Der Fürsorgepflicht nachkommen

Wie Sie überlastete Mitarbeiter erkennen und richtig ansprechen


Viktor Vehreschild

Als Arbeitgeber haben Sie eine gesetzliche Fürsorgepflicht gegenüber Ihren Beschäftigten. Daher ist es Ihre Aufgabe, Anzeichen von Überlastung wahrzunehmen und Ihre Mitarbeiter darauf anzusprechen. Wie kann das gelingen? Und worauf sollen Sie achten?

Die Statistiken der Deutschen Krankenversicherungen sprechen eine eindeutige Sprache: In den letzten 15 Jahren haben die Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen massiv zugenommen. Hinzu kommt, dass viele somatische Erkrankungen, wie z.B. Rückenschmerzen, auch psychische Ursachen haben können. Rein statistisch betrachtet sind in einem Team von zehn Beschäftigten ein bis zwei Personen von einer psychischen Erkrankung betroffen oder weisen zumindest entsprechende Krankheitssymptome auf.

Ihre Aufgabe als Führungskraft

Die gesetzliche Fürsorgepflicht und das Arbeitsschutzgesetz schreiben Ihnen als Chef vor, auch die psychischen Belastungsfaktoren in der Apotheke stets im Blick zu behalten und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Wenn Sie belastete Mitarbeiter frühzeitig erkennen und ansprechen, können Sie die Notbremse oft noch rechtzeitig ziehen und verhindern, dass sich die Situation verschlimmert.

Selbstverständlich sind Sie weder beste Freundin oder bester Freund noch Mutter, Vater oder gar Therapeut. Diagnosen und Prognosen überlassen Sie bitte den Fachleuten. Verstehen Sie sich vielmehr als sorgsamer Beobachter und Lotse, der sich gemeinsam mit dem Mitarbeiter auf die Suche nach möglichen nächsten Schritten macht.

Worauf Sie achten sollten

Stress entsteht, wenn man zu der Einschätzung gelangt, die aktuellen Herausforderungen nicht mehr bewältigen zu können, weil einem die Zeit, Mittel oder Fähigkeiten fehlen. Die biologische Stressreaktion setzt den Körper in Alarmbereitschaft und schafft die Voraussetzungen für Höchstleistungen. Stress per se ist nicht schlecht oder gesundheitsschädlich. Gefährlich wird er erst dann, wenn nach der Anspannung und der gesteigerten Leistung nicht ausreichend Zeit für Erholung zur Verfügung steht und der Stress in der Folge zum Dauerzustand wird.

Anzeichen von chronischem Stress und Überlastung können alle Verhaltensweisen sein, die Ihnen seltsam, untypisch oder nicht nachvollziehbar erscheinen. Zu denken wäre etwa an eine Mitarbeiterin, die bisher immer pünktlich zur Arbeit gekommen ist, sich aber auf einmal wiederholt verspätet. Aktiv werden sollten Sie auch, wenn Mitarbeiter, die bisher sehr gewissenhaft gearbeitet haben, nun Fehler machen oder unkonzentriert wirken.

Diese Beispiele machen deutlich, dass gar nicht so sehr ein bestimmtes Verhalten, sondern vielmehr Verhaltensveränderungen im Zeitverlauf als Warnzeichen zu sehen sind. Und für solche Warnzeichen sollten Sie folglich eine Sensibilität entwickeln.

Übrigens: Die Veränderungen zeigen sich nicht nur in der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und der Qualität ihrer Arbeit, sondern oft auch im Zwischenmenschlichen. Hellhörig sollten Sie z.B. sein, wenn Ihre Beschäftigten zynisch werden, kurz angebunden sind, oder es im Vergleich zu früher mehr Kundenbeschwerden gibt. Gleiches gilt, wenn Sie das herzliche, früher häufige Lachen einer Kollegin schon länger nicht mehr gehört haben.

Wie Sie ins Gespräch gehen

Nehmen wir an, Ihnen ist eine Veränderung aufgefallen, und Sie möchten den Mitarbeiter nun darauf ansprechen. Dann ist es das A und O, dass Sie sich gut vorbereiten. Formulieren Sie hierzu ganz konkret erst einmal für sich selbst, was Ihnen aufgefallen ist.

Fokussieren Sie sich auf Beobachtungen, und versuchen Sie, möglichst wenig zu bewerten oder zu verallgemeinern. Ein Beispiel für eine adäquate Formulierung wäre: "Mir ist aufgefallen, dass Sie im letzten Monat dreimal zu spät zur Arbeit erschienen sind. Ich mache mir Sorgen, weil ich Sie so gar nicht kenne. In den letzten drei Jahren waren Sie nicht ein einziges Mal zu spät." Wenn Sie nämlich das Gespräch damit beginnen, dass Sie konkrete Beobachtungen beschreiben, fühlt sich Ihr Gegenüber nicht in die Ecke gedrängt, sondern ist vielmehr bereit, mit Ihnen zu kooperieren.

