Kontrahierungszwang unter allen Umständen? (Teil 1)

Was Sie bei mangelnder Zahlungsmoral tun können


Dr. Bettina Mecking

Das Thema Kontrahierungszwang ist ein Dauerbrenner in den Apotheken. So stellt sich beispielsweise immer wieder die Frage, ob Sie Arzneimittel auch dann abgeben müssen, wenn die Patienten zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig sind. Was dürfen und was können Sie tun?

Der Ausgangspunkt ist klar: "Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung" – für Apotheken resultiert aus diesem in § 1 Apothekengesetz (ApoG) fixierten Sicherstellungsauftrag ein grundsätzlicher Kontrahierungszwang. Dies bedeutet, dass Apotheken gelegentlich auch dann Kaufverträge abschließen oder Dienstleistungen erbringen müssen, wenn sich das zwar z.B. betriebswirtschaftlich nicht rentiert, aber dem Gemeinwohl dient.

Wofür gilt der Kontrahierungszwang?

Der Kontrahierungszwang besteht nach §17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) bei der Belieferung klarer und gültiger ärztlicher, zahnärztlicher sowie tierärztlicher Verschreibungen. Auch bei Over-the-Counter (OTC)-Arzneimitteln dürfen Sie die Abgabe nach herrschender Meinung nicht grundlos verweigern. Der Gedanke dahinter: Ein Patient darf in seiner Notlage nicht dazu gezwungen werden, eine abgabebereite Apotheke zu suchen. Demnach fallen alle apothekenpflichtigen Arzneimittel unter den Kontrahierungszwang.

Der Kontrahierungszwang gilt folglich auch für Verschreibungen von anwendungsfertigen Zytostatika. Allerdings verfügt nicht jede Apotheke über die technischen Anforderungen, um solche Zytostatika herstellen und damit die entsprechenden Rezepte beliefern zu können. Einen Ausweg bietet deshalb §11 Abs. 3 Satz 1 ApoG. Er ermöglicht es, Zytostatikaanwendungen von einer anderen öffentlichen oder Krankenhausapotheke zu beziehen.

Bei Betäubungsmittelverschreibungen oder Verschreibungen auf T-Rezept nach §3a Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) sind Sie ebenfalls zur Abgabe verpflichtet. Ein Spezialfall ist die Substitutionstherapie: Legt der Patient Ihnen eine Verordnung über Substitutionsarzneimittel zur eigenverantwortlichen Einnahme vor, wie etwa im Fall des "Take-Home"-Bedarfs nach §5 Abs. 8 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV), müssen Sie die Verordnung wegen des Kontrahierungszwangs beliefern. Anders sieht es aus, wenn Sie dem Substitutionspatienten auf Weisung des Arztes Betäubungsmittel in der Apotheke verabreichen (§5 Abs. 7 Satz 1 BtMVV). Grundlage hierfür ist nämlich nicht der Kontrahierungszwang, sondern eine gesonderte Vereinbarung zwischen dem Arzt und Ihnen.

Will der Kunde freiverkäufliche Arzneimittel oder etwas aus dem Nebensortiment erwerben, können Sie ihm das nach vorherrschender Auffassung verweigern, indem Sie sich auf Ihre Privatautonomie berufen. Vereinzelt wird in solchen Fällen aber ein beachtlicher Grund pharmazeutischer Natur verlangt, der auch die Belange des Kunden berücksichtigen soll.

Für den Versandhandel gilt übrigens nach §11a ApoG ein umfassender Kontrahierungszwang, der alle bestellten Arzneimittel umfasst, soweit sie im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) in den Verkehr gebracht werden dürfen und verfügbar sind. Darunter fallen auch Rezeptur- und Defekturarzneien.

Was geschieht bei Verletzung des Kontrahierungszwangs?

Verletzen Sie den Kontrahierungszwang, können entweder die Apothekerkammern berufsrechtlich oder gegebenenfalls die Patienten zivilrechtlich gegen Sie vorgehen. Je nach Fall machen Sie sich dabei möglicherweise wegen unterlassener Hilfeleistung bzw. fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung strafbar.

Der Kontrahierungszwang wird übrigens auch dann verletzt, wenn Sie Kunden mit Verschreibungen über Rezepturarzneimittel an andere Apotheken verwiesen, weil Ihnen Personal oder Ausgangsstoffe fehlen.

Welche (ersten) Ausnahmen gibt es?

