Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung (Teil 2)

Warum der Arzt verordnet, was er verordnet


Dr. Dennis Effertz

Vermutlich haben Sie sich bereits oft gefragt, warum Ärzte verordnen, was sie verordnen – oder auch, warum sie etwas eben nicht verordnen. Um das besser zu verstehen, wollen wir uns im Folgenden mit den Prüfgegenständen und -methoden befassen, die für Ärzte relevant sind.

Wer kennt sie nicht, die N1-Packungen, die der Vertretungsarzt verschreibt, während der Hausarzt seinen turnusmäßigen Urlaub zum Quartalsende macht? Und wer kennt nicht die "Beratungsresistenz" der Behandler gegenüber Therapieverbesserungsvorschlägen – trotz gut gemeinter, fachlich versierter und patientenorientierter Empfehlungen? Ursachen dieser und anderer "Phänomene" können die Prüfgegenstände und -methoden sein, die bei Ärzten im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung zum Tragen kommen. Schauen wir uns das Ganze genauer an.

Wie geprüft wird

Wie bereits im AWA 3/2020 erwähnt, legen die Verhandlungspartner, also die Krankenkassenverbände und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), die Prüfinhalte, -umfänge und -methoden selbst fest. Dennoch existieren viele Gemeinsamkeiten zwischen den regionalen Prüfvereinbarungen, die auf übergeordneten Regelungen beruhen, wie z.B.

  • Verordnungsausschlüssen nach §34 Sozialgesetzbuch (SGB) V,
  • der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) oder
  • den Rahmenvorgaben nach §106b Abs. 2 SGB V für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen.

Der "Methodenkoffer" steht im Prinzip bereits fest. Besondere Bedeutung für die Arzneimittelverordnungen haben dabei die sogenannten Auffälligkeitsprüfungen. Hierbei handelt es sich um statistische Methoden, mit denen die Prüfstellen die jährlichen Verordnungsmengen von Ärzten einer facharztspezifischen Vergleichsgruppe systematisch checken. Basis können z.B. Durchschnitts- oder Richtwerte (vormals "Richtgrößen") sein.

Es geht demnach weniger um die Frage, wie der einzelne Arzt verordnet, sondern vielmehr darum, wie die Facharztgruppe im Kollektiv behandelt. Auf diese Weise kann die Versorgungsrealität in Bezug auf den sogenannten Facharztstandard ideal abgebildet werden. Sanktionen drohen regelmäßig erst, wenn laut Ergebnis des individuellen Prüfverfahrens ein Toleranzbereich von circa 25% überschritten wird – begründete "Hochkostenfälle" sind hier bereits ebenso herausgerechnet wie Verschreibungen, die sich als Folge von Arzneimittelrückrufen oder behördlichen Indikationseinschränkungen ergeben haben.

Tipp: Viele KVen stellen ihren Ärzten quartalweise Übersichten zum praxisindividuellen Verordnungsverhalten im Vergleich zur Referenz zur Verfügung (sehr empfehlenswert ist z.B. die "Frühinformation" der KV Baden-Württemberg). Mit diesem "Frühwarnsystem" wollen sie Transparenz und Sicherheit schaffen. Erfahrungsgemäß wissen viele Ärzte jedoch gar nicht, dass diese Übersichten den Honorarbescheiden beiliegen. Fragen Sie Ihre Verordner bei erforderlichen Diskussionen doch einmal danach! Damit signalisieren Sie, dass es Ihnen um gemeinsame Lösungen geht.

Zusätzlich zu den statistischen Auswertungen sehen die Prüfvereinbarungen Stichproben- sowie Einzelprüfungen bei Ärzten vor. Letztere dürfen die Krankenkassen individuell beantragen, sofern sie vermuten, dass die Versorgung im Einzelfall unwirtschaftlich ist. Doch auch hier hat nicht jede unwirtschaftliche Verordnung eine Nachforderung zur Folge, da zumeist Geringfügigkeitsgrenzen vereinbart sind (in der Regel von 50 € je Arzt und Quartal).

Woran sich die Verordner messen lassen müssen

Als Teil der Arzneimittelvereinbarungen nach §84 Abs. 1 SGB V sind auch Zielvereinbarungen gängig. Darin werden keine Ausgabenvolumina für Arznei- und Verbandmittel, sondern Wirtschaftlichkeitsziele festgelegt. Zu unterscheiden ist hier zwischen

  • Höchstquoten, z.B. für Coxibe, die teurer sind als nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR),
  • und Mindestquoten, z.B. zur Förderung von Biosimilars.

