Gut organisiert ist halb gewonnen (Teil 1)

Best Practice: Teamführung in Zeiten des Digitalisierungs-Tohuwabohus


Dr. Michael Brysch

Wenngleich die Digitalisierung viele Unwägbarkeiten mit sich bringt, bietet sie auch etliche Chancen. Um diese Chancen nutzen zu können, müssen die Teamprozesse in der Apotheke gut organisiert sein. Wie das geht, wurde auf dem 6. TAD-Küstengespräch am 09.11.2019 in Bremerhaven erklärt.

Getrieben durch gesellschaftliche und politische Entwicklungen befänden wir uns gerade in einer chaotischen Übergangsphase, erklärte Gerrit Nattler, der gemeinsam mit seinem Bruder Simon sechs Apotheken betreibt. Allerdings helfe es nichts, Angst vor der Digitalisierung zu haben und stehen zu bleiben.

Positiv denken

Zunächst einmal müsse man sich klar machen, dass Digitalisierung eben nicht "Versandapotheke" heißt, sondern vielmehr bedeute, "dass man Technik nutzt, um Prozesse zu vereinfachen und Dinge zu automatisieren." Digitalisierung, so Simon Nattler weiter, sei nicht das "eine Große, sondern das sind ganz viele kleine Schrauben. Und man hat jetzt endlich den Werkzeugkasten, um diese Schrauben zu drehen. Und damit kann man was ganz Tolles bauen."

Und wie machen Sie das? Gerrit Nattler riet, eine Liste mit allen Prozessen in der Apotheke zu erstellen. Hierzu sollte sich jeder Apothekenleiter über zwei oder drei Wochen jede Aufgabe notieren, die im Alltag anfällt. Anschließend gelte es, sich für jeden Prozess Alternativen zu überlegen und sich vorzustellen, dass diese schon in den Alltag integriert wären.

Als Beispiel führte Gerrit Nattler das E-Rezept an. Angenommen, es hätte sich schon etabliert, und nun käme ein Gesundheitsminister auf die Idee, das Papierrezept zu erfinden: "Würden Sie dann sagen: Das ist richtig cool (…)? Oder würden Sie vielleicht sagen: Soll ich mir jetzt einen Drucker kaufen, der schweineteuer ist und die Rezepte trotzdem schief druckt? Oder würden Sie sagen: Muss ich jetzt alles, was auf dem Rezept steht, abtippen und dann im Computer nochmal überprüfen? Hab‘ ich denn dafür studiert?" Manch einer würde vielleicht sogar anmerken, dass das Papierrezept so aussähe, als sei der "Kunde damit vorher im Krieg oder auf Toilette gewesen."

Auch mal loslassen

Dementsprechend sollte man alle Prozesse in der Apotheke von einer neutralen Warte aus auf ihre Sinnhaftigkeit hinterfragen – und sie aktiv anpacken, wenn Verbesserungsmöglichkeiten bestünden. Ein großes und durch den Personalmangel noch verschärftes Problem dabei: Es fallen immer neue und immer spezifischere Aufgaben an, über die Sie als Chef auch nicht mehr den Überblick haben können. Gerrit Nattler: "Die Zeiten vom Superhirn im Büro, das seine Weisheiten an den Mitarbeiter ausschüttet, sind (…) vorbei. Jemand, der heutzutage sagt, (…) er weiß über alle Bereiche in der Apotheke Bescheid, der verbreitet Fake News."

Die Folge: Der Apothekenbetrieb muss gezielt organisiert und Verantwortung in die Hände der Mitarbeiter gelegt werden. Hier wiederum spielt Ihnen laut Simon Nattler die Digitalisierung in die Hände: Weil die Technik den Mitarbeitern Aufgaben abnehme, könnten diese ihre Arbeitszeit anderweitig einsetzen. Nur wo?

Um diese Frage zu beantworten, sollten Sie die einzelnen Prozesse auf der Liste so anordnen, dass sich verschiedene Aufgabenbereiche ("Ressorts") ergeben. Bei den Nattlers sind das z.B.:

  • Arbeitsplan,
  • Labor & Rezeptur,
  • Retax,
  • Fortbildung,
  • Kommunikation,
  • Hilfsmittel,
  • Pharmazie (z.B. evidenzbasierte Leitlinienempfehlungen und Arzneimitteltherapiesicherheit [AMTS]-Module),
  • Offizin (z.B. Sicht- und Freiwahlgestaltung) sowie
  • Marketing.

Simon Nattler merkte an: "Das müssen auch nicht immer große Ressorts sein: Wir haben auch Ressorts mit nur einem Mitarbeiter!"

Einen auf Jogi machen

Nun stellt sich natürlich die Frage, wer aus dem Team welches Ressort "beackert". Hier sollte man sich laut Gerrit Nattler zunutze machen, dass jeder Mitarbeiter – wie jede Führungskraft auch – in mancher Hinsicht eine Top-Kraft, in anderer hingegen eine Niete ist. Der Apothekenchef müsse folglich zum "Stärken-Scout" werden, sprich: Seine Aufgabe ist es, alle Mitarbeiter zu beobachten, sie (nicht verhörmäßig!) nach ihren Stärken zu fragen – und sie dementsprechend auch einzusetzen.

