Wenn die Mitarbeiter Resturlaubstage haben

Was sich durch die aktuellen EuGH-Urteile verändert hat


Dr. Britta Bradshaw

Urlaubsansprüche sorgen oft für Spannungen im Arbeitsverhältnis: Resturlaubstage sollen genommen, ins nächste Kalenderjahr übertragen oder auch finanziell abgegolten werden. Was sich in der europäischen Rechtsprechung kürzlich geändert hat, erfahren Sie im Folgenden.

Die grundlegenden Regeln des Urlaubsanspruchs ergeben sich aus dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Danach stehen Arbeitnehmern während eines laufenden Arbeitsverhältnisses 24 Werktage Mindesturlaub zu – Samstage gelten in diesem Zusammenhang als Werktage. Der Bundesrahmentarifvertrag und der Rahmentarifvertrag Nordrhein sehen 33 Urlaubstage vor. Die Tarifverträge gelten aber selbstredend nur dann, wenn die Apotheke tarifgebunden ist.

Der Anspruch auf vollen Jahresurlaub wird bereits am 01.01. eines jeden Kalenderjahres fällig – sofern die "Wartezeit" von sechs Monaten bei einem neuen Arbeitsverhältnis überstanden ist.

Grundsätzlich ist der Urlaub innerhalb des laufenden Kalenderjahres zu gewähren. Es ist also generell nicht vorgesehen, ihn in das nachfolgende Kalenderjahr zu übertragen. Wenn dem allerdings dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe (z.B. Krankheit) entgegenstehen, können Urlaubstage nach §7 Abs. 3 BUrlG mit ins nächste Kalenderjahr genommen werden.

Der Urlaubsanspruch verfolgt einen doppelten Zweck: Er soll es dem Arbeitnehmer zum einen ermöglichen, sich von den arbeitsvertraglichen Pflichten zu erholen. Zum anderen soll er dem Arbeitnehmer Freizeit bieten.

Bei arbeitsrechtlichen Fragen und auch in Bezug auf Urlaubsansprüche rückt europäisches Recht immer mehr in den Vordergrund. So stärken auch die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) die Rechte von Arbeitnehmern in Bezug auf ihren Urlaubsanspruch. Nachfolgend stellen wir Ihnen die Urteile zu drei für Sie relevanten Fragestellungen vor.

Geht der Anspruch bei nicht beantragtem Urlaub verloren?

Einführend ein Beispiel: Das Arbeitsverhältnis von Mitarbeiter M in der Apotheke von Apotheker A endet zum 31.12.2018. M hätte zwar die Möglichkeit gehabt, Urlaub zu beantragen, nahm sie aber nicht wahr. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses bleiben ihm somit Resturlaubstage.

Normalerweise ist nach §7 Abs. 4 BUrlG vor Beendigung eines Arbeitsverhältnisses dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer alle ihm zustehenden Urlaubstage genommen hat. Urlaubstage dürfen zwar finanziell abgegolten werden, sofern es nicht mehr möglich ist, Urlaub zu gewähren. Dies setzt nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag gestellt hat (Urteil vom 25.07.2016, Aktenzeichen: 9 Sa 31/16).

Nun allerdings hat der EuGH entschieden, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht automatisch deshalb verfallen darf, weil der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat (Urteile vom 06.11.2018, Aktenzeichen: 6-619/16 und C- 684/16). Dass der Urlaub auch wirklich genommen wird, dürfe nicht allein auf den Schultern des Arbeitnehmers lasten. Denn dieser stelle die "schwächere Partei" dar, die sich womöglich nicht traut, Ansprüche geltend zu machen. Der Arbeitgeber ist deshalb verpflichtet, konkret und völlig transparent dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub tatsächlich nehmen kann.

Will heißen: Sie müssen Ihre Mitarbeiter nachweisbar dazu auffordern, ihren Urlaub zu nehmen, und sie ebenso klar wie rechtzeitig darauf hinweisen, dass der Urlaub andernfalls verfällt. Im Streitfall liegt es an Ihnen zu belegen, dass Sie den entsprechenden Mitarbeiter konkret aufgeklärt haben – und dass dieser explizit auf seinen Urlaub verzichtet hat.

Darf der Urlaubsanspruch für die Elternzeit gekürzt werden?

Auch zu dieser zweiten Frage einleitend wieder ein Beispiel: Mitarbeiter M, der erneut in der Apotheke von Apotheker A arbeitet, ist Vater geworden und beantragt Elternzeit. A ist damit einverstanden, kürzt den Urlaubsanspruch von M jedoch um ein Zwölftel für jeden Monat, in dem sich M in Elternzeit befindet.

