Heute schon an morgen denken

Zur Zukunft der ambulanten medizinischen Versorgung


Jan Hirsch

Wohin die demografische Entwicklung führt, ist hinlänglich bekannt. Doch wie sieht es eigentlich zukünftig mit niedergelassenen Ärzten aus? Und wie lässt sich gewährleisten, dass es auch bei Ihnen vor Ort genügend Verordner geben wird?

Aktuell sind 20% der Bevölkerung in Deutschland über 65 Jahre alt. In 40 Jahren werden es 34% sein. Und der Anteil der unter 18-Jährigen wird etwa 16% betragen – bei einer um 18% gesunkenen Gesamtbevölkerungszahl. Das bedeutet: Die eine Hälfte der Bevölkerung wird für die andere Hälfte sorgen dürfen. Bitte behalten Sie im Hinterkopf, dass diese Zahlen mit einem Fehler von weniger als 3% behaftet sind und damit mithin als sicher gelten dürfen.

Das hat dramatische Folgen für praktisch alle Bereiche der Daseinsvorsorge, im Besonderen für die Gesundheitsversorgung. Schließlich gilt: Je älter die Bevölkerung, umso größer die Nachfrage nach medizinischen bzw. pharmazeutischen Leistungen. Gleichzeitig sinken die Einnahmen der Krankenkassen, weil weniger Menschen im Erwerbstätigenalter sind. Das wiederum bedeutet weniger Geld pro Fall und bis aufs Blut geführte Verteilungskämpfe zwischen einzelnen medizinischen Fachgebieten, Versorgungsformen und Altersgruppen.

Wie es um niedergelassene Ärzte zukünftig bestellt ist

Bei den Ärzten sieht es sogar noch schlimmer aus als in der Gesamtbevölkerung: In den kommenden 15 bis 20 Jahren scheiden von den derzeit 124.000 in der ambulanten Versorgung tätigen Medizinern 77.000 aus. Das sind pro Jahr gemittelt 3.850 Abgeber. Und ebenfalls gemittelt stehen dem pro Jahr zwischen 1.000 und 1.500 im traditionellen Sinne als niederlassungswillig geltende Ärzte gegenüber. Die Quote liegt also bei drei zu eins!

Unter solchen Bedingungen müssen die verkäuferischen Qualitäten der (diesbezüglich zumeist nicht erfahrenen) Abgabewilligen hoch sein, zumal sich die Verkaufspreise für Arztpraxen negativ entwickeln. Gleichzeitig steht damit die Altersversorgung der Ärzte auf wackligen Beinen. Die Folge: Die Abgabewilligen arbeiten länger – zwar mit viel Erfahrung, aber nicht zwingend auf der Höhe der medizinischen Erkenntnisse und Technik. Häufig trifft man auf Innovationsstaus und viel Frustration über neue Bürokratie sowie IT-, Hygiene- und Qualitätsanforderungen. Solche Praxen sind mithin keine Werbeträger bei potenziellen Nachfolgern für den schönen Beruf des ambulant tätigen Arztes. Und keinesfalls sind sie ein Hot Spot für die Patienten.

Die Zugangsvoraussetzungen zum Medizinstudium sind im Wesentlichen gute Noten im Abitur. Mädchen schneiden besser ab als Jungen, und damit hat sich die Frauenquote unter den Medizinstudierenden ganz ohne politisches Zutun in den vergangenen 30 Jahren von unter 25% auf über 70% erhöht.

Da häufig doch noch ein recht traditionelles Familienbild vorherrscht, gelingt es Frauen mit Familie im Schnitt erst in ihren 40ern, mit der Facharztanerkennung die Niederlassungsvoraussetzungen zu erlangen. Dann sind die Kinder aber noch nicht aus dem Haus, die dazugehörigen Familienväter erleben gerade ihren (selten zu Hause stattfindenden) beruflichen Zenit, und eine Versorgung der Familie mit Hauspersonal scheidet in aller Regel aus.

Trotz einschlägiger Förderprogramme und willfähriger Banken fällt es Ärztinnen in dieser Lebensphase daher extrem schwer, einem Abgeber einige hunderttausend Euro für eine in die Jahre gekommene Praxis zu bezahlen und die gleiche Summe nochmals in die Hand zu nehmen, um den Innovationsstau aufzulösen und für frische Farbe an den Wänden zu sorgen – mit der Perspektive, bis zur Rente allein im immer gleichen Hamsterrad rennen zu müssen. Klar, dass das nicht attraktiv ist. In Zahlen: Keine 5% der Ärztinnen gehen diesen Weg.

