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Crashgefahr!?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Da kommt ein kleines Viruspartikel um die Ecke, und schon sind die Prognosen für den Jahresverlauf Makulatur. Es drohen gar massive Verwerfungen. Wer hätte das vor einigen Wochen auf dem Schirm gehabt? Das Phänomen des "schwarzen Schwans" gibt wieder eine Lehrstunde.

Wie hoch ist überhaupt das Risiko, dass Apotheken mit dem Coronavirus in Kontakt kommen? Das lässt sich modellhaft anhand der Kundenfrequenzen und Ausbreitungsdaten ganz grob abschätzen. Unsicherheiten hinsichtlich der tatsächlichen Infektionsrate bestehen aufgrund einer vielfachen Zahl an symptomarmen, milden Fällen, die aber selbst ansteckend sind. Manche Infektiologen gehen davon aus, dass der überwiegende Bevölkerungsanteil mittelfristig Kontakt mit SARS-CoV-2 haben wird.

Noch spielt sich das Geschehen in "Hot Spots" ab. Je nach Zahl der Infizierten samt hoher Dunkelziffer (geschätzt Faktor zehn oder gar mehr?) und den Kundenfrequenzen ist der eine oder andere einzelne Kontakt zu einem infizierten Kunden denkbar, hier je Woche ausgedrückt. Die Werte in Tabelle 1 überschätzen das Risiko ("Kontaktrate") im Moment noch eher. Man sollte es aber nicht ganz beiseite wischen und Vorsicht walten lassen, denn einzelne Fälle könnten durchaus auflaufen. Die Dynamik des Geschehens bleibt schlicht abzuwarten.

Harte Konsequenzen möglich

Trifft Sie in der Apotheke ein Verdachtsfall – es reicht ein infizierter Kunde, der sich bis zu Ihnen zurückverfolgen lässt –, stehen gravierende Maßnahmen an, bis hin zur Apothekenschließung (u.a. weil Ihr Team in Verdachts-Quarantäne muss). Und dann? Können Sie das organisatorisch und betriebswirtschaftlich schultern? Reichen Ihre Liquiditätsreserven? Zahlt die Betriebsunterbrechungs-Versicherung (nachfragen!) – oder wer sonst (siehe auch Artikel "Was Apothekenleiter jetzt beachten müssen")? Setzen Sie sich mit diesem Szenario auseinander! Weitere Szenarien betreffen Beeinträchtigungen der Infrastruktur in Ihrem Umfeld. Denken Sie schlüssig in "Was, wenn – Dann"-Ketten!

Der Praxisalltag wird heute bereits von gefährlichen Lieferengpässen bestimmt. Desinfektionsmittel, Rezepturalkohol und Atemmasken sind kaum mehr zu bekommen. Hinsichtlich Grundstoffen wie Alkoholen lohnt eine breite Bezugsquellenrecherche abseits klassischer Apothekenlieferanten, und manche krankenhausbeliefernde Apotheke sollte ebenfalls andere Bezugsquellen haben (Kollegen kontaktieren!).

Wenn Sie ausverkauft sind, dann hängen Sie das groß und deutlich außen aus. So vermeiden Sie unnötige Kontakte und Nachfragen, aber auch Ärger. Sie können dort auch kommunizieren, dass es (absehbar noch) keine spezifischen Heilmittel oder Impfungen gibt. Präsentieren Sie in Ihrem Schaufenster seriöse Informationen – besser können Sie es zurzeit nicht nutzen.

Für Ihre Kunden können Sie über eine standardmäßige, kontaktlose Fiebermessung nachdenken. Weiterhin besonders gefordert sind in solchen Zeiten kommunikative Fähigkeiten. Arbeiten Sie an einem einheitlichen "Wording" im Team, um weitere Beunruhigung bei den Kunden zu vermeiden und um ein einheitliches, kompetentes Bild nach außen abzugeben. Seien Sie zudem auf renitente, panische Kunden gefasst, falls die allgemeine Lage eskaliert. Schlimmstenfalls gibt es nur noch "Klappendienst".