In der Regel sind Apotheken also zur Abgabe verpflichtet. Doch die "Musik" spielt selbstredend bei den Ausnahmen: Per Gesetz dürfen Sie die Abgabe nur aus pharmazeutischen Gründe verzögern oder verweigern. Dabei gilt: Sie müssen ärztliche Verordnungen in einer der Verschreibung angemessenen Zeit – d.h. in der Regel unverzüglich – beliefern (§17 Abs. 4 ApBetrO). Nur wenn das Rezept einen erkennbaren Irrtum enthält, nicht lesbar ist oder sonstige Bedenken bestehen, dürfen Sie das Verschriebene erst nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt abgeben. Bei einem erkennbaren Missbrauchsverdacht gilt der Kontrahierungszwang indes nicht. Hier müssen Sie die Abgabe vielmehr verweigern.

In der Praxis sind Probleme mit der Zahlungsmoral der Patienten besonders relevant: Manche Apotheken legen in ihren apothekeneigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) fest, was für die Rezeptbelieferung und für die Bezahlung gelten soll. Allerdings können Sie mit diesen individuellen zivilrechtlichen Vorgaben nicht die geltenden gesetzlichen Regelungen außer Kraft setzen. Deswegen dürfen Sie auch eine Rezeptbelieferung nicht ohne Weiteres wegen einer schlechten Zahlungsmoral verweigern.

Zwar kann man Sie nicht verpflichten, Ihre wirtschaftlichen Interessen gänzlich außer Acht zu lassen. Über allem steht jedoch die heilberufliche Handlungsmaxime: Es darf keine Gefahr für die Gesundheit des Patienten bestehen. Demzufolge sollten Sie die Zahlungsmodalitäten genau abklären, um sich abzusichern. Hier lassen sich verschiedene Fälle unterscheiden.

Wie sichern Sie sich ab?

Geben Sie Arzneimittel auf ein Kassenrezept ab, haben Sie gegenüber der entsprechenden Krankenkasse einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf den Kaufpreis. Dies ist grundsätzlich eine komfortable Situation (sofern es nicht zu einer Retaxation kommt). Denn eine fehlende Zahlungsmoral des Patienten ist für Sie dann lediglich im Hinblick auf die Zuzahlung nach §31 Sozialgesetzbuch (SGB) V relevant. Sofern der Patient nicht ohnehin zuzahlungsbefreit ist, fungieren Sie hierbei nur als Inkassostelle, d.h. Sie ziehen eine Forderung der Krankenkasse ein. Und wenn der Patient trotz gesonderter schriftlicher Aufforderung nicht zahlt, muss die Krankenkasse die Zuzahlung nach §43b Abs. 1 SGB V sogar selbst einziehen. Um die Rechnungslegungsfristen des Arzneimittelliefervertrages zu wahren, sollten Sie sich in entsprechenden Fällen jedoch zeitnah an die Krankenkasse wenden.

Legt Ihnen ein privat versicherter Kunde ein Rezept vor, entsteht zwischen Ihnen beiden unmittelbar ein Vertragsverhältnis. Ob Sie dann die Aushändigung eines Arzneimittels verweigern dürfen, bis der Kunde zahlt, ist umstritten: In akuten Gefahrensituationen, vor allem im Notdienst, hat die Hilfeleistung wieder Vorrang vor der Bezahlung. Kritisch wird es, wenn der Privatpatient im "normalen Ablauf" teure verschriebene Arzneien verlangt, diese aber nicht bezahlen kann. Dann ist es sinnvoll, dass Sie sich als Sicherheit den Auszahlungsanspruch abtreten lassen, den der Patient gegenüber dem Versicherungsunternehmen hat.

Wenn Kunden OTC-Arzneien ohne Rezept beziehen wollen, bleibt Ihnen bei Zahlungsproblemen nur, die Personalien festzustellen. So haben Sie später die Möglichkeit, die Zahlung einzufordern.

Versorgen Sie Heimbewohner auf Grundlage eines Versorgungsvertrags nach §12a ApoG mit Arzneimitteln, gehen Sie damit in Vorleistung. Kommt es bei einzelnen Bewohnern regelmäßig zu Zahlungsproblemen, sollten Sie das Gespräch mit der Heimleitung suchen. Hilfreich kann es auch sein, wenn sich das Heim vom Patienten bzw. von dessen Betreuer im Vorhinein die Einwilligung holt, in Ihrem Namen die Arzneimittelkosten zusammen mit den monatlich zu zahlenden Heimbeiträgen einziehen zu dürfen.

Wenn schließlich alle Stricke reißen, bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, Ihre Ansprüche über eine Zwangsvollstreckung geltend zu machen.

Dr. Bettina Mecking, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, Fachanwältin für Medizinrecht, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(15):14-14