Nach deutschem Recht ist es gemäß §17 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) möglich, den Erholungsurlaub, der dem Mitarbeiter zusteht, für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Erholung und Freizeit als Zwecke des Urlaubs werden durch die Kürzung nicht vereitelt. Denn dafür müsste der Mitarbeiter auch tatsächlich gearbeitet haben – was in der Elternzeit allerdings nicht der Fall ist.

Was Sie unbedingt beachten sollten: Der Urlaubsanspruch wird nach §17 Abs. 1 BEEG nicht automatisch gekürzt. Vielmehr müssen Sie als Arbeitgeber eine Kürzung zunächst selbst aktiv geltend machen [1].

Nun stellt sich regelmäßig die Frage, ob die Vorschrift des §17 Abs. 1 BEEG europarechtskonform ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Eine endgültige Entscheidung hat der EuGH noch nicht getroffen. Dennoch gibt ein Fall aus Rumänien zumindest Hinweise, in welche Richtung die obersten europäischen Richter zukünftig tendenziell entscheiden könnten (Urteil vom 04.10.2018, Aktenzeichen: C-12/17). Übertragen auf das deutsche Recht ließe sich aus diesem Urteil ableiten, dass der Urlaubsanspruch gemäß §17 Abs. 1 BEEG für einen Mitarbeiter in Elternzeit gekürzt werden darf, ohne dass die Gefahr besteht, gegen höherrangiges europäisches Recht zu verstoßen.

Was passiert mit dem Urlaubsanspruch im Todesfall?

Die dritte Frage schließlich wollen wir ebenfalls an einem Beispiel veranschaulichen: Der verheiratete Apothekenmitarbeiter M verstirbt während des laufenden Arbeitsverhältnisses. Seinen Jahresurlaub hat er noch nicht genommen. Ist der Urlaubsanspruch vererbbar? Und kann die Frau des M ihn geltend machen?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den Urlaubsanspruch bislang als persönlichen Anspruch des Arbeitnehmers bewertet. Die Begründung: Nur der Arbeitnehmer kann sich schließlich während des Urlaubs erholen und seinen Freizeitaktivitäten nachgehen. Anerkannt hat das BAG lediglich, dass Urlaubsabgeltungsansprüche, die durch ein bereits beendetes Arbeitsverhältnis entstanden sind, auf die Erben übergehen können (Urteil vom 22.09.2015, Aktenzeichen: 9 AZR 170/14). Der Arbeitnehmer muss also noch erlebt haben, dass das Arbeitsverhältnis beendet wurde – und darf somit erst anschließend verstorben sein.

Der EuGH vertritt hier allerdings eine andere Auffassung. Ihm zufolge muss das Arbeitsverhältnis nicht bereits beendet gewesen sein, damit Erben Abgeltungsansprüche geltend machen können (Urteile vom 06.11.2018, Aktenzeichen: C-569/16 und C-570/16). Das heißt konkret: Die Erben Ihrer verstorbenen Mitarbeiter können zukünftig auch dann die finanzielle Abgeltung von Urlaubsansprüchen verlangen, wenn das Arbeitsverhältnis zum Todeszeitpunkt noch nicht beendet war.

Der EuGH hat dabei ausdrücklich klargestellt, dass der bezahlte Jahresurlaub einen wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union darstellt. Sollten das deutsche Arbeits- oder Erbrecht dem entgegenstehen, müsste Entsprechendes der europarechtskonformen Auslegung weichen.

In Kürze: Was Sie tun sollten

Wirken Sie darauf hin, dass Ihre Mitarbeiter den Urlaub im laufenden Kalenderjahr nehmen.

Nimmt ein Mitarbeiter Elternzeit, und wollen Sie seinen Urlaubsanspruch während dieser Zeit um ein Zwölftel pro Monat kürzen, ist das möglich. Allerdings müssen Sie Ihrem Mitarbeiter das dann schriftlich erklären.

Literatur

[1] Müller-Glöge, R., et al. (Hrsg.): Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 19. Auflage, C.H. Beck: München 2018: § 17 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, Randnummer [Rn.] 3

Dr. Britta Bradshaw, Rechtsanwältin, Kanzlei Winterstein, 22926 Ahrensburg, E-Mail: bradshaw@kanzlei-winterstein.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(01):12-12