Gezielt Erträge mit der Sicht- und Freiwahl generieren

Wie Sie das Potenzial von Nicht-Rx nutzen


Andreas Engeln

In unserer Serie zum Marketing-Konzept haben Sie in dieser Ausgabe bereits einige grundsätzliche Tipps für die Gestaltung Ihrer Sicht- und Freiwahl erhalten. Aber welche Produkte sollten Sie dort überhaupt präsentieren – und welche Synergieeffekte gibt es?

Bevor Sie Ihre Produkte für die Sicht- und Freiwahl auswählen, ist eine Marktanalyse sinnvoll – auch dann, wenn Sie schon lange auf dem Markt präsent sind. Denn selbst innerhalb eines Jahres können sich viele Faktoren verändern, wie z.B. die Infrastruktur, die Kundenzusammensetzung und auch das Kaufverhalten. Die Marktanalyse umfasst

  • die Rezeptanalyse,
  • die Standortanalyse und
  • die Wettbewerbsanalyse.

Für die Rezeptanalyse erhalten Sie aus Ihrem Warenwirtschaftssystem (WWS) aktuelle und schnell auswertbare Daten über Ihre Kunden (z.B. Altersstruktur, Geschlecht und Krankheiten).

Die Standortanalyse beantwortet die folgenden Fragen:

  • Welche Ärzte gibt es im Umkreis? Aus der Rezeptabrechnungs-Statistik können Sie erkennen, wer zu "Ihren" Hauptverordnern gehört.
  • Wie ist die Kaufkraft am Standort? Daten können Sie z.B. über die Industrie- und Handelskammer (IHK) erhalten oder im Internet recherchieren.
  • Wie hoch ist der Anteil der Privatversicherten? Aufschluss gibt hier der Anteil der Bewohner, deren Gehalt oberhalb der entsprechenden Jahreseinkommensgrenze liegt.

Im Rahmen der Wettbewerbsanalyse sollten Sie regelmäßig prüfen, welche Sortimentsschwerpunkte und Produkte die Konkurrenz – also (Versand-)Apotheken, Drogerie- und Verbrauchermärkte – zu welchen Preisen anbieten. Wichtig ist, die Sortiments- und Preisstrategie der Wettbewerber nicht zu kopieren. Jede Apotheke benötigt ihr eigenes Profil!

Ergänzend bietet sich übrigens auch eine Kundenbefragung an. Hiermit erhalten Sie in der Regel eine Fülle von Anregungen, die Ihnen helfen können, die Produkte gezielt auszuwählen. Darüber hinaus können Sie auch aktuelle Markttrends in Erfahrung bringen. So sind z.B. homöopathische Produkte und Phytopharmaka in den letzten Jahren stärker nachgefragt worden. Indem Sie Markttrends frühzeitig erkennen, können Sie die Kundenbindung stärken.

Auf die Zielgruppe kommt es an

Aus diesen Analysen können Sie Ihre Zielgruppe ableiten und daraufhin Ihr Nicht-Rx-Sortiment – auch komplementär zu den Verschreibungen – gestalten. Dazu zwei einfache Beispiele:

  • Ist der Hauptverordner ein Hautarzt, können Sie z.B. vermehrt Hautcremes und Lotionen anbieten.
  • Je höher die Kaufkraft in Ihrem Umfeld, desto mehr hochpreisige Produkte können Sie in das Sortiment aufnehmen. Achtung: Die Erfahrung zeigt, dass Apotheker bei einer höheren Kaufkraft häufig Ertragspotenzial verschenken, da sie annehmen, dass die Kunden ihr Geld nicht für teure Präparate ausgeben.

Wichtig: Sie sollten Ihre Auswahl an Nicht-Rx-Produkten regelmäßig auf Wirtschaftlichkeit prüfen und bei Bedarf verändern. Die bedeutsamsten Aspekte dabei sind der Umsatz, der Rohertrag (je Artikel bzw. je Packung) und die Lagerumschlagsgeschwindigkeit. Diese Daten können Sie einfach aus Ihrem WWS abrufen.

