Wenn die Mitarbeiter länger arbeiten

Wann und wie Überstunden zu vergüten sind


Dr. Britta Bradshaw

Jeder kennt sie: Situationen, in denen die Mitarbeiter länger arbeiten (müssen). Doch wie viel Mehrarbeit wurde tatsächlich geleistet? Wer muss das nachweisen? Und wann besteht ein Anspruch auf Vergütung bzw. sogar auf einen Überstundenzuschlag?

Grundsätzlich können Sie als Arbeitgeber Überstunden nicht ohne vorherige Absprache mit Ihrem Arbeitnehmer einseitig anordnen (vgl. auch AWA 19/2016). Der Arbeitnehmer muss in der Regel erst dann Überstunden leisten, wenn dies tarif- oder einzelvertraglich festgehalten ist. Beglichen werden können die Überstunden je nach Absprache grundsätzlich durch einen Freizeitausgleich oder eine geldwerte Leistung – sprich: eine Vergütung.

Die Höhe der Vergütung ergibt sich, sofern die Mehrarbeit vom Arbeitgeber veranlasst wurde, ebenfalls aus dem Tarif- oder Einzelvertrag. Sollte keine vertraglich Regelung vorliegen, richtet sie sich gemäß §§611 Abs. 1 und 612 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nach der Vergütung für die sonstige Arbeit. Denn dass vom Chef veranlasste Mehrarbeit geleistet wird, ist zumeist nur dann zu erwarten, wenn diese Mehrarbeit auch entsprechend entlohnt wird. Demnach gilt eine Vergütung bei Mehrarbeit als stillschweigend vereinbart.

Ein Anspruch auf einen Zuschlag für die Mehrarbeit ist allerdings gesetzlich zunächst nicht vorgesehen. Leistet der Arbeitnehmer also freiwillig Mehrarbeit, ohne vom Arbeitgeber dazu veranlasst worden zu sein, hat er keinen Anspruch auf eine entsprechende Vergütung.

Wurden Überstunden geleistet?

Doch was passiert jetzt genau, wenn ein Streit um die Vergütung von Überstunden gerichtlich geklärt werden muss? Stellen Sie sich z.B. vor, ein von Ihnen gekündigter Mitarbeiter behauptet, Überstunden geleistet zu haben, und verlangt deshalb vor Gericht von Ihnen, dafür vergütet zu werden. Entscheidend ist dann, wer die Tatsachen, die den eigenen Anspruch begründen, schlüssig vortragen (Darlegungslast) und – falls diese vom Gegner bestritten werden – mit Beweisen untermauern kann (Beweislast). Wichtig für Sie als Arbeitgeber ist also zu wissen, was in Ihren Unterlagen bzw. Aufzeichnungen enthalten sein muss, um gegebenenfalls den Ausführungen Ihres Mitarbeiters vor Gericht entgegentreten zu können.

Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer, der eine Vergütung für seine Mehrarbeit verlangt, darlegen und beweisen,

  • dass er über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinaus gearbeitet hat, und
  • dass dies entweder von Ihnen als Arbeitgeber veranlasst worden ist oder sich Ihnen zumindest zurechnen lässt (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 21.12.2016, Aktenzeichen: 5 AZR 362/16).

Somit ist zunächst zu klären, ob überhaupt Mehrarbeit über die vertraglich geschuldete Arbeit hinaus geleistet wurde. Dazu muss der Arbeitnehmer dem Gericht schriftlich darlegen, an welchen Tagen er von wann bis wann entweder gearbeitet oder sich auf Ihre Weisung zur Arbeit bereitgehalten hat. Ist die Anzahl der Überstunden bzw. der Zeitraum der geleisteten Arbeit in Ihren Augen unzutreffend, reicht es allerdings nicht, wenn Sie die Behauptung des Arbeitnehmers einfach pauschal als "falsch" bezeichnen. Vielmehr müssen Sie im Einzelnen darlegen,

  • welche Arbeiten Sie dem Arbeitnehmer wann zugewiesen haben,
  • dass der Arbeitnehmer diese Arbeiten in der vorgegeben Zeit hätte schaffen können, aber schuldhaft nicht geschafft hat, Überstunden also nicht angefallen sind.

Sollten Sie dazu nicht in der Lage sein, gibt das Gericht dem Arbeitnehmer recht. Andernfalls wiederum muss dieser seine Behauptungen durch Beweise untermauern (BAG, Urteil vom 21.12.2016, Aktenzeichen: 5 AZR 362/16).

Wer hat die Überstunden veranlasst?

Im Fall, dass der Arbeitnehmer darlegen bzw. beweisen konnte, dass er tatsächlich Überstunden geleistet hat, muss er anschließend darlegen und beweisen, dass das auf Ihre Veranlassung hin geschehen ist. Nur wenn ihm das gelingt, hat er einen Anspruch darauf, dass Sie ihm die Überstunden vergüten. Hierbei sind drei Fälle zu unterscheiden: Und zwar können Sie die Überstunden

  1. angeordnet,
  2. gebilligt oder
  3. geduldet haben.

