Der Europäische Gerichtshof und das deutsche Arbeitszeitgesetz

Müssen Sie die Arbeitszeiten Ihrer Apothekenmitarbeiter erfassen?


Dr. Britta Bradshaw

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich einen Fall zur Zeiterfassung durch Arbeitgeber entschieden. Worum ging es? Und welche Auswirkungen können Sie als Apothekenchef in Deutschland erwarten?

Rund um das Thema Arbeitszeit gibt es für Sie als Arbeitgeber viel zu beachten. So müssen Sie zunächst einmal wissen, welche Tätigkeiten überhaupt als Arbeitszeit gelten. Gemäß §2 Abs. 1 Satz 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Während also Pausen, Raucherpausen und der regelmäßige Arbeitsweg in der Regel nicht als Arbeit zählen, gehören das Umkleiden, die Rüstzeit, Botengänge, Teambesprechungen und Fortbildungen meist dazu (vgl. auch AWA 22/2015).

Hat der Arbeitnehmer die zur Arbeitszeit gehörenden Tätigkeiten über die (tarif-)vertraglich festgelegte Arbeitszeit hinaus geleistet, liegen Überstunden vor (vgl. AWA 11/2019). Die Zahl der Überstunden ist durch das ArbZG begrenzt.

In §3 ArbZG wird eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden festgelegt, die nur überschritten werden darf, wenn die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit innerhalb von sechs Monaten trotzdem acht Stunden beträgt. §4 ArbZG schreibt darüber hinaus noch bestimmte Ruhepausen während eines Arbeitstages vor, der länger als sechs Stunden dauert. Des Weiteren legt §5 ArbZG eine tägliche Ruhezeit von elf Stunden fest, die zwischen zwei Arbeitstagen liegen muss. Wenn Sie als Arbeitgeber diese Höchstarbeitszeiten, die Ruhepausen und Ruhezeiten (wiederholt) nicht einhalten, dann begehen Sie nach den §§22 bzw. 23 ArbZG eine Ordnungswidrigkeit bzw. – in besonders schweren Fällen – eine Straftat.

Um zu überprüfen, ob diese Vorschriften auch tatsächlich eingehalten werden, dient derzeit §16 Abs. 2 ArbZG. Hier heißt es: "Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des §3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen […]." Will heißen: Sie müssen die Überstunden Ihrer Arbeitnehmer schriftlich festhalten.

Reicht es aus, nur Überstunden zu erfassen?

Der EuGH hat am 14.05.2019 einen Fall zur Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber entschieden (Aktenzeichen: C-55/18). Ausgangspunkt war die Klage einer spanischen Arbeitnehmervereinigung gegen die Deutsche Bank. Letztere hatte in Spanien lediglich die Überstunden ihrer Arbeitnehmer aufgezeichnet – und nicht die tägliche Arbeitszeit. Dabei hatte sie sich auf die in Spanien verbreitete Auslegung des dortigen Rechts berufen. In der Folge wandte sich der spanische nationale Gerichtshof an den EuGH und wollte wissen, ob diese Auslegung korrekt sei, sprich: Ob es ausreiche, eben nur die Überstunden zu erfassen. Der EuGH hat dies verneint.

Seine Begründung: Das infrage stehende spanische Recht sei aufgrund europäischer Richtlinien erlassen worden. Nun gelten Richtlinien in der Regel nicht unmittelbar für die EU-Bürger, sondern müssen zunächst von den Ländern in nationales Recht umgesetzt werden. Dementsprechend verpflichten die Richtlinien 2003/88/EG und 89/391/EWG die Mitgliedstaaten der EU dazu, bestimmte Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen und Ruhezeiten festzulegen.

Laut dem EuGH-Urteil sind diese beiden Richtlinien im Sinne von Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU(GRCh) auszulegen. Hier heißt es: "Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer hat das Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub."

Aus diesem Grund – so der EuGH – seien die Mitgliedstaaten nicht nur verpflichtet, die in den Richtlinien genannten Zeiten festzulegen. Vielmehr müssten sie auch "alle erforderlichen Maßnahmen" ergreifen, damit die Höchstarbeitszeiten nicht über- und die Ruhezeiten nicht unterschritten würden. Ansonsten könnten Arbeitnehmer als die schwächere Partei im Arbeitsvertrag ihr Recht nicht durchsetzen.

