Wege aus der Krise

Zusammenschlüsse als Zukunftsoption?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Ein Drittel bis die Hälfte der Apotheken steht auf längere Sicht vor einer ungewissen Zukunft. Die häufigsten Gründe: Standortmängel und zu geringe Erträge, um den immer höheren Aufwand zu schultern. Zusammenschlüsse vor Ort können da eine hochinteressante Option sein.

Die Ärzte machen es seit Jahren vor: Weniger arbeiten, mehr Lebensqualität – bei kaum geringerem Einkommen. Im Gegenteil! Am besten gelingt das durch einen Zusammenschluss zu "Berufsausübungsgemeinschaften" ("Gemeinschaftspraxen"). Hier hinken die Apotheken weit hinterher, deutlich unter 5% werden in Form einer offenen Handelsgesellschaft (oHG) betrieben. Stattdessen sind sie zumeist noch von einer Einzelkämpfer-Mentalität beherrscht und suchen ihr Heil dann lieber in der Filialisierung. Warum eigentlich?

Viele Vorteile …

Die Vorzüge eines Zusammenschlusses benachbarter Apotheken liegen auf der Hand: Ein Zusammenschluss eröffnet die Möglichkeit, aus mehreren kleineren Betrieben einen großen, marktführenden zu kreieren. Jeder einzelne bisherige Inhaber kann sich weitaus besser gemäß seinen Fähigkeiten und Interessen einbringen und trägt nicht mehr die alleinige Last, den Betrieb zu führen und die Öffnungszeiten abzudecken. Am Ende sollten geringere Arbeitszeiten und eine bessere Work-Life-Balance resultieren. Fälle von eigener Krankheit oder sonstige zeitliche Einschränkungen bei der Berufsausübung (z.B. familiärer Art wie Kinder oder Pflegefälle) lassen sich viel einfacher abpuffern. Die Zusammenlegung spart zudem viele Fixkosten, wie Miet-, IT- oder allgemeine Verwaltungkosten, bzw. verteilen sich die Kosten auf mehrere Schultern. Am Ende sollten sich die Gewinne für den Einzelnen auf ähnlichem Niveau wie zuvor bewegen – trotz geringeren Aufwandes und der Risikoteilung.

… und einige Fallstricke

Was auf den ersten Blick sehr verlockend aussieht, bedarf eines individuellen Abgleichs mit der Vor-Ort-Realität. Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Zusammenschluss sind Einzugsgebiete, die sich so weit überschneiden, dass sie von einer zentralen Stelle aus abzudecken sind – mit der Folge, dass sich ein Großteil der bisherigen Kunden in der nunmehr einzigen Apotheke einfinden wird. Das funktioniert am besten in infrastrukturell gut erschlossenen Gebieten mit nicht allzu weit entfernten Standorten.

Klassiker wären die drei Apotheken rings um den Marktplatz oder die vier Apotheken jeweils schräg gegenüber verteilt auf wenigen hundert Metern einer Einkaufsstraße. Schwierig wäre dagegen die Vereinigung von drei "Stadtteilkönigen" in erheblicher Entfernung zueinander und mit nur wenig überlappenden Einzugsbereichen.

Sinnvollerweise wird man den zentralsten, infrastrukturell am besten erschlossenen Standort als "Zentrale" auswählen. Doch diese Räumlichkeiten müssen auch einen zwei- oder dreimal so hohen Kundenandrang bewältigen, was oft Erweiterungsinvestitionen bedeuten wird. Zudem müssen die Vermieter bzw. Mietverträge mitspielen – einerseits bei denen, die ihren Standort aufgeben, andererseits bei der "vereinigten" Apotheke.

Als praktisch größtes Hemmnis haben sich bislang jedoch immer die Bedenken der Kollegen selbst entpuppt: Bereits ein erstes vorsichtiges Sondieren scheitert gern an altem Konkurrenzdenken oder menschlichen Vorbehalten. Auch fällt es Vielen schwer, aus ihrem alten Trott auszubrechen und sich einer solchen neuen Situation zu stellen, in der die neuen Teilhaber die bisherige Betriebsführung infrage stellen können. Und so hofft man lieber insgeheim darauf, der Konkurrent möge vorher die Flügel strecken, oder man könne den Betrieb als Filiale für sich allein vereinnahmen.

Situationsanalyse

Nichtsdestotrotz liegen die Vorteile oftmals so klar auf der Hand, dass eine vertiefte Situationsanalyse dringend zu empfehlen ist (einige wichtige Punkte fasst Tabelle 1 zusammen).

Immerhin sind Zusammenschlüsse eine der wenigen Optionen mit durchgreifendem Potenzial für eine Wende zum Besseren, die in unserer fremdbestimmten, von Regularien eingeschnürten Branche noch bleiben. Werfen Sie also unter diesem neuen Betrachtungswinkel einen neugierigen, chancen- und nicht von vornherein problemorientierten Blick in Ihr unmittelbares Umfeld! Dazu gilt es vorrangig zu ermitteln, ob ein Zusammengehen allein aus sachlogischer Sicht sinnvoll erscheint (Einzugsgebiet, Verkehrswege, Lage von Frequenzbringern und Verordnern, bisherige gegebenenfalls geschätzte Umsätze und Marktstellung der infrage kommenden Apotheken usw.).

Am Ende dieses Prozesses sollte eine überzeugende Konzeptskizze stehen, die einfach mit ihren Vorteilen für alle beteiligten Entscheider überzeugt – auch wenn sie noch nicht in allen Details ausgefeilt sein muss. Irgendjemand muss diesen ersten Schritt tun, um dann aktiv auf die Kollegen am Ort zuzugehen. Warum also nicht Sie?

Konkretes Vorgehen

Falls Sie erkannt haben, dass viel für ein Zusammengehen spricht, gilt es, die anderen Kollegen zu überzeugen – was umso schwieriger wird, je mehr Beteiligte es gibt. Ein Dreier- oder gar Vierer-Zusammenschluss ist weitaus schwieriger zu bewältigen als eine Zweierkombination – obwohl gerade in Kleinstädten ein solch größeres Zusammengehen einen besonderen Charme hätte.

Ergreifen Sie die Initiative, und nehmen Sie Kontakt auf! Tasten Sie sich in die Thematik hinein, und versuchen Sie, eine Gesprächsbasis aufzubauen, die den Weg zu einem baldigen persönlichen Treffen ebnet. Überlegen Sie sich, welche Hürden und vielleicht auch Vorurteile bestehen – und nehmen Sie diesen durch eine bedachte Wortwahl den Wind aus den Segeln.

Diese erste Phase der Kontaktaufnahme ist die kritischste. Haben Sie diese Hürde genommen, sollten die sachlichen Herausforderungen schon viel leichter zu besprechen sein. Sie haben sich ja bereits Gedanken über den Sinn und mögliche Realisierungsoptionen gemacht. Andererseits ist so ein Projekt ein vielstufiger Prozess, in dem es an vielen Kleinigkeiten haken kann. Geduld und Zähigkeit sind also gefragt. Und selbst wenn die Vereinigung am Ende dann doch scheitert: Vielleicht kommt ja als zweitbeste Lösung perspektivisch eine freundliche Übernahme – als Filiale oder mit dem Ziel der Schließung – in Reichweite? Auch dafür lohnt es sich, über den eigenen Schatten zu springen.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(20):4-4