Letztlich lasse sich die ganze Situation gut mit einem Fußballspiel vergleichen: Nach Simon Nattler gilt es zunächst einmal, das Spielfeld zu definieren. Auch die Grundregeln seien aufzustellen – also die Werte, nach denen ein jeder handeln sollte. Dazu gehöre in der Apotheke etwa, wie kulant oder wie strikt man gegenüber einem Kunden ist. Anschließend müsse sich aber jeder Mitarbeiter auf seiner Position im Apotheken-Spielfeld austoben dürfen. An Apothekenchefs appellierte Simon Nattler daher: "Sie sind der Trainer und stehen am Spielfeldrand. Natürlich dürfen Sie mit den Spielern kommunizieren. Aber bitte in der Halbzeitpause oder nach dem Spiel, damit es das nächste Mal besser läuft. Aber wenn Sie sich im Spiel immer einmischen und jeden Spielzug kommentieren, dann guckt jeder nur zur Seitenlinie und keiner mehr auf den Ball – und das funktioniert einfach nicht!"

Dies sei nämlich einer der beiden Fehler gewesen, die seinem Bruder und ihm anfänglich unterlaufen wären: Sie hätten den Mitarbeitern kaum Freiheiten gelassen. Dadurch wäre aber auch der ganze Elan weg gewesen.

Fehler Nummer zwei: Sie hätten die Mitarbeiter, als diese dann eigenständig arbeiten durften, zunächst überfordert. Denn das letzte Mal, dass die Mitarbeiter Verantwortung übernommen hätten, sei "in der Regel der Tafeldienst in der Grundschule" gewesen. Die Folge: Das "Angestellten-Koma". Daher Simon Nattlers Tipp: "Wenn Sie wirklich Verantwortung abgeben, dann nehmen Sie sich Zeit, und machen Sie es nach und nach!"

Effizient kommunizieren

Ein großes Problem in der Apotheke ist Simon Nattler zufolge die Kommunikation, insbesondere weil zu viele Informationen an zu vielen Stellen verstreut seien: Hier komme ein Fax von der Kammer an, dort eine E-Mail vom Verband, und dann habe man auch im Netz noch eine interessante Nachricht gelesen. Dies alles zu bündeln sei schwer, auch das (nach wie vor unabdingbare) persönliche Gespräch in der Apotheke reiche dafür nicht mehr aus. Insofern managen die Nattlers den Informationsfluss in ihren beiden Filialverbünden mittlerweile über eine kostenlos verfügbare Software, die ihnen zu diesem Zweck mit den folgenden Attributen programmiert worden ist:

  • Einfach: Auch z.B. ältere Mitarbeiter sollten damit klarkommen.
  • Sozial: Es sollte keine Chef-, sondern eine Team-App sein, deren Nutzung die Mitarbeiter nicht als zusätzliche Aufgabe sehen. Vielmehr sollten sich alle freiwillig einloggen.
  • Relevant: Jeder sollte nur die Informationen erhalten, die ihn betreffen. Eine PKA müsse z.B. nicht in der AMTS-Gruppe sein.
  • Verbindlich: Es müsse nachvollziehbar sein, ob die Mitarbeiter eine Information erhalten haben oder nicht.
  • Überall: Man müsse die App z.B. auch von zu Hause aus nutzen können.
  • Sicher: Die datenschutzrechtlichen Anforderungen sollten eingehalten werden.
  • Durchsuchbar: Man müsse gezielt nach Informationen suchen können.
  • Organisiert: Man müsse sich gut zurechtfinden. Als hilfreich erweise sich, dass die App eine Art Zwitter aus Facebook und WhatsApp sei: Informationen, die für alle (auch für zukünftige Mitarbeiter) relevant seien, könnten zentral eingestellt werden, so z.B. Antworten auf alle immer wiederkehrenden Fragen zum "Preisanker". Dringende Angelegenheiten hingegen, die gegebenenfalls auch nur wenige Mitarbeiter beträfen, ließen sich über den Chat klären, so z.B. Fragen wie: "Wer kann das Rezept entziffern?" oder "Kannst Du morgen die Schicht mit mir tauschen?"

Wer all das berücksichtigt und vor allem seine Mitarbeiter mitnimmt, ist Gerrit Nattler zufolge gut "gerüstet für externe Veränderungen, wie auch immer die aussehen werden (...). Die Arbeit, die Sie da reinstecken, das alles zu organisieren, die lohnt sich unserer Meinung nach: Die kriegen Sie zehn- und hundertfach wieder ausgezahlt hinterher!"

Dr. Michael Brysch, Apotheker und Diplom-Kaufmann, Chef-Redakteur AWA, E-Mail: mbrysch@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(23):10-10