Ausbildungskapazitäten

Mehr Überfluss wagen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Unlängst hatten wir das Thema Fachkräftemangel sowie Arbeitslosigkeit auf dem Schirm und haben uns einen größeren Personalüberschuss gewünscht. Angebot und Nachfrage regeln den Markt, das ist beim Personal nicht anders als bei Gütermärkten, Immobilien oder auch Aktien: "Es gibt entweder mehr Trottel als Aktien oder mehr Aktien als Trottel!" Dieses Bonmot stammt von dem verstorbenen Börsen-Altmeister André Kostolany.

Natürlich ist es schön, als Anbieter einen Mangel "verwalten" zu dürfen. Dann darf man meilenweit vom ernsthaften Verkaufen oder Bemühen um die Kundschaft entfernt wandeln. Man verteilt seine raren Gaben mehr oder weniger gönnerhaft. Meister dieser Mangelverwaltung waren und sind sozialistische Umverteilungssysteme, welche die (vermeintliche) Gerechtigkeit ganz hoch hängen, den individuellen Leistungsgedanken und die daraus zwangsläufig resultierende Ungleichheit aber vehement ablehnen. Diesen Meisterschaften ist jedoch regelhaft ein Minuszeichen vorangestellt. Im Grunde wetteifern solche Systeme darum, sich im Negativen und in der Zeitspanne bis zur Pleite zu übertreffen. Ein Medaillenkandidat ist zurzeit Venezuela.

Doch auch hierzulande sind planwirtschaftliche Ansätze salonfähig – oder wie soll man die Enteignungsfantasien bei Immobilien oder eine Zwangsvorgabe von Praxisstunden für "Kassenpatienten" anders interpretieren? Im Grunde ist unser gesamtes Gesundheitswesen eine Art Sozialismus 2.0 mit etwas pseudomarktwirtschaftlichen Feigenblättern, die oft noch die falschen Teile bemänteln. Allen diesen Ideen ist gemein, dass sie nur die Reparatur von etwas ganz anderem vornehmen sollen, nämlich von einem echten oder gar nur künstlich induzierten Mangel. Es sind dann übrigens meist genau jene, welche die Mangelsituation zu verantworten haben, die dann am lautesten nach einer dirigistischen Lösung derselben rufen.

Dabei müsste das Problem bereits im Vorfeld gelöst werden: Gesellschaftssysteme sollten so strukturiert sein, dass es gar nicht zu Angebotsdefiziten kommt – das Prinzip der angebotsorientierten Marktwirtschaft. Bei den Gütermärkten ist dies den Industrienationen ganz gut gelungen. Überall, wo sich der Staat einmischt, gibt es Probleme. Dummerweise sind dies die so relevanten Gebiete Bildung, Gesundheit, Sozialpolitik und das Immobilienwesen. Wenn der Daumen gleich auf zwei miteinander verwobenen Bereichen wie Bildung und Gesundheitswesen ruht, kann es kritisch werden. So würde sich der vor allem dank staatlicher Eingriffe erst künstlich hervorgerufene Mangel z.B. an Medizinern marktwirtschaftlich sehr rasch lösen lassen – denn auf einen Medizinstudienplatz kommen mehr als vier Bewerber.

Trotz Kosten von immer wieder kolportierten 250.000 € je Mediziner- oder um die 80.000 € bis 100.000 € je Pharmazeutenausbildung würde es sich lohnen, schlicht mehr auszubilden, sogar deutlich über den Bedarf hinaus. Ein Überangebot auf dem Arbeitsmarkt würde dann keine Landarztpraxis mehr leer stehen lassen, und auch keine Landapotheke. Teils immer abstrusere Honorarforderungen würden sich rasch "erden". Der stärkere Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt steigert zudem typischerweise die Qualität und Leistungsbereitschaft. Für den Einzelnen mag das ungemütlicher sein. Volkswirtschaftlich ist dies der richtige Weg, wenn man das Ganze über die Lebensspanne durchrechnet. Falls das Arbeitskräfteangebot hierzulande zu groß wird, ist sogar ein gewisser "Brain Drain" ins Ausland verschmerzbar. Es ist – wie immer – eine Frage der Relationen und der Geldflussrechnungen, wer wie profitiert oder verliert.

Wer nun stutzt, warum ein Überangebot gerade bei Hochqualifizierten sinnvoller ist als ein Mangel, hier der Fingerzeig: Das Zauberwort lautet Ungleichheit. Wenn die Einkommensschere zu weit auseinander geht und am Ende sehr viele dafür bezahlen und sich immer mehr einschränken müssen, damit vergleichsweise wenige, die heute schon weit überdurchschnittlich verdienen, noch mehr bekommen, ist die Unwucht und volkswirtschaftliche Fehlallokation offensichtlich. Dies gilt besonders in Zwangssystemen, wo viele in einen großen Topf einzahlen müssen. Als Politiker sollte man also mehr Überfluss wagen, als Anbieter indes seinen Mangel sorgsam pflegen.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(11):19-19