Die Ärzte müssen beide Arten von Quoten indikationsabhängig erfüllen. Tun sie das nicht, drohen ihnen dennoch keine unmittelbaren Strafen. Vielmehr analysieren die Verhandlungspartner dann gemeinsam die Ursachen und beschließen gegebenenfalls Maßnahmen. Das ominöse Budget, das gegen Quartalsende aufgebraucht sein soll oder nur die Verordnung kleiner Packungen zulässt (Stichwort: Mehrfachzuzahlung), existiert somit im Ergebnis nicht (mehr). Das gilt übrigens auch für Vertretungsärzte.

Merke: Wer das System und damit den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verstanden hat, weiß, dass Kleinpackungen bei Chronikern ausschließlich dann verordnet werden müssen, wenn aus medizinischen Gründen eine zeitnahe (Wieder-)Vorstellung beim Hausarzt erforderlich ist.

Tipp: Wenn Sie einem Arzt im Rahmen des Medikationsmanagements eine Anpassung vorschlagen wollen (z.B. aufgrund einer Cytochrom-P450 [CYP]-Interaktion), sollten Sie nicht nur auf die Arzneimittellistenpreise achten, sondern zusätzlich in die Arzneimittelvereinbarungen Ihrer Region schauen. Idealerweise finden Sie so eine Lösung, die die Arzneimitteltherapie verbessert, wirtschaftlicher ist und den Arzt dabei unterstützt, seine Zielvereinbarung zu erfüllen. Sofern Sie Ihren Vorschlag entsprechend erklären, dürften Sie wohl kaum auf taube Ohren stoßen, sondern vielmehr als kompetenter Partner in Sachen Arzneimitteltherapie wahrgenommen werden.

Was noch geprüft wird

Die Prüfstellen und Krankenkassen prüfen insbesondere auf der Grundlage von Gegenstandskatalogen. Kritisch wird es demzufolge etwa, wenn Ärzte das Aut-idem-Kreuz verhältnismäßig oft setzen oder u.a. Folgendes verordnen:

  • Over-the-Counter (OTC)-Arzneimittel außerhalb der zulässigen Indikationen nach Anlage I der AM-RL,
  • verschreibungspflichtige Arzneimittel, obwohl eine OTC-Variante verfügbar wäre,
  • fiktiv zugelassene Arzneimittel,
  • Lifestyle-Medikamente nach Anlage II der AM-RL,
  • Arzneimittel, für die Verordnungsausschlüsse und -einschränkungen nach Anlage III der AM-RL bestehen, oder
  • Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation (Off-Label-Verschreibung) ohne vorherige Genehmigung.

Sie kennen die entsprechenden Präparate in der Regel, da in Ihrem Kassensystem – je nach Einstellung – Warnhinweise aufleuchten, sobald Sie sie abgeben wollen. Diese Warnhinweise richten sich zwar streng genommen zunächst an den Arzt, es gibt jedoch gute Gründe, sie genau zu betrachten. Der wichtigste: Durch Ihre Arzneilieferverträge können Sie verpflichtet sein zu prüfen, ob Sie die entsprechenden Arzneimittel zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgeben dürfen. Bei Lifestyle-Arzneimitteln z.B. dürfen Sie das regelhaft nicht.

Geben Sie das Präparat dennoch auf Rezept ab, flattert Ihnen in der Regel eine Retaxation ins Haus. Und weil Sie damit dann quasi den "Schaden" begleichen, wird die Krankenkasse keine Nachforderung mehr an den Arzt stellen – abermals eine Regelung, die Ihnen vermutlich "unfair" erscheinen wird. Denn eine Sanktionierung nach dem "Verursacher-Prinzip" sieht anders aus. Begründet ist diese Vorgehensweise lediglich darin, dass zum einen die Wirtschaftlichkeitsprüfung bei den Ärzten erst beginnt, wenn die Taxfristen für die Apotheken bereits abgelaufen sind, und dass zum anderen die entsprechende Prüfpflicht eben in Ihrem Arzneiliefervertrag steht.

Fazit

Das Verordnungsverhalten der Ärzte wird maßgeblich davon bestimmt, wie die Wirtschaftlichkeitsprüfung auf regionaler Ebene konkret ausgestaltet ist. Allerdings ist das Wissen der Ärzte hierzu oftmals veraltet. Mögliche Folgen: Für Patienten entstehen Mehrbelastungen, und Optimierungspotenziale in der Arzneimitteltherapie gehen verloren. Abhilfe lässt sich dadurch schaffen, dass sich alle Beteiligten mit den jeweiligen Arzneimittelvereinbarungen auseinandersetzen.

Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist (Medizinrecht), Experte für Apotheken- und Sozialrecht, 79110 Freiburg/Breisgau, E-Mail: kontakt@dr-effertz.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(05):12-12