Wie Sie richtig mit Retaxationen umgehen (Teil 3)

Erfolgreich Einsprüche einlegen


Dr. Dennis Effertz

In diesem dritten Teil unserer kurzen Serie widmen wir uns der Frage, wie Sie praktisch mit gängigen Fallgruppen aus dem "Retax-Alltag" umgehen. Ein Patentrezept dafür gibt es leider nicht. Grundsätzlich gilt aber: Prävention ist oftmals bedeutend leichter als Schadensbegrenzung.

In Vergütungsfragen lässt sich niemals vorhersehen, nach welchen Kriterien eine Krankenkasse prüft, und wie sie mit bestimmten Fallkonstellationen umgeht. Somit können wir hier lediglich systematisch überlegen, wie Sie in bestimmten Konstellationen tendenziell am besten verfahren. Zweifelsfälle müssen Sie direkt mit der entsprechenden Kasse klären – oder notfalls in einem Gerichtsverfahren.

Formale Retaxationen

Die relevante Voraussetzung dafür, dass Sie Ihre Vergütung erhalten, ist die ordnungsgemäße vertrags(zahn)ärztliche Verordnung nach §6 Abs. 1 des Rahmenvertrages (RV) über die Arzneimittelversorgung. Damit eine solche Verordnung gültig ist, sind verschiedene gesetzlich-vertragliche Vorgaben zu beachten – beginnend bei der Verwendung des korrekten Formblattes (Muster 16) bis hin zu den Regelungen der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) und der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV). Diese formalen Vorgaben zielen darauf ab, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung zu gewährleisten – insofern kann man nicht auf sie verzichten.

Hat der Arzt die gesetzlichen Vorgaben für eine Verordnung nicht eingehalten, dürfen Sie sie – unabhängig von der Vergütungsfrage – in der Regel zunächst nicht beliefern. Damit Sie Ihre Patienten trotzdem adäquat versorgen können, sehen die AMVV und der RV aber umfängliche "Heilungsmöglichkeiten" vor, mit denen sich solche Mängel vor der Arzneimittelabgabe beseitigen lassen. So dürfen Sie z.B. Ausstellungsdatum, Darreichungsform oder Gebrauchsanweisung im dringenden Fall auch ohne ärztliche Rücksprache ergänzen (§3 Abs. 6 AMVV).

Unbedeutende Fehler

Weist ein Rezept nicht alle vorgeschriebenen Angaben auf, dürfen die Kassen nach §6 RV dennoch nicht immer retaxieren. Denn wenn auf dem Rezept z.B. die lebenslange Arztnummer (LANR) oder die Betriebsstättennummer (BSNR) fehlt, ist weder die Gesundheit des Patienten noch die Wirtschaftlichkeit gefährdet. Dann liegt ein unbedeutender Fehler und daher kein Retaxationsgrund vor. Flattert Ihnen trotzdem eine Retaxation ins Haus, können Sie diese regelhaft mit Verweis auf §6 Abs. 1b RV abwehren – zumal sich in den regionalen Lieferverträgen zumeist keine diesbezüglich verschärfenden Vorschriften finden.

In §6 Abs. 2 RV finden Sie eine nicht abschließende Liste mit Beispielen für unbedeutende Fehler, auf die sich die Vertragspartner geeinigt haben. Mit Verweis darauf können Sie Retaxationen z.B. dann leicht abwehren, wenn

  • der Arzt eine falsche Abkürzung verwendet oder einen Rechtschreibfehler gemacht hat,
  • seine Telefonnummer fehlt,
  • eine (trotzdem zuordnungsfähige) Kennzeichnung verrutscht ist oder
  • der Zuzahlungsstatus falsch angegeben worden ist.

Dokumentation ist der Schlüssel

§6 Abs. 2c RV listet auf, in welchen Fällen Sie – teils auch ohne Rücksprache mit dem Arzt – Korrekturen an einem Rezept vornehmen dürfen. Ist eine Rücksprache vorgeschrieben, müssen Sie sie auf der Verordnung dokumentieren, damit die Krankenkasse sie bei der Rezeptprüfung berücksichtigen kann. Haben Sie hingegen vergessen, die Rücksprache zu dokumentieren, können Sie als Begründung für einen zielführenden Einspruch einen bloßen Dokumentationsfehler anführen. Denn weder die Sicherheit des Patienten noch die Wirtschaftlichkeit waren ja jemals gefährdet.

Auch wenn Sie die Belieferungsfrist gemäß §6 Abs. 2g (g7) RV nach einer Rücksprache mit dem Arzt überschreiten, aber vergessen haben, die Gründe dafür auf dem Rezept abzuzeichnen, können Sie einen Dokumentationsfehler als Einspruchsgrund ins Feld führen.

