Wie Sie richtig mit Retaxationen umgehen (Teil 1)

Grundlagen der Arzneimittelabrechnung


Dr. Dennis Effertz

Retaxation, Berechtigung oder Taxbeanstandung – Abrechnungskorrekturen gegenüber Apotheken haben viele Namen. Wenn Sie solche Korrekturen vermeiden bzw. professionell bearbeiten wollen, sollten Sie zunächst verstehen, wie die Arzneimittelabrechnung funktioniert.

Ärgerlich sind Retaxationen unabhängig davon, wie man sie nennt. Regelmäßig emotionalisiert dieses neuralgische Thema, da die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im schlimmsten Fall weder die pharmazeutische (Beratungs-)Leistung noch das in Vorkasse beschaffte Arzneimittel bezahlt. Dann hilft es auch nicht weiter zu wissen, dass im Schnitt nur 0,5% bis 1,0% der eingereichten Verordnungen berichtigt werden.

Wann es eine Vergütung gibt

Wenn Sie ein vertragsärztlich verordnetes Arzneimittel abgeben, erwirken Sie dafür einen gesetzlichen Zahlungsanspruch. Grundlage ist §129 Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung sowie den ergänzenden regional- bzw. kassenartspezifischen Liefer- oder Selektivverträgen. Der Rahmenvertrag wird zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband geschlossen, die Ergänzungsverträge sind Sache der jeweiligen Landesverbände.

Allerdings erhalten Sie die Vergütung nur dann, wenn Sie zum einen überhaupt eine vertragliche Grundlage haben – was nicht selbstverständlich ist, wie es zuletzt an den kurzfristig zulässigen Selektivverträgen für die Zytostatikaversorgung zu sehen war.

Zum anderen müssen Sie alle vertraglichen (Prüf-)Pflichten einhalten: Bemerken Sie im Rahmen einer solchen Prüfung, dass ein Rezept nicht ordnungsgemäß ausgestellt ist, dürfen Sie es auch nicht beliefern. Täten Sie es trotzdem, stünde Ihnen keine Vergütung zu, da die Leistungsvoraussetzungen nie erfüllt waren. Eine "Null-Retax" ist folglich rechtlich gedeckt. Eine "verminderte" Vergütung (z.B. um den Differenzbetrag zum eigentlich abzugebenden Arzneimittel) liegt lediglich im Ermessen der Krankenkasse.

Was es mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot auf sich hat

Um die Gelder der Solidargemeinschaft zu schützen, hat der Gesetzgeber das Wirtschaftlichkeitsgebot eingeführt. Hiernach müssen alle Leistungen ausreichend, zweckmäßig sowie wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§12 SGB V). Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt für alle Leistungserbringer im Rahmen der Arzneimittelversorgung – vom Arzt, der die Leistung veranlasst, bis zum Apotheker, der sie ausführt.

Auf dem Wirtschaftlichkeitsgebot basiert z.B. der Preisanker: Wenn ein Arzt ein bestimmtes Arzneimittel verordnet und damit (beabsichtigt oder unbeabsichtigt) einen Preisanker setzt, dürfen Sie diesen in der Regel nicht eigenmächtig – also ohne Rücksprache bzw. eine neue Verordnung – umgehen. Andernfalls droht Ihnen eine Retaxation. Zugrunde liegen haftungsrechtliche Überlegungen: Denn im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach §106ff. SGB V kann ein Arzt – analog zum Apotheker – lediglich für das zur Verantwortung gezogen werden, was er veranlasst hat.

Sofern Sie nun einen gesetzten Preisanker missachten, würden die Arzneimittelausgaben des Arztes dadurch gegebenenfalls vereinbarte Richtwerte übersteigen. Allerdings könnte die Krankenkasse keinen Schadensersatz von ihm fordern – schließlich trifft den Arzt ja keine "Schuld". Damit die Solidargemeinschaft aber nicht auf den (möglicherweise unbegründeten) Mehrkosten für den Einzelnen sitzen bleibt, retaxiert die Kasse bei Ihnen als demjenigen, der die Leistung (vermeintlich) nicht korrekt ausgeführt hat.

Welche Rolle die Rechenzentren spielen

Die Arzneimittellieferverträge bilden nicht nur den Rahmen für die Arzneimittelversorgung, sondern auch für die Abrechnung. Flankiert werden sie dabei von gesetzlich-vertraglichen Abrechnungsbestimmungen, so etwa zur Zuzahlung: Ist ein GKV-Patient nach §31 Abs. 3 in Verbindung mit §61 SGB V zur Zuzahlung verpflichtet, müssen Sie als Apotheker nach §43c SGB V den entsprechenden Betrag einziehen und ihn dann mit Ihren Ansprüchen gegenüber den Kostenträgern verrechnen (Inkassofunktion). Das geschieht aus rein praktischen Gründen: Der Patient muss so die Zuzahlung nicht zuerst an die Krankenkasse zahlen, die sie dann der Apotheke erstattet.

