Wie Sie richtig mit Retaxationen umgehen (Teil 2)

Ihr professionelles Berichtigungsmanagement


Dr. Dennis Effertz

Ein funktionierendes Berichtigungsmanagement ermöglicht es, Retaxationen effektiv entgegenzutreten und zukünftig zu vermeiden. Wesentliche Voraussetzungen hierzu sind eine systematische Bewertung, eine sachorientierte Argumentation sowie ein gelebter Feedbackprozess.

Wenn Sie bedenken, welches wirtschaftliche (Ausfall-)Risiko im Einzelfall mit ihnen einhergehen kann, wird leicht verständlich, warum man Retaxationen systematisch prüfen und bearbeiten muss – insbesondere natürlich bei Hochpreisern. Andernfalls führt die Kombination aus (formalem) Abgabefehler und unsystematischer Einspruchspraxis schnell zum wirtschaftlichen Desaster bzw. vor das Sozialgericht. Der oftmals gelebte "Einspruch aus Prinzip" ist allerdings betriebswirtschaftlich ebenfalls nicht sinnvoll.

Diese Ausgangssituation zeigt, warum es aus Kosten-Nutzen-Sicht erforderlich ist, Retaxationen sowohl pharmazeutisch-fachlich als auch vertraglich vorzuprüfen. Damit können Sie erkennen, ob sich Ihr Anspruch durchsetzen lässt. Um den Bearbeitungsaufwand (Personal, Porto etc.) gering zu halten, kann es auch sinnvoll sein, von vornherein Bagatellgrenzen zu definieren, bis zu denen Sie nicht prüfen, weil es sich wirtschaftlich nicht lohnt.

Formalprüfung verringert den Aufwand

Bevor Sie sich inhaltlich mit dem Retaxationsgrund auseinandersetzen, ist ein wesentlicher erster Schritt, in den Lieferverträgen zu prüfen, ob die Retaxation formal überhaupt zulässig ist, sprich: ob die Kasse die Berichtigungsfrist (als sogenannte "Ausschlussfrist") eingehalten hat. Diese Frist variiert bundesland- bzw. kassenartspezifisch zwischen neun und 24 Monaten. Hat die Kasse ihre Frist eingehalten, müssen Sie sich in einem zweiten Schritt fragen, ob Sie selbst noch nicht zu spät für einen Einspruch dran sind: Die für Sie relevante Deadline ("Einspruchsfrist") finden Sie ebenfalls in den Lieferverträgen.

Der Vorteil einer vorgelagerten Formalprüfung liegt darin, dass Sie sich damit fallbezogen einen hohen Aufwand sparen können. Denn die Versorgungsrealität hinter gesetzlichen, vertraglichen oder gar pharmazeutischen "Abgabefehlern" kann sehr komplex sein. Entsprechend ausführlich müssen Sie einen Einspruch begründen, damit er Aussicht auf Erfolg hat. Anders im Falle der Formalia: Wenn die Kasse die Berichtigungsfrist überschritten hat, können Sie eine Retaxation mit einem entsprechenden dreizeiligen Hinweis abwehren, ohne das Ganze weiter inhaltlich prüfen zu müssen. Eine solche Formalprüfung wird abermals interessant, wenn Ihr Einspruch abgelehnt wurde. Denn auch wenn die Kasse ihre Ablehnungsfrist überschritten hat, verschafft Ihnen das die verloren geglaubte Vergütung – Ihr Einspruch gilt dann als formal anerkannt.

Auch bei den Inhalten lässt sich Zeit sparen

Erst wenn sich die Beanstandung nicht aufgrund formaler Kriterien abweisen lässt, sollten Sie sich mit der inhaltlichen Prüfung befassen. Zunächst einmal gilt es dann, alle Retaxationen für ein bestimmtes, durch die Einspruchsfristen begrenztes Zeitintervall zu sammeln. Dabei sollten Sie die Retaxationen nicht nach der beanstandenden Krankenkasse, sondern nach den jeweiligen Fehlerkategorien bzw. Beanstandungsgründen bündeln. Denn so können Sie sie mithilfe von Textbausteinen und Musterbriefen ebenso systematisch wie effektiv bearbeiten.

Am häufigsten retaxieren die Krankenkassen aus den folgenden Gründen:

  • Nicht-Einhaltung der Fristen (Abgabe, Abrechnung),
  • Falschabgabe (Verwechslung von Arzneimitteln oder Rezepten),
  • Abrechnung nicht-erstattungsfähiger Produkte,
  • Doppelabrechnung (Duplikate, Rezeptkopien),
  • Preisfehler bzw. Verstöße gegen Preisanker,
  • Rabattvertragsverstöße und
  • Fehler des Rechenzentrums (z.B. beim Datenrouting).