Seien Sie jetzt besonders achtsam, wenn es darum geht, Ihr Personal zu schützen! Es gibt ja nicht nur die Corona-Infektion. Sollen Ihre Mitarbeiter tatsächlich die Helden spielen, krank und verschnupft erscheinen, andere dabei anstecken und nebenbei die Anfälligkeit und Leistungsfähigkeit des Teams insgesamt beeinträchtigen? Überlegen Sie sich das in Ruhe mit Ihren Leuten, und legen Sie entsprechende Kriterien fest.

Kapitalmärkte

Die Börsen haben bereits empfindlich auf die drohenden wirtschaftlichen Verwerfungen reagiert – allerdings auch von Rekord-Bewertungsniveaus ausgehend: "Die Börsenkurse klettern die Treppe herauf und kommen mit dem Aufzug wieder herunter". Grundsätzlich gilt aber auch: Krisenzeiten sind Kaufzeiten! Nur darf man nicht zu früh einsteigen ("Greife nie in ein fallendes Messer!") oder dann gar die teils propagierte Strategie des beständigen "Verbilligens" verfolgen (d.h. bei fallenden Kursen immer weiter nachkaufen).

Nein, es gilt den "Bodensatz" bzw. die Talsohle abzuwarten – und bis die erreicht ist, kann es dauern. Die wirklichen Auswirkungen auf die Bilanzen werden je nach Verlauf der Krise noch für manch negative Überraschung sorgen, zu stark sind die Wertschöpfungsketten der Welt betroffen, Exporte brechen weg. Zudem sollte sich das Konsumklima weltweit empfindlich abkühlen. Somit können die Kurse noch kräftig fallen, es wäre kein Wunder, wenn um weitere 20% oder mehr. Der deutsche DAX-Standardwerte-Index stand 2012 bei rund 6.000, 2016 bei rund 10.000 Punkten – und ist im Februar auf ein Rekordhoch nahe an die 14.000 Punkte gestiegen. Solche historischen Einordnungen sollte man nicht vergessen.

An der Börse wird eben nicht geklingelt, weder vor einem Absturz noch vor einem Wiederaufstieg. Börsen handeln die Zukunft. Klärt sich die Lage, wird der "turnaround" schnell und kräftig erfolgen. Nicht zuletzt dürfte sich viel wirtschaftliches Aufholpotenzial angestaut haben. Die Bodenbildung und die ersten klaren Wiederaufstiegssignale gilt es aber abzuwarten, selbst wenn man dann die Tiefstkurse nicht erwischt (was fast nie gelingt).

Brauchbare globale Indikatoren für die Verfassung der Weltwirtschaft sind diverse Rohstoffpreise: "Dr. Copper" (also der Kupferpreis), die Preise von anderen breit verwendeten Industriemetallen wie Nickel oder Aluminium, nicht zu vergessen die Energiepreise (Öl, Gas) und als Indikator für die Welthandelsaktivitäten der Baltic Dry Index (ein bedeutender Preisindex für die Weltschifffahrt).

Drehen diese Preise bzw. Indikatoren mehrheitlich ins Plus, sieht es nach Gesundung der Weltwirtschaft aus. Da das Coronavirus jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bevölkerung in zwei oder mehr Wellen durchziehen wird, kann man sich schon einmal "Corona II" im (Finanz-)Kalender für den nächsten Winter vormerken.

Politik

Ohne Zweifel verschieben sich nun Prioritäten. Das berufspolitische "Klein-Klein" der Apothekerschaft dürfte sicher nicht mehr obenan stehen, und die "Digitalisierung" (E-Rezept und Co.) könnte sich eher weiter verzögern. Gleichzeitig bilden solche Krisen enorme Chancen für die Vor-Ort-Apotheken, sich als zuverlässige Stützpfeiler des Gesundheitswesens zu profilieren. Sie sollten sie nutzen!

Weitere Informationen

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(06):4-4