Abrechnungsbetrug ist kein "Kavaliersdelikt"

Was verboten ist – und was bei Verstößen droht


Dr. Bettina Mecking

Illegale Abrechnungspraktiken von Heilberuflern sind aufgrund der komplexen Aufgabenstruktur im Gesundheitswesen schwer aufzudecken. Wenngleich "Bottrop" in seiner Schwere ein krasser Einzelfall gewesen sein mag, gibt es auch unter Apothekern schwarze Schafe.

Patienten sollen der Integrität eines jeden Heilberuflers uneingeschränkt vertrauen können. Daher muss jede gesetzliche Krankenkasse eine Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einrichten, die Hinweisen über mögliche Betrugsdelikte nachgeht (§§197a Sozialgesetzbuch [SGB] V und 47a SGB XI). Bei den Privatversicherungen gibt es vergleichbare Strukturen.

Wie wird der Betrug aufgedeckt?

An die entsprechenden Stellen kann sich jede Person wenden, die den Verdacht hat, dass eine nicht geringfügige Straftat zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungsträger vorliegt. "Melder" sind zumeist ehemalige Mitarbeiter, aber auch Pflegedienstangehörige oder Konkurrenten. Dabei gilt grundsätzlich: Mitarbeiter sollten sich bewusst sein, dass das wissentliche Ignorieren einer vermuteten Straftat in der Apotheke die Gefahr birgt, dass sie sich eines Tages verantworten müssen, weil sie daran beteiligt waren.

Sieht die Stelle den Verdacht als gerechtfertigt an, muss sie unverzüglich die Ermittlungsbehörden unterrichten. Sofern diesen der Verdacht aufgrund der Angaben oder der Gesamtumstände ebenfalls glaubhaft erscheint, beginnen sie mit ihren Ermittlungen, z.B. auch, indem sie Patienten befragen. Darüber hinaus ist die Staatsanwaltschaft bei Strafsachen gegen Heilberufler gehalten, die zuständige Kammer zu unterrichten.

Was zählt zum Betrug?

Die möglichen Varianten eines Abrechnungsbetrugs unter Beteiligung von Apothekern sind vielfältig – nachfolgend nur einige Beispiele:

  • "Luftrezepte": Apotheker rechnen dabei Verordnungen ab, obwohl weder Arztpraxen noch Patienten die verschriebenen Artikel jemals erhalten haben. Grundlage hierfür können z.B. Verordnungsblätter sein, die Dritte gestohlen haben. Diese Blankorezepte werden mit einer falschen Betriebsstättennummer sowie einer unleserlichen Unterschrift versehen, damit man sie keinem Arzt zuordnen kann.
  • Rezeptfälschungen: Apotheker vermerken auf einer vom Arzt ausgestellten Verordnung zusätzlich hochpreisige Arzneimittel, die sie abrechnen, aber nicht liefern – eine "Praxis" übrigens, der die E-Rezepte demnächst einen Riegel vorschieben werden.
  • Teilauslieferungen verschriebener Arzneimittel: Apotheker händigen Patienten mit deren Kenntnis und Zustimmung die verschriebenen Medikamente nur teilweise aus oder geben Reimporte bzw. Generika ab, rechnen sie aber in der Gänze ab. Anschließend teilen sie den "erschwindelten" Betrag mit den Patienten – oder letztere erhalten im Gegenzug andere Waren, wie z.B. Kosmetika. Wenn Apotheker den verordnenden Ärzten eine Provision zahlen, liegt sogar ein "bandenmäßiger" Betrug vor.
  • Rezepthandel: Patienten verschaffen sich durch sogenanntes "Doktor-Hopping" mehr Rezepte, als sie brauchen, und verkaufen die nicht benötigten Verschreibungen unter dem Bezugspreis an Apotheker. Diese rechnen den Normalpreis mit den Krankenkassen ab, ohne die Medikamente abgegeben zu haben.
  • Fehlerhafte Abgabe von Pflegehilfsmitteln: Die Pflegekassen erstatten bis zu maximal 40 € pro Monat, wenn Apotheken pflegebedürftige Menschen mit Hilfsmitteln versorgen, die zum Verbrauch bestimmt sind. Diese 40 € stellen keine Pauschale, sondern einen Höchstbetrag dar. Nun gibt es allerdings Patienten, die Pflegehilfsmittel im Wert von weniger als 40 € pro Monat erhalten. Diese jedoch drohen häufig damit, zur Konkurrenz zu wechseln, wenn ihr Apotheker den Restbetrag nicht mit Artikeln aus dem übrigen Apothekensortiment "auffüllt" und in voller Höhe mit dem Pflegeversicherer abrechnet. Das allerdings stellt ebenfalls einen Abrechnungsbetrug dar.
  • Früher war auch der sogenannte "graue Markt" ein wichtiges Thema: Gemeint ist damit Klinikware, die von öffentlichen Apotheken zu Sonderkonditionen erworben und dann in Verkaufsware umgewidmet wird. Das jedoch ist nach §14 Abs. 4 und 5 Apothekengesetz (ApoG) unzulässig. Inzwischen herrscht an dieser Front allerdings weitestgehend Ruhe, da es eine bessere Kennzeichnung erlaubt, beide Vertriebskanäle sauber zu trennen.