Indem Sie die Fehler – geordnet nach diesen Kategorien – quantifizieren, erhalten Sie bereits wertvolle Informationen für einen Feedbackprozess (dazu später mehr). Zudem können Sie nun systematisch in den einschlägigen Verträgen prüfen, ob die Retaxation tatsächlich begründet ist. Das wird noch einfacher, wenn Sie die Vertragsinformationen zuvor tabellarisch aufgearbeitet haben. Vergessen Sie dabei keinesfalls, alle Gründe katalogmäßig aufzulisten, in denen nach §6 Rahmenvertrag eine Retaxation erst gar nicht hätte erfolgen dürfen.

Haben Sie so beispielsweise die Abgabefristen für die verschiedenen verordneten Produkte inklusive der möglichen Ausnahmen einmal recherchiert, können Sie zukünftig mit einem Blick bewerten, ob eine Retaxation rechtmäßig ist. Außerdem sehen Sie direkt, ob es einen vertraglich legitimierten Rechtfertigungsgrund für die Fristüberschreitung gibt und ob sich ein Einspruch daher lohnt.

Warum Geschichten nicht weiterhelfen

Lohnt sich der Einspruch, gilt es, einen weiteren gängigen Fehler zu vermeiden, der sich mit dem vergleichen lässt, was in der Schule als "am Thema vorbei" bezeichnet wurde: Wenngleich regelmäßig keine ausführlichen Stellungnahmen erforderlich sind, wird ein lediglich formal eingelegter Einspruch nur wenig Aussicht auf Erfolg haben, sofern Sie sich nicht zuvor mit dem spezifischen "Vorwurf" auseinandergesetzt haben. Allenfalls ist das betriebswirtschaftlich wenig zielführende "Einspruchs-Widerspruchs-Ping-Pong" die Folge (vgl. AWA 17/2019).

Erfolgversprechend ist ein Einspruch vielmehr dann, wenn Sie dem Vorwurf der Kasse, dass Sie gegen eine gesetzlich-vertragliche Abgabevorschrift verstoßen hätten, mit einer entsprechenden Gegenargumentation begegnen. Dabei sollten Sie sich ebenfalls auf eine gesetzlich-vertragliche Quelle stützen. Pharmazeutisch-fachliche Argumente können den Einspruch höchstens stützen.

Dementsprechend lässt sich ein (vorgeworfener) Verstoß gegen die Abgabevorschriften und Prüfpflichten nicht allein damit begründen, dass Sie den Patienten "korrekt versorgen" wollten. Sie können es sich also sparen, seine Krankheitsgeschichte ausführlich darzulegen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die korrekte Leistungserbringung nicht relevant, wenn Sie die Leistungsvoraussetzungen (also die Abgabe- bzw. Prüfpflichten) nicht erfüllt haben. Allenfalls taugen solche patientenindividuellen Schilderungen dazu, dass sich Krankenkassen nach §6 Abs. 1 Punkt c Rahmenvertrag kulant zeigen könnten. Ob sie das tun werden, ist jedoch fraglich, da sie beim Verzicht auf Gelder der Solidargemeinschaft den strengen Blicken der Krankenkassenaufsicht standhalten müssen.

Daher der Tipp: Argumentieren Sie fundiert, statt "Geschichten" zu erzählen. Das spart Zeit und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit deutlich.

Aus Retaxationen lernen

Weil Retaxationen einen wesentlichen Einfluss auf Ihren wirtschaftlichen Erfolg haben, kann es bei einem funktionierenden Berichtigungsmanagement nicht lediglich darum gehen, einzelne Beanstandungen zu bearbeiten. Vielmehr sollte es sich um einen Feedbackprozess handeln, der Sie dabei unterstützt, Ihr Abgabeverfahren regelmäßig infrage zu stellen und Qualitäts-Management-System (QMS)-gestützt zu optimieren.

Beispielsweise geht man davon aus, dass in der gesamten gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zwischen 0,5% und 1% der Verordnungen berichtigt werden. Prüfen Sie daher, ob Ihre internen Zahlen hiervon deutlich abweichen. Ist das der Fall, sollten Sie apothekenspezifische Versorgungssituationen identifizieren können, wie z.B. einen Onkologie-Schwerpunkt mit eigener Zytostatikaherstellung. Können Sie auch dies nicht, liegt der Verdacht nahe, dass Ihre Mitarbeiter Defizite bei der formalen Prüfung und Abrechnung von Verordnungen haben. Retaxierte Falschabgaben können überdies darauf hinweisen, dass Ihre Sicherheitsnetze beim Abgabeprozess versagen.

In der Folge gilt es also, Ihre Mitarbeiter zu schulen und Ihre Prozesse anzupassen. Und hier kommen dann die quantifizierten Fehlerkategorien ins Spiel: Denn darüber erkennen Sie, wo Ihre größten Defizite liegen – und können ihnen somit systematisch begegnen. Das unterstützt den wirtschaftlichen Erfolg, erhöht die Patientensicherheit und spart Nerven.

Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist (Medizinrecht), GKV-Abrechnungsexperte, 79110 Freiburg/Breisgau, E-Mail: kontakt@dr-effertz.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(18):6-6