Gerne übersehen

Die gemeinen "C-Kosten"


Prof. Dr. Reinhard Herzog

ABC-Analyse – das jeder schon einmal gehört. Durch Kategorisierung in die "dicken Brocken" (=A), die Posten mittlerer Bedeutung (=B) und das ganze restliche "Kleinvieh" (=C) kann man sich viel Arbeit ersparen. Dazu arbeitet man sich zuerst an den A-Positionen ab, bei denen am meisten zu holen ist. Doch "Kleinvieh" macht auch Mist, und so besteht die Gefahr, bei zu konsequenter ABC-Fixierung eine ganze Menge zu übersehen.

Dazu ein Ausflug in andere Branchen. Die Autoindustrie ist bekannt dafür, rigide mit ihren Zulieferern umzugehen. Nun setzt sich so ein Automobil aus rund 8.000 bis 12.000 Einzelteilen zusammen, mehrheitlich Zulieferteile von unterschiedlicher Wertschöpfungstiefe und unterschiedlichem technischem Anspruch.

Zum einen besteht die Herausforderung darin, trotz erheblichen Kostendrucks ein möglichst durchgehend hohes Qualitätsniveau sicherzustellen. Da kann auch das "Kleinvieh" im Cent-Bereich viel und teuren oder gar gefährlichen Ärger machen, sei es eine abgefallene Schlauchschelle, ein undichter Stecker oder eine instabile Schraube z.B. für die Gurtverankerung. Zum anderen kann man sich angesichts der Fülle an Teilen ausmalen, was bereits einige Cent je Stück (von € gar nicht zu reden) in der Summe der Teile ausmachen. Der Gewinn bei vielen Brot-und-Butter-Wagen liegt unter 1.000 € je Auto. Man muss also selbst beim Einkauf von vermeintlich unbedeutenderen Teilen auf den Cent schielen – aber eben auch die übrigen operativen Kosten im Griff behalten.

Bei mehreren Millionen Autos je Baureihe im Massensegment summieren sich eine zusätzliche Montageminute hier und zusätzlicher Energieaufwand dort gleich zu beachtlichen Beträgen. Daher rührt der Drang nach steter Rationalisierung – je komplexer die Fertigung und je höher das Ausstattungsniveau werden, umso stärker. Denn der gesamte Fortschritt (vergleichen Sie mal ein Auto von 1980 mit einem von heute!) lässt sich nur eingeschränkt in Form höherer Preise weitergeben. Dazu mag ein inflationsbereinigter Preisvergleich dienen – die Preise haben sich nur etwa im Rahmen der Inflation entwickelt, bei viel besserer Leistung und Ausstattung!

Handelsketten stehen vor vergleichbaren Herausforderungen. Angesichts niedrig einstelliger Renditen und einer Vielzahl von Artikeln (ein Vollsortiment-Lebensmittler hat über 30.000 verschiedene Positionen im Angebot) ist zum einen auf der Beschaffungsseite durchgehend scharf hinzuschauen. Zum anderen muss man streng auf die Kosten achten, auch die auf den ersten Blick unbedeutenden. Wenn eben der gesamte Ertrag je Einkauf gerade mal 3 € oder 4 € beträgt, macht es schon einen Unterschied, ob ein Kassenvorgang im Schnitt eine Minute, 30 oder nur 20 Sekunden dauert. Oder auch, wie es um den Energieverbrauch bestellt ist.

Die Apotheke ist ein Musterbeispiel für ausufernde B- und vor allem C-Kosten. Bei einem Hund oder Igel würde man sagen: Reif für Flohpulver und eine Entwurmungskur. Apotheken haben indes viele "Partner": Wer hat sich nicht alles an verschiedensten Stellen saugend eingenistet und kocht mit der ausufernden Komplexität und Bürokratie sein eigenes Süppchen?

Dieses Süppchen gilt es hin und wieder als Unternehmer etwas zu versalzen, selbst wenn es sich um Kleinbeträge handelt, gemeinerweise gerne monatlich gestückelt auf das ganze Jahr verteilt. Hier 10 €, da 7,50 €, da auch mal 30 € oder 50 €. Das alles bringt einen nicht um, und doch addiert es sich ganz erheblich. Über die gesamte Branche hinweg betragen solcherlei Ausgaben für dies und das etliche hundert Mio. €. Auch wenn noch viel Geld da ist und es Arbeit macht, all diesen Kleinkram von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand zu stellen sowie Konsequenzen zu ziehen: Es lohnt! Wobei man nun nicht über das Ziel hinausschießen sollte. Mancher Dienst oder manches Produkt mag vermeintlich sinnlos sein, doch bereits eine wertvolle Information oder Schutzfunktion kann für jahrelange Kosten entschädigen.

Ja, "Kleinvieh" macht auch Mist, und von den Reichen kann man sparen lernen! Aber immer mit Vernunft und Augenmaß. Manch einer hat sich bereits um sein Leben gebracht, indem er nachts am Licht sparen wollte und auf seiner eigenen Treppe zu Tode kam.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(03):19-19