Tipp: Wenn Sie einen Dokumentationsfehler anführen, sollten Sie sich die vorangegangene Rücksprache bzw. die generelle Absprache zum Sachverhalt mit dem Arzt zur Sicherheit immer objektivierbar (also schriftlich) von der Praxis bestätigen lassen.

Aber Vorsicht: In der derzeitigen Rechtsprechung zeichnet sich als Trend die Ansicht ab, dass die Krankenkassen nachträgliche Nachweise nicht akzeptieren müssen. Die Begründung: Im Regelfall lasse sich das nicht mit den Anforderungen an die Massenverwaltung vereinbaren. Daher sollten Sie Ihre Dokumentationspflichten bereits vor der Abrechnung sehr ernst nehmen.

Besondere Streitfälle

Für besondere Abgabesituationen existieren teils sehr klare Regelungen. Erhalten Sie beispielsweise eine Nullretaxation, weil Sie Rabattverträge vermeintlich nicht beachtet haben, können Sie sie mit Verweis auf

  • Nichtverfügbarkeit,
  • Akutversorgung oder
  • pharmazeutische Bedenken

abwenden, sofern Sie bei der Abrechnung lediglich das Sonderkennzeichen oder die Dokumentation vergessen haben (§6 Abs. 2g [g3] RV). Sollte gleich beides fehlen, müssen Sie einen objektivierbaren Nachweis für Ihre Begründung einreichen. Dies kann z.B.

  • eine Bestätigung des/der Großhändler/s,
  • eine Lagerliste mit dem Zeitstempel aus dem Notdienst oder
  • eine fachliche Argumentation – bei pharmazeutischen Bedenken – sein.

Ein weiterer Streitfall sind mehrfach ausgestellte Verordnungen: Sofern ein Arzneimittel verlorengegangen oder nicht mehr anwendbar ist, obliegt es dem Arzt zu entscheiden, ob er ein neues Kassenrezept (für das er sich gegebenenfalls rechtfertigen muss) oder eine Privatverordnung ausstellt. Sie selbst sind dann aus dem Schneider.

Anders sieht es aus, wenn die Originalverordnung vermeintlich verlorengegangen ist. Dann stellt sich die Frage, inwieweit Sie nachforschen müssen, ob die Verordnung nicht vielleicht doch bereits eingelöst wurde. Klar ist, dass Sie nicht prüfen können und müssen, ob ein Wettbewerber sie bereits beliefert hat. Wurde die Verordnung allerdings in Ihrer eigenen Apotheke eingelöst, dürfte es auf zeitliche und räumliche Aspekte des Einzelfalls ankommen. Bei einem Einspruch können Sie dann z.B. argumentieren, dass

  • bei Ihnen unterschiedliche Mitarbeiter an unterschiedlichen Tagen bedienen,
  • zwischen den Belieferungen der Verordnungen mehrere Tage lagen,
  • Sie sich beim Patienten darüber rückversichert haben, dass er das Original nicht auch schon eingelöst hat, oder
  • eine Kundenkarte nicht existiert.

Klare Regelungen oder Orientierungen aus der Rechtsprechung existieren hier leider nicht. Fest steht nur, dass es nach §6 Abs. 2g (g1) RV gleichgültig für Sie ist, ob der Arzt die neue Verordnung z.B. mit "Duplikat" gekennzeichnet hat.

Ähnlich wie mit mehrfach ausgestellten Rezepten verhält es sich mit Betäubungsmittelverordnungen, die mit einem Ausnahme-"A" gekennzeichnet werden müssten. Denn primär obliegt es dem Arzt und der Bundesopiumstelle zu kontrollieren, ob die Höchstverschreibungsmenge bzw. die maximale Anzahl an Betäubungsmitteln innerhalb von 30 Tagen überschritten wurde. Ihnen hingegen kann man eine entsprechende Kontrolle allenfalls dann abverlangen, wenn in Ihrer Apotheke mehrere Rezepte innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums (z.B. gleichzeitig) beliefert wurden.

Fazit

Die Praxis zeigt, dass Sie typische Retaxationen immer auch im Hinblick auf die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Abgabe betrachten müssen. Damit bietet sich eine vielversprechende Einspruchsmöglichkeit. Bei unklaren Sachverhalten, die regelmäßig Probleme bereiten, sollten Sie allerdings nicht als Einzelkämpfer in den Ring treten, sondern sich vielmehr Unterstützungbei Ihrem Landesapothekerverband suchen.

Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist (Medizinrecht), GKV-Abrechnungsexperte, 79110 Freiburg/Breisgau, E-Mail: kontakt@dr-effertz.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2019; 44(23):6-6