Mitnichten nur in der Medizin

Die neuen Spielarten der Homöopathie


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Den klassischen Globuli und Hochpotenz-Tröpfchen Hahnemannscher Prägung könnte es tatsächlich an den Kragen gehen, stehen sie doch mächtig unter Beschuss. Die Argumente dafür und dagegen füllen Bände. Der Gedankengang – man macht halt irgendetwas nicht allzu Schädliches, ehe man gar nichts tut – breitet sich jedoch immer weiter über alle Handlungsfelder in der Gesellschaft aus. Insoweit feiert die Homoöpathie in modifizierter Form allenthalben fröhliche Urständ. Es ließe sich vielfach auch schlicht Symbolpolitik dazu sagen: Man erwartet viel, scheut jedoch die Nebenwirkungen wirklich potenter Mittel oder Maßnahmen. Also verschreibt man politische Globuli aller Art, gerne in Hoch- oder Höchstpotenz. Vielleicht kommt es ja zur Wunderheilung, oder es besteht zumindest die Chance auf einen kräftigen Placebo-Effekt? Schlimmstenfalls passiert eben – nichts. Für viele Zeitgenossen unserer saturierten Gesellschaften ist dies im Grunde das Wunschergebnis, nämlich dass sich am Ende lieber nichts ändert. Aber man tut so. "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!"

Leider wusste allerdings bereits Albert Einstein: "Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert." Das Verabreichen von Globuli und Liebespillen sowie das zarte Aufstreichen weißer Salbe mildern diese harte Erkenntnis in der Tat eindrucksvoll ab. Also doch eine Wirkung!

Schauen wir uns einmal um, wo die "Homöopathen der Neuzeit" überall Beschäftigung finden. Ein hochmodernes neues Betätigungsfeld ist die "Klima-Homöopathie". Obgleich ja die Sintflut angeblich bevorsteht (das vollständige Abschmelzen des Landeises dauert übrigens selbst im Katastrophenszenario Jahrhunderte!), versucht man, sie mit allerlei ulkigen Maßnahmen und zudem noch global "vorbildhaft" aufzuhalten. Darunter sind dann Vorschläge wie Tempo 130 auf der Autobahn (mit einem Effekt auf den gesamten deutschen CO2-Ausstoß im Promillebereich) oder eben lächerliche CO2-Preise, die zudem erst auf lange Sicht wirken, wenn überhaupt. Anspruch und Realität klaffen meilenweit auseinander. Ein gerne vorgebrachtes Argument der Verzwergungs-Enthusiasten ist jedoch, dass man ja einmal irgendwo anfangen müsse, und selbst kleine Beträge würden sich schließlich summieren. In diesen Kreisen dürfte anderseits auch das Kinderlied populär sein: "Zehn waren eingeladen, zwölf sind gekommen. Gieße Wasser in die Suppe, heiße alle willkommen." Was bei zwölf oder 15 noch angehen mag, wird bei 50 zum echten Problem.

In unseren Städten tobt ein kafkaesker Kampf um das letzte Mikrogramm irgendwelcher Feinstaub- oder Stickoxid-Grenzwerte, was ganze Satire-Sendungen füllt. Vielleicht sollte man es einmal mit "Feinstaub C200" oder "NOx D30" versuchen, gemäß dem Grundsatz "similia similibus curentur". Unsere weltbesorgte Regierung schickt ja auch ein paar Häuflein unserer Pech-und-Pannen-Armee auf vermeintliche Hochwichtigkeits-Missionen in ausgedehnte Krisenherde der Welt und meint tatsächlich, etwas zu bewirken – eben eine Form von "Militär-Homöopathie".

Selbstredend haben sich im Gesundheitswesen neue Spielarten solcher Symbolpolitik ebenfalls sehr weit ausgebreitet. Mit in der Tat homöopathischen Finanzmitteln meint man, einen Pflegenotstand, die ständigen Wellen neuer Therapieverfahren, den Sieg über Krebs und Alzheimer, Millionen neuer Kassenmitglieder aus aller Herren Länder oder auch immer groteskere Bürokratiemonster bewältigen zu können. In geradezu homöopathischen Dosen schreitet jedoch auch die Modernisierung unseres eigenen Berufsstandes und die Anpassung an die zukünftigen Herausforderungen voran. Placebo-Medizin – statt ein tiefer Griff in die Kiste wirksamer Heilmittel – ist bei uns (noch) allenthalben die angesagte Therapierichtlinie.

Homöopathie ist dergestalt neu gewandet hochmodern. Sie wird zudem heute immer mehr von neuzeitlichen Formen eines ehedem mittelalterlichen Ablasshandels begleitet, getarnt in Form von allerlei Abgaben, Gebühren, Steuern, Subventionen etc. Andere nennen so etwas System-Versagen – oder zumindest System-Unvermögen, die wirklichen Zukunftsherausforderungen zu meistern. Der Wohlstand frisst offenkundig seine Kinder.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(05):19-19