Aussichten 2020

GKV-Markt weiter auf Wachstumskurs


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Zum Herbst hin schaut jedes Jahr der "Schätzerkreis" der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) zwecks Ein- und Ausgabenentwicklung in seine "Glaskugel". Außerdem werden die Rahmenvereinbarungen zu den Arzneimittelausgaben des kommenden Jahres geschlossen.

Obwohl hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung im Lande die defensiven Töne überwiegen und allenthalben von "Stellenabbau" statt von "Beschäftigungsboom" die Rede ist, spiegeln sich diese gedämpften Erwartungen (noch) wenig in den Finanztableaus der Kostenträger und des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) wider. Gerne schätzen jedoch die Krankenkassen (vertreten durch den GKV-Spitzenverband) und die Politik die Entwicklungen etwas anders ein. Traditionell sind die Kassen dabei pessimistischer, insbesondere hinsichtlich der Ausgaben, während über die Einnahmebasis in diesem Jahr Einigkeit herrscht.

Immer noch gute Finanzbasis

Weiterhin geht man von steigenden Versicherten- bzw. Mitgliederzahlen in der GKV aus – um geschätzte 337.000 bzw. 359.000 Personen. Dies resultiert nach wie vor aus Zuwanderungseffekten sowie einer als noch steigend angenommenen Erwerbstätigkeit. Zudem haben die privaten Krankenversicherer ihre Attraktivität nicht steigern können – sie verlieren eher Mitglieder.

Beachtlich ist die weiterhin spürbar wachsende Einnahmebasis: Um satte 55 Mrd. € dürfte der Betrag an beitragspflichtigen Einkünften wachsen, und rund 15,5% Beitrag darauf bedingen bereits 8,5 Mrd. € an zusätzlichen Einnahmen. Ursächlich sind steigende Löhne und deutliche Rentenanpassungen neben der (noch) guten Beschäftigungslage allgemein. Bei letzterer ziehen zwar vermehrt schwarze Wolken auf. Nichtsdestotrotz befinden sich die Sozialkassen nach wie vor in einer vergleichsweise traumhaften Konstellation.

Allerdings wird allenthalben das Füllhorn ausgeschüttet, selbst wenn es niemand wahrhaben will und überall kräftig gejammert wird. Ehrlicherweise wird aber weniger über das Geld als vielmehr (und meist berechtigt) über die Arbeitsbedingungen sowie die Regulierung und Überbürokratisierung im Gesundheitswesen geklagt.

Ausgaben von über 250 Mrd. €

Um beachtliche 4,5% oder absolut gut 11 Mrd. € (nach der zahmeren Ministeriumsrechnung) dürften die GKV-Ausgaben insgesamt steigen. Erstmals werden sie die 250-Mrd.-€-Grenze durchbrechen. Je Versicherten beträgt der Zuwachs immer noch 4,2%. Nach Ansicht der Kassen dürften die Ausgaben mit 258,6 Mrd. € nochmals um rund 1,8 Mrd. € höher ausfallen als nach der Regierungsprognose in der Tabelle 1. Die Verwaltungsausgaben werden ebenfalls ein wenig höher eingeschätzt. Als Steigerungsrate für die Gesamtausgaben nehmen die Kassen in der Folge sogar 5,1% (4,8% pro Kopf) an und das BMG 4,5% (4,2% pro Kopf). Das durch Zusatzbeiträge (bzw. Griff in die Rücklagen) aufzufangende Defizit taxieren die Kassen bundesweit auf knapp 18,4 Mrd. € – die Regierung hingegen auf 16,6 Mrd. €. Daraus resultieren im Bundesdurchschnitt Zusatzbeiträge von 1,2% (Kassenvariante) bzw. 1,1% (Ministeriumsvariante). Je nach Krankenkasse fallen die tatsächlich erhobenen Zusatzbeiträge (die inzwischen zur Hälfte von den Arbeitgebern getragen werden) unterschiedlich aus.

Megathema Verwaltung

Die so viel gescholtenen Verwaltungsausgaben dürften bei etwa 12,3 bis 12,4 Mrd. € liegen (+2,9%), einschließlich der Zahlungen an Leistungsanbieter für den Aufbau der Telematik-Infrastruktur – u.a. lässt das E-Rezept grüßen. Damit frisst die Verwaltung offiziell 4,8% der gesamten Ausgaben, was man je nach Betrachtungswinkel als viel oder im Wirtschaftsvergleich doch überschaubar bezeichnen kann. Weitaus schlimmer sind die indirekten Verwaltungskosten, die bei den Leistungsanbietern in steigendem Maße anfallen. Schätzungen gehen hier von 25% und mehr aus, die dergestalt ohne nennenswerten Patientennutzen verpuffen.

GKV-Arzneimittelmarkt

Welche Aussichten bestehen für den GKV-Arzneimittelmarkt? Einen gewissen Fingerzeig geben die Rahmenvereinbarungen des GKV-Spitzenverbandes mit der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Diese Vereinbarungen werden dann noch regional heruntergebrochen.

Die bundesweite Anpassung für 2020 wird nach Umsatz auf 4,2% festgelegt. Das Allermeiste von diesem Zusatzkuchen entfällt auf innovative Präparate (+4,0%). Der Zuwachs ist minimal höher als seinerzeit für 2019 vereinbart (+4,1%). Damit ist über die Zahl der verordneten Packungen noch nichts gesagt. Schätzungen von Marktforschern zufolge dürfte sie stagnieren, allenfalls minimal wachsen.

Weitere Rahmenvorgaben in den einzelnen Bezirken der kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) umfassen das Spektrum der möglichst zu verordnenden Wirkstoffe bzw. Biosimilars je nach Arzneimittelgruppe (Mindestverordnungsquoten bezogen auf die Tagesdosen). Das erklärt, warum gewisse Wirkstoffe ("Leitsubstanzen") eben bevorzugt auf den Rezepten erscheinen. Tabelle 2 zeigt Beispiele für Baden-Württemberg. Die Quoten können in anderen KV-Bezirken völlig verschieden sein. In Einzelfällen gibt es auch Höchstquoten (z.B. für Ezetimib oder verschiedene Opioide).

Fazit

Die Einnahmebasis der Sozialkassen ist noch intakt. Doch lässt sich eine erste leichte Abflachung erkennen, was auch die Schätzungen für das nächste Jahr andeutungsweise zeigen. Gleichzeitig steigen die Pro-Kopf-Ausgaben mit mehr oder weniger deutlich über 4% wohl stärker als die Wirtschaftsleistung, die nominal um knapp 3% wachsen dürfte. Rücklagen von rund 30 Mrd. € in den Krankenkassen und im Gesundheitsfonds könnten etwaige Defizite jedoch noch eine ganze Weile auffangen. Panik ist also nicht angesagt.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(22):4-4