Dementsprechend hält es die Rechtsprechung für zulässig, dass die Kassen Ihnen bei Retaxationen den vollen Arzneimittelpreis inklusive Zuzahlung abziehen – denn wenn Sie "falsch" geleistet haben, muss die Kasse ja auch die Zuzahlung als Teil des Komplettpreises nicht tragen. Die meisten Kassen zeigen sich hier allerdings kulant und verzichten auf die Zuzahlungskorrektur.

Wenn Sie eine Verordnung beliefert und bedruckt haben, übergeben Sie sie an Ihr Apothekenrechenzentrum. Dieses fertigt dann einen digitalen Datensatz sowie eine Bilddatei an und stellt eine Sammelrechnung an die Krankenkasse. Der entsprechende Datenaustausch ist allerdings produkt- und vertragsabhängig, da die §§300 bis 302 SGB V unterschiedliche Abrechnungsmodalitäten etwa für Arznei- und Hilfsmittel oder auch für Apotheken, Krankenhäuser und Hebammen vorsehen. Dafür sind jeweils auch unterschiedliche Sammelrechnungen und Datensätze über unterschiedliche Abrechnungswege erforderlich. Das macht somit eine korrekte Übermittlung ("Routing") der Daten notwendig.

Bei Hilfsmitteln z.B. muss das Routing in circa 90% der Fälle nach §302 SGB V vorgenommen werden. Erfolgt es aber stattdessen nach §300, erscheint der entsprechende Betrag auf der falschen Sammelrechnung – und wird damit zumeist nicht von der Krankenkasse erstattet. In diesem Fall ist ein Einspruch unsinnig, da Sie damit nichts am Problem, nämlich dem falschen Abrechnungsweg, ändern. Vielmehr muss Ihr Apothekenrechenzentrum die zurückerhaltene Verordnung über den korrekten Weg neu abrechnen.

Sind die Sammelrechnungen und Datensätze formal korrekt, bezahlt die Krankenkasse die Rechnung innerhalb von zehn Tagen an das Apothekenrechenzentrum, da sie sonst den gesetzlichen Rabatt nach §130 SGB V verliert. Das Rechenzentrum leitet die Vergütung abzüglich der eigenen Servicegebühren an die Apotheke weiter, wenn es den Betrag nicht zuvor bereits als Factoring-Leistung angewiesen hat.

Die Rahmenbedingungen für die Taxbeanstandungen

Gemäß den ergänzenden Lieferverträgen hat die Krankenkasse zwischen neun und 24 Monate Zeit, um die einzelnen Verordnungen der Apotheke auf sachlich-rechnerische und fachlich-vertragliche Richtigkeit zu prüfen. In dieser Zeitspanne sind Retaxationen grundsätzlich zulässig.

Wenn die Kasse einen Grund für eine Retaxation gefunden hat, leitet sie das vertraglich normierte Berichtigungsverfahren mit einem Beanstandungsschreiben an die Apotheke ein. Sie kann die entsprechenden Beträge allerdings erst nach Abschluss des Verfahrens mit noch ausstehenden Gegenforderungen verrechnen. Zunächst aber haben Sie die Möglichkeit, Einspruch gegen die Beanstandung zu erheben. Üblich dafür sind Fristen von zwei bis vier Monaten. Der Krankenkasse ihrerseits wird der gleiche Zeitrahmen zugebilligt, um den Einspruch zu bearbeiten. Sollte sie dann die Zahlung abermals ablehnen, bleibt Ihnen lediglich, mit juristischer Unterstützung bei den Sozialgerichten eine sogenannte "echte Leistungsklage" gegen die Kasse einzureichen. Denn das regelmäßig zu beobachtende "Ping-Pong" mit zwei, drei oder vier Einsprüchen und Ablehnungen ist weder zielführend noch vorgesehen.

Was Sie tun sollten

Wer an der GKV-Versorgung teilnehmen und eine Vergütung er- bzw. behalten will, benötigt eine vertragliche Grundlage, an die er sich exakt halten muss. Ratsam ist es deswegen, in der Apotheke einen Prozess zur regelmäßigen Vertragspflege zu etablieren. Im Ergebnis müssen Ihnen die relevanten Arzneiliefer- und gegebenenfalls Hilfsmittelverträge jederzeit in der aktuellen Fassung vorliegen, sodass Sie zu speziellen Abgabesituationen recherchieren oder sich bei Retaxationen die Rahmenbedingungen vergegenwärtigen können. Nicht-Verbandsmitglieder sollten zudem die erforderlichen Vertragsbeitrittserklärungen zur Hand haben. Schließlich gilt es, auch Ihre Mitarbeiter entsprechend zu schulen.

Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist (Medizinrecht), GKV-Abrechnungsexperte, 79110 Freiburg/Breisgau, E-Mail: kontakt@dr-effertz.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(17):6-6