Warum ist das Risiko erhöht?

Mit seinem Urteil vom 12.02.2015 hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Risiko erhöht, dass Sie bei einem Abrechnungsbetrug auch tatsächlich verfolgt und verurteilt werden (Aktenzeichen: 2 StR 109/14). Demzufolge kann eine Apotheke auch dann einen Abrechnungsbetrug begangen haben, wenn ein Mitarbeiter der betroffenen Krankenkasse weder einen konkreten Irrtum noch einen konkreten Schaden festgestellt und die Abrechnung somit nicht moniert hat. Denn schließlich "erledigt" der Mitarbeiter die betreffenden Abrechnungen in der Masse nach einem standardisierten Verfahren. Indem die Krankenkasse anschließend die Sammelabrechnungen zahlt, erleidet sie einen Schaden – schließlich vergütet sie nicht erbrachte Leistungen.

Der BGH hält es überdies für unproblematisch, den entstandenen Schaden zu schätzen – und zwar "nach dem Verhältnis zwischen Wareneingang und abgerechneten Medikamenten". Im Streitfall wurde der Schätzwert um einen Sicherheitsabschlag von 22% reduziert.

Welche Folgen hat der Betrug?

Wer seinen Apothekenbetrieb zu Abrechnungsbetrügereien nutzt, riskiert damit nicht nur eine Strafe, sondern setzt auch seine Betriebserlaubnis aufs Spiel. Denn laut §2 ApoG ist die erforderliche Zuverlässigkeit zur Leitung einer Apotheke nicht gegeben, wenn "Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Antragstellers in Bezug auf das Betreiben einer Apotheke dartun." Dazu gehören insbesondere "strafrechtliche oder schwere sittliche Verfehlungen, die ihn [den Antragsteller] für die Leitung einer Apotheke ungeeignet erscheinen lassen." Ob er das tatsächlich ist, entscheidet man mittels Prognose: Kritisch wird es, wenn er in der Vergangenheit schon so oft und schwer gegen seine Berufspflichten verstoßen hat, dass sich für die Zukunft keine garantierte Besserung annehmen lässt. Zu berücksichtigen sind dabei übrigens die gesamte Persönlichkeit und die Lebensumstände des Betroffenen.

Die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung setzt voraus, dass man einem selbstständigen Apotheker uneingeschränkt vertrauen kann. So sind auch die Krankenkassen und die anderen Kostenträger zwingend darauf angewiesen, dass die auf Rezepten quittierten Arzneimittel tatsächlich an die Patienten ausgeliefert und von diesen bezahlt worden sind. Ein Abrechnungsbetrug betrifft somit den Kernbereich der Apothekertätigkeiten: Wer ihn begeht, kann einen Widerruf der Betriebserlaubnis daher kaum abwenden.

Zwar wird mit dem Widerruf die im Grundgesetz verankerte Berufswahlfreiheit einschränkt. Das jedoch nimmt man in Kauf, da die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung stets Vorrang hat. Und immerhin kann der Betroffene noch als angestellter Apotheker arbeiten. Zudem darf er zu einem späteren Zeitpunkt durchaus wieder eine Betriebserlaubnis beantragen.

Als schwere Verfehlungen führen Betrügereien zulasten der Kostenträger in aller Regel auch zur Berufsunwürdigkeit – und somit zum Approbationsentzug durch die zuständige Kammer oder aber zum Berufsverbot durch ein Strafgericht (§70 Strafgesetzbuch [StGB]). Vereinzelte anderslautende Entscheidungen wurden bislang stets von der nächsthöheren Instanz kassiert.

Übrigens: Steuerstraftaten gefährden die Patienten zwar nicht unmittelbar. Damit betreffen sie auch nicht den Kernbereich der Apothekertätigkeiten, sondern vielmehr Ihre allgemeinen kaufmännischen Pflichten. Aber auch hier dürfen Sie nicht darauf hoffen, uneingeschränkt weiter als Apotheker tätig werden zu können.

Dr. Bettina Mecking, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, Fachanwältin für Medizinrecht, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(18):14-14