Insgesamt suchen junge Ärzte – zugespitzt formuliert – nur eines: Sicherheit. Denn sie haben Angst: Zum Ersten vor Einnahmekürzungen, zum Zweiten vor der großen Herausforderung, sich als – ungelernter – Unternehmer in einem Markt behaupten zu müssen, der sich mit Hochgeschwindigkeit verändert, und zum Dritten vor den Anforderungen, die sie privat erfüllen müssen. Ihr Idealbild ist daher: Angestellt in einer großen und gut diversifizierten, professionell geführten, modernen und profitablen Versorgungseinrichtung zu starten, um im Laufe der Jahre optional und schrittweise mehr Verantwortung und auch Kapital ansammeln zu können.

Was das für die anderen Involvierten bedeutet

Die Akteure der ambulanten patientennahen Versorgung müssen sich demzufolge darauf konzentrieren, Arbeitsplätze attraktiv zu halten oder zu machen. Will heißen: Wenn ich junge Ärzte für einen Standort gewinnen will, muss dieser auch den Anforderungen der Anzuwerbenden entsprechen. Das aber steht den Motiven der Abgabewilligen häufig entgegen.

Im Idealfall sollte darüber nachgedacht werden, alle Akteure unter einem Unternehmensdach zusammenzuschließen. Es gilt, die Kleinstaaterei zu überwinden und sich auf ein Zielsystem zu einigen. Ein Problem dabei: Von Ärzten in der Mitte ihres Berufslebens lässt sich das in der Regel nicht verlangen. Denn da sie das Risiko eingegangen sind, sich niederzulassen, und bis heute überlebt haben, werden sie das Team eher nicht wechseln.

Abgabewilligen sollte im Rahmen eines solchen gemeinschaftlichen Konzeptes ein annehmbarer Verkaufspreis geboten werden – und auch die Chance, mit reduzierten Arbeitszeiten etwas zur schmalen Rente hinzuzuverdienen. Sie können dann mit ihren (ehemaligen) Praxen das Rückgrat einer Konzentrationsentwicklung bilden. Und gleichzeitig ermöglichen sie den Generationenwechsel, indem sie junge, zunächst angestellte Ärzte einarbeiten und begleiten. Ziel ist es, so groß zu werden, dass sich der Zusammenschluss professionell steuern lässt. Dafür müssen dann auch alle notwendigen Funktionen mit qualifiziertem Personal besetzt werden.

Wer kann so etwas initiieren? Entweder einer der am Standort tätigen Ärzte (das gibt es immer wieder, ist jedoch sehr selten) oder aber andere Menschen bzw. Institutionen, die sich in der ambulanten Versorgung verantwortlich fühlen. Das können z.B. Bürgermeister oder Krankenhäuser sein – und eben auch Apotheken. Denn gerade Apotheken sollten wegen ihrer Nähe zu und ihrer starken Abhängigkeit von den Ärzten ein großes Interesse daran haben, die Versorgungssituation aktiv zu beeinflussen.

Was Sie als Apothekenleiter tun können und lassen sollten

Zunächst einmal sollten Sie auf keinen Fall den Kopf in den Sand stecken und warten, was passiert. Die erste Stufe ist: Reden Sie! Reden Sie viel! Mit allen Beteiligten! Über die Motive der Einzelnen, die Ziele, die Wünsche, die Ängste. Reden Sie mit potenziellen Kapitalgebern, mit Profis, welche die verschiedenen Betreibermodelle für Krankenhäuser sowie für neue Versorgungsformen gestaltet und idealerweise begleitet haben. Entwickeln Sie so gemeinsam ein Konzept für die regionale Versorgung. Und legen Sie dieses Konzept anschließend in die Hände desjenigen, der die Versorgung verantworten soll. Das kann sowohl ein Einzelner, das können aber gleichermaßen auch mehrere oder eben alle Personen bzw. Institutionen sein, die in Ihrer Region der Gesundheitsversorgung verpflichtet sind.

Ungünstig ist es in aller Regel, wenn Sie versuchen, die Versorgung allein – nicht zuletzt mit Ihrem Kapital – zu betreiben bzw. zu steuern. Teamwork hingegen hilft zumeist. Denn Widerstände entstehen dadurch häufig gar nicht erst, und auch "Hängemattensymptome" bei den anderen Beteiligten lassen sich vermeiden.

Generell wichtig: Unterlassen und unterbinden Sie alles, was korrupte Strukturen bildet oder unterstützt. Gesundheitsversorgung muss, neben den Grundvoraussetzungen geltenden Rechts, frei von Übervorteilungen des Patienten bleiben – denn am Ende bezahlt der Patient dafür.

Und zum Schluss: Nehmen Sie auch Ihre eigene Nachfolgeregelung frühzeitig in Angriff! Denn was für Ärzte gilt, gilt analog auch für Apotheker!

Jan Hirsch, HirschMed, 68259 Mannheim, E-Mail: jan.hirsch@hirsch-med.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(06):6-6