor allem in den USA und Kanada) gesetzt hat, konnte seinen Einsatz vervielfachen wie sonst nur mit Internet- und IT-Technikwerten à la Apple, Google und Co. Indes: Auf betriebswirtschaftliche Realitäten und Kennzahlen sollte man dabei (noch) nicht schauen. Millionen-Umsätze werden mit Milliarden bewertet! Das zeigt zum einen die Irrationalität der Börse, zum anderen aber auch das erwartete Zukunftspotenzial. Der Internet-Hype der Jahrtausendwende trug ähnliche Züge, brach zwischenzeitlich in sich zusammen – um dann nach einer scharfen Selektion zu einem neuen historischen Höhenflug der stärksten Player anzusetzen.

An Deutschland, dem Land der Bedenkenträger, geht dieser Hype natürlich vorbei. Vielmehr schaffen wir es in der Apotheke, durch irrsinnige Regulierungen trotz schon aus Schwarzmarktsicht völlig überzogener Preise noch ein Verlustgeschäft zu machen (und die Aufschläge sollen weiter gekürzt werden ...). So betrachtet schützt diese frühzeitige "betriebswirtschaftliche Vergällung" vielleicht sogar davor, nicht noch Verluste zu multiplizieren oder gar eines Tages den "Standard-Kiffer" in die Offizin holen zu müssen.

Was lernen wir daraus? Deutschland "kann" in erster Linie arbeitsaufwendig, kompliziert und teuer – seien es Autos, Bauwerke oder eben das Abfassen von Cannabisblüten. Einfach und rentabel? Fehlanzeige! Das ist auch eine Konsequenz daraus, dass hierzulande alle – gerne ideologisch aufgeladenen – Bedenken und theoretischen Risiken antizipiert werden, bevor überhaupt etwas in Gang kommt.

Das hebt gerade künftige Apothekenleistungen nach heutiger Herangehensweise entweder in den Premium- oder eben in den betriebswirtschaftlichen Verlustbereich. Doch die anspruchsvollen, gegebenenfalls teuer abrechenbaren Leistungen mit hohem belegbarem Nutzen sind ziemlich eng limitiert und erfordern eine Qualifikation sowie eine technische Ausrüstung, die mitnichten jeder liefern kann. Ein solcher Weg wird also viele Opfer – insbesondere unter den kleineren Betrieben – fordern, zumal der Markt solcher ausgesprochen hochwertiger Dienstleistungen in Teilen durchaus zentralisierbar ist.

Die Cannabis-Story zeigt wieder eindrucksvoll, dass der "Mauerbau" via Verkomplizierung alles andere als einträglich ist. Dennoch müssen Sie Cannabis monetär noch nicht ganz abhaken. Aus Sicht des Kapitalanlegers bleibt es hochspannend, aber auch extrem riskant. Es wird darauf ankommen, die Top 3 der künftigen globalen Marktplayer zu identifizieren und deren Aktien zu halbwegs vertretbaren Preisen langfristig einzusammeln. Medizinisch bleibt es ebenfalls spannend: Welche Wirkungen von Cannabis wird man noch alle nachweisen – oder dem "Kraut" nicht selten wohl auch andichten?

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(23):19-19