Reformvorschläge

Eine süße Versuchung mit giftigem Kern


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Nun sind sie also raus, die Zukunftsgedanken unseres Gesundheitsministers zur Apothekenwelt. Natürlich darf das Bekenntnis zur Apotheke vor Ort nicht fehlen. Solche Bekenntnisse zur Existenzberechtigung und Wichtigkeit des jeweiligen Publikums sind geübter Politikersprech, ob nun bei Apothekern, dem Verband der Krückstock-Hersteller oder der Vogelspinnenzüchter-Vereinigung. Sonst würde man sich als wichtiger Minister schließlich gar nicht erst zeigen.

Immerhin sind diese Gedanken nicht einmal eine Enttäuschung – die ja ein Ende der Täuschung bedeuten würde; doch hier war der Vorhang schon längst gelüftet. Vielmehr stellt sich eine Mischung aus Verwunderung, Verärgerung und Angst um die eigene Zukunft ein. Vor allem zwei Zahlen in einem sonst diskussionswürdigen Gesamtpaket machen die Zustimmung im Grunde unmöglich: 2,50 € (als willkürliche Bonus-Grenze je Rx-Packung nur für ausländische Versender, nicht jedoch für Inländer) und 5% (als eine frei erfundene Marktanteilsgrenze für den Versand, bei deren Überschreiten genau was passiert?)! Rechnerisch betrachtet bedeuten 5% Rx-Versandanteil, nach Packungen angenommen, knapp 4%-Punkte mehr als heute; bei 37.000 Rx-Packungen je durchschnittlicher Apotheke werden also zusätzlich rund 1.400 Packungen jährlich "zum Abschuss freigegeben". Der Rohertrag über alles mit marktüblichen Rabatten liegt heute je Rx-Packung bei rund 10 € – in den relevanten Fällen aber wohl höher, da für den Versand hochpreisige Artikel interessant sind. Damit sind die im vorgeschlagenen Paket erhöhten Notdiensthonorare (ca. 6.000 € je Apotheke) vollständig und die neuen Dienstleistungshonorare (gut 12.000 € je Apotheke) weitgehend aufgezehrt – bei mehr Arbeit für die Dienstleistungen!

Ein Trost: Ohne Rückenwind der Kassen und Zuweiser-Modelle (E-Rezept!) wird es der Versand aus eigener Kraft nur schwer schaffen, diese 5%-Marke zu erreichen – das lehrt die Historie. Jedoch dürfte der willkürliche Bonus-Deckel Gefahr laufen, beklagt zu werden, von Ausländern wie von Inländern (Inländer-Diskriminierung). Kippt er, ist der Versand das kleinste Problem. Dann konkurrieren die Apotheken vor Ort via Boni um die Rezepte! Im Grunde wäre es dann an ehrlichsten, die Preisbindung ganz aufzuheben. "Freie Preise" wären gleichwohl weitestgehend eine Illusion, denn sie würden dann sofort durch Verhandlungspreise mit den Kostenträgern abgelöst.

Verdoppelte Notdienstpauschalen und eine rund 1 € höhere Betäubungsmittelgebühr sind dagegen ein sanfter warmer Regen. Bei den Dienstleistungshonoraren (Umfang in der Summe 240 Mio. €) besteht die ernste Gefahr, sich wieder Arbeit zu teuer einzukaufen. Aber immerhin: Man könnte über neue Leistungen rechtssicher verhandeln.

Auch wenn Kollegen das anders sehen: Der Passus, die Transportbedingungen stärker zu regulieren, sollte die Alarmglocken eher eindringlich schrillen lassen. Ich sehe schon das "Apotheken-E-Bike" mit Spezial-Kühlbox und den jeweils deutlich vierstelligen Good-Distribution-Practice (GDP)-gerechten Umbau einer fünfstelligen Zahl von Apotheken-Botenautos. Da läuft manchem "Apotheken-Profiteur" bereits das Wasser im Mund zusammen. Und selbst für das fußläufige Austragen findet sich bestimmt eine Lösung – der Spezial-Kühlrucksack? Dieser Regulierungswahn trifft gerade die typischen Flächenapotheken, während Konzerne kraft ihrer Kapitalmacht am ehesten mit so etwas umgehen können. Über den pharmazeutischen (Un-)Sinn sollte man nicht ernsthaft streiten müssen; Kühlprodukte wurden und werden ja stets separat behandelt. Dieser Weg der Verkomplizierung hat sich immer wieder als Irrweg erwiesen. Wirkt hier endlich mal eine Lernkurve?

Es würde mich nicht wundern, wenn in den Mühlen und Untiefen der Diskussionen und Gesetzgebung das Rx-Versandverbot als "billiger Jakob" schneller wieder auf den Schirm käme als viele meinen. Denn es würde fast nichts kosten außer Überwindung – und sonstige Honoraraufbesserungen sind ja für diesen Fall schon abgeräumt. Trotz juristischer Unwägbarkeiten und einer unsicheren Beständigkeitsprognose wäre es ein monetär schmales Achtungs-Ergebnis für die Apotheken. Womöglich gäbe es dann aber noch eine Retourkutsche bei der Formulierung der künftigen Skonti-Regelungen, weil man Jens Spahn sein Versand-Spielzeug weggenommen hat ...

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(01):19-19