Berufsstand in der Krise

Gefangen in der "Komfortzone"


Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Strong men create good times. Good times create weak men. Weak men create bad times. And finally: Bad times create strong men." Dieser Zyklus beschreibt treffend die Geschichte von ganzen Kulturen, Organisationen – oder eben auch von einem Berufsstand. Dass die Offizinapotheke sich schon längere Zeit in einer Sinn- und Schaffenskrise befindet, dürfte niemandem entgangen sein. Wir befinden uns an Punkt 3 des obigen Zyklus.

Nun klammern sich namhafte Teile der Berufsöffentlichkeit allen Ernstes an die Petition eines Pharmaziestudenten, um ein Rx-Versandverbot wieder auf die politische Agenda zu bekommen. Petitionen werden typischerweise von einzelnen Personen mit oft speziellen Anliegen vorgebracht. Wer eine Petition startet, handelt nicht aus der Position der Stärke. Im Grunde ist es eine Art Gnadenerweis der Gesetzgebers, angehört zu werden, wenn man eine gewisse Zahl von Mitzeichnern (hier 50.000) aufbieten kann. Die vorherige Petition von Christian Redmann schaffte diese Hürde erst nach Startschwierigkeiten. Am Ende verlief sie im Sande. Und auch die aktuelle Petition des Studenten Benedikt Bühler tut sich zumindest online noch schwer – trotz Trommelwirbels in den Fachmedien.

Zum Bitten und Betteln passt allerdings, dass sich die lieben Kollegen ansonsten von jedermann willig und pflichtschuldigst vorführen lassen. Man lässt sich von den eigenen Leuten Pseudo-Customer auf den Hals schicken, katzbuckelt beinahe vor jedem und lässt sich dreist von seinen vielen "Partnern" abzocken. Ja, Apotheker halten gerne auch noch die zweite Backe hin. Obenauf kommt das allzu oft würdelose, technokratisch-anonyme Verhältnis zu den Krankenkassen, immerhin den wichtigsten Großkunden.

Wohl denen, bei denen das "Schmerzensgeld" noch stimmt und die sich vom unerquicklichen Alltag personell weitgehend freikaufen können! Zwar sind heute alle Apotheken so stramm wie nie im "Schraubstock" eingespannt, doch die oberen 25% spüren das nicht so deutlich, dank noch vorhandener Reserven. Für diese Zwangslage heißt es zudem, dankbar zu sein, denn Paketboten, Automatenhersteller und IT-Anbieter stehen bereit, einem großen Teil der Apotheken den Garaus zu machen.

Offenkundig hat die Berufspolitik auf breiter Front versagt. Zum einen auf der logistischen Ebene: Das Thema Versand wurde viel zu lange ausgesessen, statt gleich ab 2004 die Online-Marktführerschaft anzustreben. Weiterhin ist es bis dato nicht gelungen, den persönlichen Kontakt in der Apotheke als eine entscheidende Honorarvoraussetzung zu definieren – ein enormes Versäumnis! In den Gebührenordnungen der Ärzte ist dagegen der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt bei vielen Leistungen ausdrücklich Voraussetzung für die Abrechnung. Und zu guter Letzt hatte die Berufspolitik das Rx-Versandverbot (Koalitionsvertrag und Spahns Äußerungen dazu!) wie ein Elfmeterschütze auf dem Schuh – aber sie hat es eben nicht verwandelt.

All das bekommt man mit einer Petition nicht aufgearbeitet. Ein Rx-Versandverbot brächte zudem die verlorene Würde nicht zurück, sondern wäre allenfalls eine Atempause mit Verfallsdatum in einem Stellungskrieg.

Kaum jemand stellt die Erfordernis des persönlichen Arzt-Patienten-Kontaktes infrage. Telemedizinische Ansätze sind einstweilen eine eng umschriebene Ergänzung, aber kein umfänglicher Ersatz. Wenn es den Vor-Ort-Apotheken nicht gelingt, den Wert des persönlichen Apotheker-Patienten-Kontaktes herauszuarbeiten und zu beziffern, werden schwere Zeiten auf sie zukommen. Denn die Phase der proppenvollen Füllhörner geht vorbei. Künftig werden Preis-Leistungs-Verhältnisse mehr zählen. Für die Apotheke liegt damit der Fokus ganz klar auf der Seite der Leistung – allerdings in einer Art und Weise, die der Kunde wirklich positiv erlebt und die sich in besseren Therapieergebnissen niederschlägt. Heute dominieren viel zu sehr Pseudo-Leistungen insbesondere bürokratischer Natur, die keinen oder nur einen geringen, indirekten Kundeneffekt versprechen. Für solche künstlich aufgebauschten berufspolitischen Selbsttherapie- und Rechtfertigungsversuche der eigenen Bedeutung wird die Zahlungsbereitschaft schwinden – und zwar morgen mehr als heute.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(16):19-19