Wenn man nun in Spanien das nationale Recht – also die umgesetzten EU-Richtlinien – so auslegt, dass nur die Überstunden aufzuzeichnen sind, ist das dem EuGH zufolge gleich aus zweierlei Gründen unzureichend: Zum einen müsse der Arbeitgeber, um die Überstunden aufzeichnen zu können, zwangsläufig wissen, inwiefern die eigentlich geschuldete Arbeitszeit überschritten wurde. Daher sei es notwendig, auch die "normale" Arbeitszeit zu erfassen. Zum anderen gebe die Aufzeichnung der Überstunden allein keinerlei Auskunft darüber, ob die Ruhezeiten zwischen zwei Arbeitstagen tatsächlich eingehalten wurden.

Zum Schutz der Arbeitnehmersicherheit und -gesundheit müssten Arbeitgeber deshalb ein objektives, verlässliches und zugängliches System einrichten, mit dem sie messen können, von wann bis wann ihre Angestellten täglich arbeiten. Wie genau dies aussehen soll, dürften die Mitgliedstaaten selbst festlegen.

Bereits jetzt – oder erst in Zukunft?

In Deutschland wurden die Richtlinien 2003/88/EG und 89/391/EWG durch das bereits beschriebene ArbZG in nationales Recht umgesetzt. Allerdings ist die jüngste EuGH-Auslegung dieser Richtlinien auch hierzulande zu beachten: Genau wie Spanien muss auch Deutschland dafür sorgen, dass Arbeitgeber ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit einrichten. Insofern ist wohl in naher Zukunft ein Gesetz zur Gestaltung der Arbeitszeiterfassung zu erwarten.

Bis dahin bleibt jedoch fraglich, ob Sie als Arbeitgeber bereits jetzt dazu verpflichtet sind, ein solches System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen. Denn wenn der EuGH verkündet, dass die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um den Schutz der Arbeitnehmer durchzusetzen, dann ist damit nicht nur die deutsche Gesetzgebung gemeint, sondern vielmehr sind es auch die deutschen Gerichte. Und was kann das bedeuten?

Mit dem bereits zitierten §16 Abs. 2 ArbZG hat der deutsche Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die der spanischen sehr ähnlich ist. Theoretisch müssten die deutschen Gerichte diesen Paragrafen schon jetzt dahingehend interpretieren, dass die gesamten täglichen Arbeitszeiten von Angestellten aufzuzeichnen sind. Nur lässt sich das mit dem genauen Wortlaut fast unmöglich vereinbaren.

Denkbar wäre es demzufolge, dass ein Gericht §16 Abs. 2 ArbZG als unionsrechtswidrig erkennt und ihn – analog zum spanischen nationalen Gerichtshof – dem EuGH vorlegt. Dieser könnte eine entsprechende Verpflichtung der Arbeitgeber nach Art. 31 Abs. 2 GRCh als gegeben ansehen.

Allerdings hat der deutsche Gesetzgeber bisher noch nicht festgelegt, wie er sich das geforderte System vorstellt. Das spricht dagegen, dass Sie sofort zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet werden können [1].

Wie auch immer das System letztendlich aussehen mag: Stundenzettel, die vom Arbeitnehmer eingereicht und vom Arbeitgeber gegengezeichnet werden, dürften wohl nicht genügen. Denn ein Vorgehen, das auf solch subjektiven Aufzeichnungen basiert, kann selbstredend nicht objektiv sein [1].

Fazit

Weil also einige offene Fragen im Raum stehen, bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber möglichst schnell Klarheit schafft. Wenn Sie sich jedoch bereits jetzt an alle geltenden arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften halten, dürften für Ihren Betriebsablauf keine großen Veränderungen zu befürchten sein. Sie werden lediglich durch ein System nachweisen müssen, dass Sie die Arbeitszeiten Ihrer Mitarbeiter exakt erfassen – unter Umständen auch schon ab sofort.

Literatur

[1] Ulber, D.: Arbeitszeiterfassung als Pflicht des Arbeitgebers. In: Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 10/2019, S. 677–681

Dr. Britta Bradshaw, Rechtsanwältin, Kanzlei Winterstein, 22926 Ahrensburg, E-Mail: bradshaw@kanzlei-winterstein.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(14):14-14