Kindergeld trotz Vollzeittätigkeit

Erstausbildung oder Weiterbildung?


Helmut Lehr

Nach der beruflichen Erstausbildung gibt es das Kindergeld nur unter einschränkenden Voraussetzungen. Es spielt daher eine große Rolle, wann die erste Berufsausbildung im steuerlichen Sinn abgeschlossen ist. Neue Rechtsprechung gibt Anlass zur Hoffnung.

Zum 1. Juli 2019 wurde das Kindergeld für die ersten beiden Sprösslinge von 194 € auf immerhin 204 € erhöht. Bis zum 18. Lebensjahr ist die Zahlung dem Grunde nach an keine weitergehenden Voraussetzungen geknüpft. Bei volljährigen Kindern, die eine Erstausbildung absolvieren, besteht der Anspruch im Allgemeinen bis zum 25. Lebensjahr.

Hinweis: Bei einer zweiten Ausbildung haben die Eltern Anspruch auf Kindergeld, wenn der Nachwuchs keiner vollen Erwerbstätigkeit nachgeht (wöchentliche Arbeitszeit: maximal 20 Stunden). Zu Streitigkeiten kommt es daher besonders dann, wenn das "Kind" bereits eine erste Berufsausbildung absolviert hat und sich dann – parallel zu einer Vollzeitbeschäftigung – "weiterbildet".

Beispiel

Der im Jahr 1995 geborene Sohn von Apothekerin Junghans wurde bei einer Stadtverwaltung zum Verwaltungsfachangestellten ausgebildet (Verwaltungslehrgang I). Die dreijährige Ausbildung endete im Juni 2016. Der Sohn wurde mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden übernommen und vom Arbeitgeber zum nächstmöglichen Termin für den Verwaltungslehrgang II zum Verwaltungsfachwirt bei einem Studieninstitut angemeldet.

Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldfestsetzung für die Zeit dieser Weiterbildung – bis Juli 2019 – ab. Grund: Die erstmalige Berufsausbildung sei im Juni 2016 abgeschlossen worden, und die Erwerbstätigkeit betrage mehr als 20 Wochenstunden.

Finanzgericht bestätigt Kindergeldanspruch

In einem vergleichbaren Fall war die Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf erfolgreich (Urteil vom 22.03.2019, Aktenzeichen: 7 K 2386/18 Kg). Die Richter waren davon überzeugt, dass es sich bei den Ausbildungen zum Verwaltungsfachangestellten und anschließend zum Verwaltungsfachwirt um eine einheitliche Ausbildung gehandelt habe: Um den angestrebten Job – eine Tätigkeit im gehobenen Dienst der Kommunalverwaltung – ausüben zu können, sei die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt erforderlich gewesen.

Hinweis: Offenbar hatte man das Berufsziel "Verwaltungsfachwirt" bereits im Einstellungsgespräch vor Beginn der ersten Ausbildung thematisiert. Insofern war die Ausbildung letzten Endes – zumindest im Sinne des Steuer- bzw. Kindergeldrechts – mit dem Abschluss "Verwaltungsfachangestellter" gar nicht beendet: Die Vollzeittätigkeit erfolgte also noch im Rahmen der Erstausbildung – weswegen das Kindergeld nicht wegfiel.

Abgrenzung bleibt problematisch

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat zwar zur kindergeldrechtlichen Erstausbildung Stellung bezogen, wenn "berufsbegleitend" Weiterbildungen erfolgen (Urteil vom 11.12.2018, Aktenzeichen: III R 26/18). In der Praxis bleiben allerdings zahlreiche Abgrenzungsfragen offen, sodass diesbezüglich weiterhin mit (vielen) Einzelfallentscheidungen zu rechnen ist.

Hinweis: Das bedeutet, dass Sie als Eltern gegebenenfalls um Ihren Kindergeldanspruch kämpfen müssen. Auch im hier dargestellten Fall ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, weil die Familienkasse Revision eingelegt hat. Es ist daher nicht völlig ausgeschlossen, dass der BFH die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt doch noch als bloße Weiterbildung qualifiziert.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(15):18-18