Mittels einer ABC-Analyse haben Sie die Möglichkeit, die einzelnen Artikel z.B. nach Umsatz, Rohertrag oder Lagerdrehzahl in die drei Gruppen A (Top- Produkte), B (gutes Mittelfeld) und C (Schlusslichter) einzuteilen (vgl. AWA 14/2019). Die Schlusslichter sollten Sie aus dem Sortiment nehmen oder zumindest nicht forcieren. Die ABC-Analyse dient auch der Bestückung der Sicht- und Freiwahl: Top-Produkte gehören an Top-Plätze in den Ausstellern!

Cross-Selling

Wenn Sie Nicht-Rx-Produkte auswählen, sollten Sie auch auf Kombinationsmöglichkeiten mit Rx-Produkten und anderen Nicht-Rx-Produkten achten (Cross-Selling). Mit einer für den Patienten nützlichen Kombination aus zwei oder mehreren Produkten lässt sich der Apothekenertrag deutlich steigern. Ermuntern Sie Ihre Patienten dazu, ihren Einkauf mit ergänzenden Produkten aufzuwerten!

Dazu ein Beispiel: Ein Patient benötigt aufgrund einer Hauterkrankung eine spezielle Waschlotion, deren Verkaufspreis (VK) in Ihrer Apotheke bei 23 € netto liegt. Ergänzend dazu führen Sie in Ihrem Sortiment eine Bodycreme (VK netto: 25 €) und ein Shampoo (VK netto: 13 €), die unabhängig voreinander erworben werden können (Tabelle 1).

Die PTA bietet dem Patienten die beiden Zusatzprodukte an. Dieser kann sich entscheiden, ob er beide Zusatzprodukte, nur eines oder keines erwirbt. Im besten Fall erwirtschaftet die Apotheke einen Rohertrag in Höhe von 22 €, ansonsten je nach Konstellation von 17 €, 13 € oder – im schlechtesten Fall – von 8 € (Tabelle 2).

Produktbündelung

Ein weiteres Instrument, das Sie bei Nicht-Rx-Produkten nutzen können, ist die Produktbündelung (Bundling). Hierbei werden mehrere heterogene Produkte und/oder Dienstleistungen kombiniert mit einem in der Regel geringeren Preis zum Verkauf angeboten als dem der Einzelprodukte in Summe. Dies soll für den Patienten ein Anreiz sein, alle Produkte des Produktbündels zusammen zu erwerben.

Nehmen wir an, die drei Produkte im Beispiel werden zu einem Produktbündel zusammengefasst, dessen VK 56 € netto beträgt (Tabelle 3): Die Apotheke verzeichnet gegenüber dem Verkauf aller drei Einzelprodukte zwar einen Rohertragsverlust in Höhe von 5 € (22 €–17 €). Da sich aber ansonsten eben nicht jeder Kunde für den einzelnen Kauf aller drei Produkte entscheiden würde, rechnet sich der Sonderpreis des Produktbündels trotzdem.

Produkte für preisaktive Sortimente richtig auswählen

Im Nicht-Rx-Bereich können Sie Ihre Preise frei gestalten. Die Produkte, die in das preisaktive Sortiment aufgenommen werden, müssen sorgfältig ausgewählt werden. Helfen kann Ihnen dabei wiederum die ABC-Analyse.

Grundsätzlich empfiehlt es sich, das Sonderangebot auf Schnelldreher zu beschränken. Je nach Saison können Sie dann saisonale Artikel – wie Erkältungs-, Allergie- oder Sonnenschutzmittel – ebenfalls in die Palette der Sonderangebote aufnehmen.

