"Apothekenstärkungsgesetz"

Deutliche Schwächung statt Stärkung?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das "Apothekenstärkungsgesetz" ist auf dem Weg in die parlamentarischen Gesetzesmühlen. Inwieweit sich noch etwas wirklich substanziell ändern lässt, muss abgewartet werden. Darauf bauen sollte man besser nicht – deshalb hier ein erster wirtschaftlicher Ausblick.

Wenn jetzt alles "planmäßig" laufen sollte, könnten die ersten, abgetrennten Verordnungsteile – die Aufstockungen des Nacht- und Notdienstfonds (NNF) und der Betäubungsmittel-Gebühr – bereits gegen Ende des Jahres wirksam werden. Das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOAStG, "Apothekenstärkungsgesetz") an sich tritt dann möglicherweise im Laufe des ersten Halbjahres 2020 in Kraft. Versuchen wir an dieser Stelle eine erste wirtschaftliche Sichtung auf Ganzjahres-Basis. Sicher ist derzeit:

  • Die Erhöhung der Betäubungsmittelgebühr von 2,91 € auf 4,26 €, jeweils brutto. Das bedeutet eine Nettodifferenz von 1,13 €, die sich auf insgesamt etwa 12 Mio. bis 13 Mio. Fertigarzneimittel (ohne Rezepturen und Substitutions-Rezepturarzneimittel) jährlich erstreckt. Das ergibt etwa 14 Mio. €, knapp 750 € je Apotheke p.a.
  • Der NNF wird um 5 Cent je Rx-Packung aufgestockt; bei 740 Mio. Packungen sind das zusätzlich 37 Mio. €, gut 1.900 € je Apotheke jährlich.

Blackbox Dienstleistungen

Pharmazeutische Dienstleistungen waren offenkundig der unwiderstehliche Anreiz, um der Standesführung ein Abrücken vom stringenten Rx-Versandhandelsverbot zu entlocken.

Etwa 150 Mio. € netto (0,20 € je Rx-Packung) liegen dafür im Topf, wobei die Aufteilung zwischen gesetzlichen (GKV) und privaten (PKV) Krankenversicherern bereits betragsmäßig umrissen ist (135 Mio. € für die GKV, 10 Mio. € für die PKV, 5 Mio. € für die Beihilfe der Beamten). Offen ist allerdings, welche Kasse welche Leistungen erstatten wird, und inwieweit hier eine Einheitlichkeit erzielt werden kann. Andernfalls könnte ein Flickenteppich an Leistungen je nach Kasse drohen.

150 Mio. € entsprechen rechnerisch gut 2.000 bis 2.200 Approbierten-Stellen oder um die 3,6 Millionen Arbeitsstunden jährlich. Das sind knapp unter 200 Stunden je Apotheke, die zusätzlich aufgewendet werden können. Damit wären jedoch nur die Lohnkosten knapp gedeckt und keinerlei Gewinn erwirtschaftet. Bei rund 550 Mio. Rezepten insgesamt (PKV und GKV) verbleiben etwa 27 Cent je Rezept. In Approbierten-Minuten umgerechnet ist das nicht einmal eine halbe Minute an Zusatzzeit. Das ist in der Tat nur "kleines Karo", womit sich nicht allzu viel erreichen lassen wird. Aus gesundheitsökonomischer Sicht erstrebenswert wäre eine strikt am Patientennutzen orientierte Ausrichtung und die Unterteilung in (preiswerte) breitenwirksame Leistungen sowie risikobasiert (und somit gut) bezahlte Leistungen für spezielle Gruppen wie Hochkosten- und Hochrisikopatienten.

Ein großes Fragezeichen steht hinter dem Zusatzaufwand bzw. den Zusatzkosten für diese Dienstleistungen. In den Szenario-Rechnungen der Tabelle 1 wurden hier Ansätze von 0 (keine Zusatzkosten) über Zwischenstufen bis hin zu 100% (Honorar wird durch zusätzliche Lohn- und sonstige Kosten ganz aufgefressen) vorgenommen.