Weniger passend hingegen wäre die Formulierung: "Mir ist aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit ständig zu spät kommen. Das wundert mich. Was ist denn los mit Ihnen?" Mit derartigen wertenden Formulierungen bringen Sie Ihr Gegenüber häufig indirekt dazu, sich zu verteidigen oder sich zurückzuziehen.

Weiterhin sollte das Gespräch in einem passenden Rahmen stattfinden. Nicht geeignet ist es sicherlich, wenn Sie den Mitarbeiter zwischen zwei Kunden am Handverkaufs (HV)-Tisch mit Ihren Beobachtungen konfrontieren. Vielmehr sollten Sie darauf achten, dass Sie eine geschützte Atmosphäre schaffen, in der man auch über belastende Themen sprechen kann, so etwa in Ihrem Beratungsraum. Nehmen Sie sich zudem mindestens 15 Minuten Zeit und leiten Sie Ihr Telefon um.

Wie Sie das Gespräch führen

In der ersten Phase des Gesprächs beschreiben Sie, was Sie beobachtet haben, und erklären, dass Sie sich deshalb Sorgen um die Gesundheit Ihres Gegenübers machen. Nennen Sie gleich zu Beginn auch das Ziel des Gesprächs, nämlich dass Sie – nicht zuletzt aufgrund Ihrer Fürsorgepflicht – klären möchten, ob es persönliche oder berufliche Belastungsfaktoren gibt, die zum veränderten Verhalten führen.

In der zweiten Phase können Sie Ihrem Mitarbeiter die Möglichkeit geben, seine Sicht der Dinge zu schildern. Wenn er nach einer kurzen Pause nicht das Wort ergreift, fragen Sie ihn ruhig: "Wie sehen Sie das? Welche Veränderungen sind Ihnen selbst aufgefallen?"

In der nächsten Phase stehen mögliche Lösungsideen im Vordergrund. Wenn es um betriebliche Belastungsfaktoren geht, sollten Sie direkt nachfragen: "Was brauchen Sie von mir, um wieder konzentrierter arbeiten zu können? Was sollten wir verändern? Welche Ideen haben Sie dazu?"

Wenn die Belastung eher aus dem privaten Bereich rührt, ist es vermutlich schwierig für Sie, das Problem direkt anzugehen. Als Reflexionspartner und Lotse können Sie Ihren Mitarbeiter dennoch unterstützen, geeignete Ansprechpartner zu finden, so z.B. gute Freunde oder Familienmitglieder, einen (Betriebs-)Arzt, einen Psychotherapeuten, Selbsthilfegruppen oder psychosoziale Beratungsstellen.

In der letzten Phase des Gesprächs formulieren Sie gemeinsam die nächsten Schritte und sprechen ab, wer was bis wann macht. Je nach Thema bietet es sich an, direkt einen Termin für ein Folgegespräch zu vereinbaren. So erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass das, was Sie besprochen haben, auch tatsächlich umgesetzt wird.

Vorbild durch Selbstfürsorge

Als Führungskraft nehmen Sie auch indirekt Einfluss auf die Gesundheit Ihrer Beschäftigten. Sie stellen mit Ihrem Verhalten ein Rollenvorbild dar, an dem sich Ihre Mitarbeiter bewusst und unbewusst orientieren – so auch beim Umgang mit psychischen Belastungen: Wenn Sie häufig auf Ihre Pause verzichten und durcharbeiten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch Ihre Mitarbeiter dies tun werden. Wenn Sie nicht wertschätzend und respektvoll mit anderen umgehen, wird das auch Ihren Mitarbeitern untereinander schwerfallen. Und wenn Sie sich selbst keine Fehler zugestehen und alles immer perfekt sein muss, werden auch Ihre Mitarbeiter wahrscheinlich unnachgiebig zu sich sein und möglicherweise sogar Fehler vertuschen.

Gehen Sie also mit gutem Beispiel voran. Das tut nicht nur Ihren Mitarbeitern gut, sondern auch Ihnen selbst und Ihrer Gesundheit.

Service

Auf den Seiten des Projekts "Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt" (psyGa) finden Sie eine "Handlungshilfe für Führungskräfte". Mit den beiden Tests auf S. 9 f. können Sie schnell herausfinden, wie belastet zum einen Ihre Mitarbeiter und zum anderen Sie selbst sind.

Viktor Vehreschild, Psychologie in Düsseldorf, 40223 Düsseldorf, E-Mail: mail@psychologie-in-duesseldorf.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(19):12-12