Im ersten Fall muss der Arbeitnehmer darlegen bzw. beweisen, wann und auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet wurden. Dies kann er dann leicht, wenn die Überstunden bereits von Anfang an im Dienstplan angewiesen sind (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 09.02.2016, Aktenzeichen: 1 Sa 321/15).

Darüber hinaus können Sie Überstunden aber auch konkludent anordnen, z.B. wenn Sie dem Arbeitnehmer noch kurz vor Ende der regulären Arbeitszeit eine dringende Aufgabe übertragen, die er in der verbleibenden regulären Arbeitszeit nicht mehr erledigen kann. Auch hier hat der Arbeitnehmer darzulegen bzw. zu beweisen, dass er die zugewiesene Arbeit nur dadurch leisten konnte, dass er Überstunden gemacht hat.

Im zweiten Fall entsteht der Vergütungsanspruch dadurch, dass Sie die Überstunden billigen, will heißen: Sie genehmigen nachträglich Überstunden, die Sie im Vorfeld nicht angeordnet haben. Vor Gericht muss der Arbeitnehmer auch hier darlegen bzw. beweisen, wann und auf welche Weise Sie sich damit einverstanden gezeigt haben, dass die Überstunden geleistet worden sind.

Im dritten Fall dulden Sie die Mehrarbeit, sprich: Wenn Sie Kenntnis davon erlangen, dass der Arbeitnehmer Überstunden geleistet hat, und wenn Sie dies auch hinnehmen, ohne für die Zukunft Vorkehrungen zu ergreifen, dann dulden Sie die Mehrarbeit und müssen sie entsprechend vergüten. Jedoch hat der Arbeitnehmer auch hier zunächst darzulegen bzw. zu beweisen, dass Sie zum einen von den Überstunden wussten und dass er zum anderen anschließend noch weitere Überstunden geleistet hat. Gelingt ihm dies, liegt es wiederum an Ihnen, die Vorkehrungen darzulegen bzw. zu beweisen, die Sie ergriffen haben, um die Überstunden zu vermeiden (BAG, Urteil vom 10.04.2013, Aktenzeichen: 5 AZR 122/12). Diese Vorkehrungen sollten Sie also nach Möglichkeit frühzeitig schriftlich festhalten.

Wie hoch sind Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitkräften?

Tarifbeschäftigte Apothekenmitarbeiter dürfen nach §7 Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) in Ausnahmefällen Überstunden leisten. Und nach §8 BRTV ist für die geleistete, zurechenbare Mehrarbeit nicht nur eine Grundvergütung, sondern auch ein Zuschlag zu zahlen. Dieser Zuschlag soll für die Mehrarbeit ab der 41. bis 50. Stunde 25% der Grundvergütung und ab der 51. Stunde 50% der Grundvergütung betragen. Gültig sind diese Zuschläge für alle Mitarbeiter –unabhängig von der vertraglich vereinbarten Normalarbeitszeit. Muss ein Arbeitnehmer also laut Vertrag lediglich 20 Stunden in der Woche arbeiten, so erhält er für die ersten 20 Überstunden keinerlei Zuschlag.

Ob dies eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten oder gar von Frauen darstellt und ob solche Regelungen deshalb unwirksam sind, ist bereits seit Längerem umstritten. Erst kürzlich lag dem BAG ein entsprechender Fall zur Entscheidung vor (Urteil vom 19.12.2018, Aktenzeichen: 10 AZR 140/18): Im hier geltenden Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie fand sich ebenfalls eine Klausel, nach der Teilzeitbeschäftigte erst dann einen Zuschlag erhalten sollten, wenn sie länger als die vertragliche Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten arbeiten würden. Diese Klausel hat das BAG für unwirksam erklärt. Die Begründung: Gemäß §4 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) darf ein Teilzeitbeschäftigter wegen seiner Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter. Das jedoch wäre der Fall, wenn die Schwelle, ab der ein Anspruch auf den Zuschlag besteht, nicht proportional zur individuellen Arbeitszeit abgesenkt würde. Demnach müsste ein z.B. mit 20 Stunden in Teilzeit Tarifbeschäftigter bereits ab der 21. Stunde einen Zuschlag erhalten.

Mit dieser Entscheidungwidersprach der 10. Senat des BAG einer früheren Entscheidung, in der er in einer ähnlichen Situation keine Benachteiligung gesehen hatte (Urteil vom 26.04.2017, Aktenzeichen: 10 AZR 589/15). Aufgrund dieser neueren Rechtsprechung sind die weiteren Entwicklungen genau zu beobachten.

Dr. Britta Bradshaw, Rechtsanwältin, Kanzlei Winterstein, 22926 Ahrensburg, E-Mail: bradshaw@kanzlei-winterstein.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(11):14-14