Zu viele Schulden?

Die Lösung: Immer mehr Schulden!


Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Jede Wirtschaft beruht auf dem Kredit-System, das heißt auf der irrtümlichen Annahme, der andere werde gepumptes Geld zurückzahlen." Dieses Bonmot stammt von Kurt Tucholsky (1890–1935). Und Voltaire (1694–1778), der französische Philosoph, wusste schon: "Papiergeld kehrt früher oder später zu seinem inneren Wert zurück, Null." Dazu passt: "Gold ist Geld, alles andere ist Kredit!" – ausgesprochen von J.P. Morgan (1837–1913), dem Gründer eines der erfolgreichsten Geldhäuser der Welt gleichen Namens. Kluge Worte angesichts des sich verstetigenden (vermeintlichen?) Irrsinns der Niedrig- und gar Negativzinsen.

Nehmen wir an, Sie könnten z.B. eine Million Euro Kredit aufnehmen – und Sie entrichten null Zinsen oder würden in naher Zukunft noch einige tausend Euro im Jahr von Ihrer Bank bezahlt bekommen! Das wäre die Konsequenz von Negativzinsen. Tatsächlich akzeptieren Geldgeber bereits heute eine negative Verzinsung, und Staaten wie auch Top-Industriekonzerne können so schon quasi Geld verdienen. Aber es kommt noch toller: Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihren Kredit alternativ auf 100 (!) Jahre aufnehmen, zu wenigen Zehntelprozent Zinsen und mit einer Tilgung erst am Schluss. Erste Staaten machen das. Und es scheint nicht ausgeschlossen, dass man diesen Kurs weiter verschärft. Warum vergeben da die Banken überhaupt noch Kredite? Weil es schlicht an Alternativen mangelt, und das Parken von Geld bei der Europäischen Zentralbank mit noch höheren Negativzinsen "bestraft" werden kann.

Im Grunde wird die Welt des Geldes völlig auf den Kopf gestellt. Musste man Geld früher teils sehr teuer "kaufen" (in Form des Zinses), bekommt man es heute quasi nachgeschmissen. Deutlicher kann man die Entwertung des Papiergeldes eigentlich nicht demonstrieren. Gleichwohl scheint es seinen Wert ganz gut zu halten. Die Inflationsraten sind seit Jahren (eher zu) niedrig, die Kaufkraft bleibt (noch) erhalten. Nun ja, mit erheblichen Ausnahmen: Immobilienpreise schießen durch die Decke, die Aktienkurse bewegen sich vielfach immer noch auf stolzem Niveau. Hier erleben wir tatsächlich eine erhebliche "Asset-Inflation". Selbst im täglichen Leben sind die Preise in den letzten Jahren ganz schön ins Laufen gekommen, ob für Brötchen, Gemüse, die berühmte Kugel Eis oder einen Haarschnitt. Man mag daher kaum glauben, dass die offiziellen Inflationsraten unter 2% liegen.

Aber zurück zu den Schulden. Was würden Sie machen, wenn man Ihnen das Geld förmlich nachwürfe? Als (unsolidem) Chef eines Großkonzerns würden Ihnen da die Augen strahlen, öffnet das doch alle Türen, elegant die Bilanzen aufzupolieren. Sie könnten in Aktionismus verfallen, tolle Projekte starten, deren Renditen weit in der Zukunft liegen (wenn überhaupt), mit diversen Zukäufen auf Teufel komm raus die Umsätze hochtreiben oder schlicht eigene Aktien zurückkaufen und so rechnerisch den Gewinn je Anteilschein steigern. All dies geschieht übrigens zurzeit in den Konzernen dieser Welt.

Als "kleiner Apotheker" könnten Sie darüber nachdenken, ebenfalls zu expandieren oder zumindest Ihre jetzigen Mieträumlichkeiten in Ihr Eigentum zu überführen. Doch müssen Sie als eigenverantwortlicher Unternehmer die Tilgung im Auge behalten, was die Euphorie und den Tatendrang bremst. Eine endfällige Tilgung in 100 Jahren wird für Privatleute noch nicht angeboten – aber wer weiß, was der Finanz-Zirkus alles in petto hat?

Hingegen kann ein angestellter Manager oder Politiker schon heute sehr großzügig in die Finanztöpfe greifen, da das womöglich "dicke Ende" weit über seine Amtszeit hinausreicht. Genau das passiert international in höchstem Ausmaß. Nur in unserem Land hat man sich staatlicherseits der "schwarzen Null" verschrieben. Und so hinken wir bei wichtigen Zukunftsinvestitionen immer weiter hinterher. Im Falle eines neuen, mutmaßlich weitaus heftigeren Finanzbebens wird es jedoch auch uns angesichts der internationalen Verflechtungen mit in die Tiefe reißen.

Die Seriösen von heute könnten dann ganz schnell die Dummen von morgen sein. Gönnen Sie sich also noch die eine oder andere Party. Und denken Sie daran: "Mit Geld kann man sich viele Freunde kaufen, aber kaum einer ist seinen Preis wert."

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(20):19-19