Auch Produkte, die vom Großhandel oder von einzelnen Herstellern günstiger angeboten werden, eigenen sich für Preisaktionen. Dazu ebenfalls ein Beispiel: Angenommen, Sie erhalten vom Hersteller einen Rabatt in Höhe von 20% auf einen Nicht-Rx-Artikel. Wenn Sie diesen Rabatt nicht an Ihre Kunden weitergeben, erzielen Sie pro Packung 1 € mehr Rohertrag. Entschließen Sie sich, das Produkt in das preisaktive Sortiment aufzunehmen und einen Kundenrabatt in Höhe von 5% zu geben, liegt der Rohertrag pro Packung gegenüber dem Normalpreis des Herstellers immer noch um 0,60 € höher (Tabelle 4). Theoretisch könnten Sie sogar 12,5% Kundenrabatt geben, um den gleichen Rohertrag wie in dem Fall zu generieren, in dem Sie keinen Herstellerrabatt erhalten.

Übrigens: Es empfiehlt sich, nicht haargenau die gleichen Produkte wie der Wettbewerb über Preisaktionen zu bewerben.

Preiswettbewerb ist gefährlich

Wenn Sie Ihre Preise mit Blick auf den Wettbewerb kalkulieren, riskieren Sie dabei trotz des Umsatzzuwachses geringere Erträge. Schon eine geringfügige Preissenkung erfordert einen erheblichen Mehrverkauf des entsprechenden Artikels, um den bisherigen Rohertrag zu halten.

Auch dazu ein Beispiel: Sie als Apotheke A machen eine Wettbewerbsanalyse und stellen dabei fest, dass Ihre Konkurrenzapotheke B ein Produkt für 9,80 € netto anbietet (Tabelle 5). Bei Ihnen kostet dieser Artikel regulär 10,00 € netto, und Sie erzielen damit einen Rohertrag von 2,00 € pro Packung. Nun möchten Sie das Präparat im Rahmen einer Rabattaktion für 9,50 € netto anbieten. Dadurch reduzieren Sie den Rohertrag pro Packung um 0,50 €. Geht man davon aus, dass Sie im Zeitraum der Rabattaktion normalerweise 1.000 Packungen abgesetzt hätten, sind nun mehr als 1.333 Packungen nötig, um den Rohertragsverlust auszugleichen.

In der Regel sorgen die Aktionspreise nicht für die notwendigen, beachtlichen Mehrabverkäufe, um zumindest den bisherigen Rohertrag realisieren zu können: Häufig sind Rohertragsverluste die Folge. Ziel von Aktionspreisen sollten daher entweder die Neukundengewinnung oder Zusatzverkäufe sein.

Haben Sie sich auf eine Preismaßnahme festgelegt, sollten Sie sie Ihren Kunden auch kommunizieren. Bewährt haben sich hier z.B. Flyer in Tages- und Wochenzeitungen oder auch Postwurfsendungen. Wenn diese Flyer Rabattcoupons enthalten, ist die Rücklaufquote erfahrungsgemäß höher.

Greifen Sie auch auf die neuen Medien zurück: Werbung über die apothekeneigene Homepage oder personifizierte App-Lösungen erreichen nicht zuletzt die jüngere Kundschaft bzw. können zielgruppenspezifischer eingesetzt werden (vgl. auch den Beitrag "Was das E-Rezept mit Instagram zu tun hat").

Dabei gilt immer, dass Sie die Kosten für Werbemaßnahmen bei der Preiskalkulation berücksichtigen müssen.

Fazit

Produktmarketing ist eine anspruchsvolle und umfangreiche, jedoch für jede Apotheke notwendige Aufgabe. Denjenigen, die die Produktauswahl nicht allein vornehmen möchten, bieten die Großhändler oder auch spezialisierte Apothekenberatungen Marketingdienstleistungen an: Man unterbreitet Ihnen dabei ganzheitliche Angebote, die von der Produktauswahl über die Erstellung der Produktflyer bis hin zur Schaufenstergestaltung reichen.

Andreas Engeln, Dipl.-Kfm., Steuerberater, Partner der RST Beratungsgruppe, 45128 Essen, E-Mail: aengeln@rst-beratung.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(20):8-8