E-Rezept und Co.

Die Sache mit der Identität


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Es wird ernst in der Apotheke – das elektronische Rezept samt elektronischer Patientenakte kommt mit großen Schritten näher. Dies ist nicht nur eine Zäsur für das Rezepthandling. So richten sich die Befürchtungen darauf, ob ein solches "flüchtiges" E-Rezept im Digital-Dschungel nicht viel leichter in andere Kanäle umgeleitet werden kann. Darüber hinaus halten mit dem E-Rezept auch neue Zugangssperren und Authentifizierungsprozeduren nie gekannten Ausmaßes Einzug in unseren Alltag.

Bisher muss man sich noch recht niedrigschwellig mit Passwörtern herumschlagen. Ärgerlich dabei: Die Vielzahl an verschiedenen Zugängen. Bei jeder Gelegenheitsbestellung oder Internetseite mit Bezahlschranke ertönt der berühmte Zweiklang aus "Benutzername" und "Passwort", neuerdings teils mit einer weiteren Authentifizierung. Um diesen ganzen Wust verwalten zu können, gibt es eigene Passwort-Apps. Wehe aber, wenn dieser "digitale Schlüsselschrank" geknackt wird, womöglich zuerst im Hintergrund und unbemerkt. Dann ist es zum digitalen Identitätsdiebstahl nur noch ein ganz kleiner Schritt.

Insoweit ergibt es Sinn, im Gesundheitswesen eine aufwendigere Prozedur zu etablieren. Doch wird die künftige Kombination aus individuellem elektronischem Heilberufsausweis (eHBA) und Institutions-Steckkarte (SMC-B) – angebunden über eigene "Konnektoren" – den Arbeitsalltag deutlich durcheinanderwirbeln, wenn für jedes Rezept die Karte gesteckt und womöglich noch ein weiterer Autorisierungsschritt (Sie ahnen schon, wieder ein Passwort) nötig wird. Die Ärzte verlangen bereits nach der Möglichkeit einer "Sammelverordnung", da es ihnen zu dumm ist, sich für jedes Rezept eine Freigabe per Passworteingabe holen zu müssen.

Diese Entwicklungen zeigen, wie sehr wir einerseits in der digitalen Steinzeit stehengeblieben sind, andererseits aber im Schweinsgalopp in eine Neuzeit voller Flickwerk und Unzulänglichkeiten getrieben werden. Das ist das Resultat einer Politik der "kleinen Karos", die gern an Detailproblemen ansetzt, ohne zuerst das große Ganze zu skizzieren, um sich dann den Einzelheiten zu widmen. Man könnte auch sagen, die Digitalisierung schreitet voran wie eine verirrte Ameisenkolonie ohne Königin. Alle wuseln unkoordiniert durcheinander und schleppen Beute ebenso wie Baumaterial – nur weiß keiner, wohin.

Letztlich bewegen wir uns nach wie vor in einer kleinteiligen Bastlerwirtschaft – was auch die Zahl der kaum mehr übersehbaren Beteiligten belegt, bis hin zu völlig unbekannten Zwergfirmen und "Dienstleistern" aller Art. Da kann man dann sein Auto demnächst online anmelden (mit etlichen Restriktionen), aber die Meldung bei der Einwohnerbehörde geht nicht. Es ist diese Kleinteiligkeit, die in den Wahnsinn treibt. Versatzstücke, wohin man blickt!

Wie einfach wäre es, wenn es eine zentrale Bürgerakte gäbe, wirklich sicher aufbewahrt, also nicht bei irgendwelchen (gar überseeischen) Privatfirmen!? In der von allgemeinen Personendaten über die Steuerakten und das Führungszeugnis bis hin eben zur Patientenakte alles unter einem Hut versammelt wäre!? Mit abgestuften Berechtigungen und biometrischem Zugang statt heutigem Passwort-Durcheinander!?

Der Autor verhehlt an dieser Stelle nicht eine gewisse Sympathie für Chip-Implantate als äußerst sicheren "Zugangsschlüsseln": Keinerlei Zugang ins Internet ohne eindeutige Identifizierung – was z.B. Hackern ihre Untaten sehr erschweren würde! Implantate der Zukunft könnten dutzende, vielleicht hunderte Parameter erfassen. Visionär gedacht wäre die Erhebung von Bio- und Entzündungsmarkern, Stresshormonen und selbstredend solchen "Trivialitäten" wie Körpertemperatur und Blutzuckerspiegel möglich. Mit der Authentifizierung ließe sich somit ein veritabler Gesundheits- und Stimmungs-Check in Echtzeit durchführen. Zu viel "George Orwell"? Mag sein! Doch die digitale Überwucherung stoppen wir wohl nicht mehr. Aber wir können die sich bietenden Möglichkeiten wenigstens intelligent ausschöpfen – oder uns weiter im Klein-Klein verlieren und uns von denjenigen überholen lassen, die bei aller berechtigten Skepsis die enormen Chancen solcher Ansätze erkennen!?

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(02):19-19