Großbaustelle Versand

Der wirtschaftliche Dreh- und Angelpunkt ist die künftige Rolle des Versands. Da womöglich nur der GKV-Bereich unter den Schutzschirm der Gleichpreisigkeit kommen wird (Wirkung und Durchsetzbarkeit bleiben abzuwarten), droht offiziell legitimiert eine Preisschlacht um die Privatverordnungen. Hierbei handelt es sich um gut 120 Mio. Rx-Packungen mit einem überdurchschnittlichen Stückertrag von im Schnitt rund 11 € (inklusive Hochpreiser und Rabatte). In der GKV liegt der analoge Rx-Stückertrag mit etwa 9,50 € bis knapp 10 € spürbar tiefer. Heute hat der Versand einen Rx-Marktanteil von gut 1%, entsprechend etwa 8,4 Mio. Packungen (gemäß Daten des Marktforschers IQVIA). Davon dürften etwa 7 Mio. auf die GKV entfallen.

Idealerweise bricht mit dem "Apothekenstärkungsgesetz" der Rx-Versand im GKV-Segment ein bzw. wächst zumindest nicht, wenn es keine wirtschaftlichen Anreize mehr dafür gibt. Bei den Privatverordnungen ist hingegen "Catch as catch can" angesagt. Dies ist in der Tabelle 1 in Form verschiedener Szenarien berücksichtigt.

Sollte es dem Auslandsversand gelingen, Rx-Anteile im Privatmarkt jenseits der 10%-Marke zu erringen (was angesichts von einer zweistelligen Millionenzahl an Rx-Selbstzahlerprodukten wie Antibabypillen und Lifestyle-Präparaten gut möglich erscheint), kippen die Ertragszahlen schnell in den roten Bereich. Alles in allem stehen die Privatverordnungen für ein Rohertragsvolumen von gut 1.300 Mio. € – was die Tragweite illustriert. Eine ganz andere Dynamik ist zu erwarten, wenn Klagen wegen Inländerdiskriminierung erfolgreich geführt werden und sich der Rx-Preiskampf mit den hiesigen Apotheken fortsetzt. Selbst wenn in Einzelfällen auch Preiserhöhungen (z.B. bei Engpassprodukten) denkbar sind – der "Kellertreppeneffekt" würde nach aller ökonomischen Erfahrung weit überwiegen. Die GKV-Preisbindung wäre in diesem Szenario "im Sinne der Solidargemeinschaft" so kaum mehr zu rechtfertigen: "Game over" für die Preisbindung.

Botendienst und mehr

Beim Botendienst entfallen die bisherigen Einschränkungen ("im Einzelfall"), somit werden Botendienste eine Regelleistung (ohne Honorar). Abholfächer dürfen nach bisheriger Lesart bleiben. Temperaturkontrollen sollen beim Versand und Botendienst "bei besonders temperaturempfindlichen Arzneimitteln" – soweit erforderlich – erfolgen. Generell wird aber die Einhaltung der für das Arzneimittel geltenden Temperaturanforderungen angemahnt. Unter dem Strich ist dies alles (wenn auch überschaubar) kostenerhöhend zu bewerten – mit erheblichen Unterschieden je nach Lage der Apotheke.

Fazit

Das "Apothekenstärkungsgesetz" zeigt, dass betriebswirtschaftliche Belange regelhaft zu stiefmütterlich behandelt werden. Die Risiken sind nicht nur strukturpolitisch, sondern ökonomisch evident. Jeder wegfallende Prozentpunkt Marktanteil bei den Rx-Privatverordnungen kostet die Vor-Ort-Apotheken 13 Mio. € Rohertrag jährlich. Auslands-Versandanteile im zweistelligen Prozentbereich sind angesichts der bereits erzielten Non-Rx-Anteile keineswegs aus der Luft gegriffen und zehren den überschaubaren Honorarzuwachs schnell auf. Je Apotheke könnten in kurzer Zeit deutlich vierstellige Ertragseinbußen zu beklagen sein. Damit droht das gesamte Paket eher zu einem spürbaren "Apothekenschwächungsgesetz" zu werden. Die strukturpolitischen Risiken gibt es quasi gratis obenauf. Höchste Zeit zum grundlegenden Umdenken!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(17):4-4