Außer Rand und Band

Im Survival-Mode


Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Jetzt geht es rund", sprach der kleine Spatz und flog in den Ventilator. So müssen sich die meisten in diesen Tagen fühlen. Einerseits erzwungener Shutdown, andererseits tobt der Dauer-Krisenmodus "an der Front". Hier einige Einschätzungen und erste Analysen.

Angesichts der irren Dynamik des Geschehens ist vieles bereits am nächsten Tag überholt. Heute können Sie z.B. davon ausgehen, dass Sie sicher im Laufe weniger Tage auf infizierte Kunden treffen. Die meisten wissen das nicht einmal – und werden es nie erfahren, wenn schwerere Symptome ausbleiben. Plexiglasverkleidungen der Verkaufstische sowie Alkohole sind die gefragtesten Artikel.

Daher kommen wir, bevor wir über Geld reden, zu einer der momentan wichtigsten "Survival-Kurven": Die jeweils auf die positiv Getesteten bezogene Letalität bzw. Rate der Krankenhauseinweisungen (Abbildung 1; Achtung: die Werte unterliegen noch stetem Wandel).

Alle internationalen Daten zeigen, dass die Gefährdung mit steigendem Alter extrem zunimmt. Dies gilt für schwere Krankheitsverläufe und noch mehr für Todesfälle. Bis zum Alter von etwa 40 Jahren bewegt sich die Letalität im (sehr) niedrigen Promillebereich. Risikofaktoren wie Diabetes, bedeutsame Herz-Kreislauf-Einschränkungen oder Multimorbidität vervielfachen das Risiko.

Sie sollten dies im Hinterkopf behalten – im Umgang mit den Kunden und bei Ihrer Teamplanung. Hart formuliert: Die Jungen und Kräftigen sollten bevorzugt "nach vorne" – und werden sich hoffentlich rasch immunisieren, Ältere und Gefährdete müssen geschützt werden. Da reichen eine Plexiglasscheibe und ein Mundschutz gegebenenfalls nicht mehr. Demzufolge laufen standespolitisch bereits Initiativen an, Studierende (die derzeit vor verschlossenen Hörsälen stehen) u.a. in den Apotheken einzusetzen.

Die Immunisierung ist übrigens wohl die wirkmächtigste Option, die uns dauerhaft weiterbringen wird – idealerweise per Impfstoff. Aber wird die Zeit reichen? Alles andere wird in womöglich apokalyptische Abgründe führen, wenn in einigen Monaten die zweite Welle anrollt. Vielleicht überschätzen wir aber heute das statistische Schadensrisiko (vgl. den Beitrag "Potenziert in den Abgrund"), was noch mehr für ein schnelles Immunisierungskonzept spricht. Beim derzeitigen Verbreitungsgrad wird Corona nicht einfach verschwinden, egal wie wir uns abschotten.

Apothekensterben befürchtet

Anfangs gehörten Apotheken zu den Krisen-Gewinnern, wenngleich viel Nachfrage gar nicht befriedigt werden konnte. Im Zuge des Shutdown und der um sich greifenden Ausgangsbeschränkungen bricht dieser Kundenansturm jedoch an vielen Standorten jäh zusammen.

Da halten sich in der Krise die wohnortnahen, meist kleineren Apotheken am wackersten. Hier reagiert die Kundschaft berechenbarer und ist persönlich erreichbar, während die bislang bevorteilten Frequenz- und Lauflagen-Apotheken extrem hohe Einbußen infolge von Ladenschließungen sowie von ausgestorbenen Innenstädten und Verkehrsknotenpunkten zu befürchten haben.

Dies könnte sich hinziehen. Möglicherweise wird auch der alte Stand nie mehr erreicht, da sich jetzt viel in den Online-Handel verlagert und ein Ladensterben einsetzt. Viele Kunden werden feststellen, dass es auch mit weniger geht, und krisenbedingt den Gürtel enger schnallen. Zwar gehören Medikamente zum notwendigen Bedarf, doch wird man sich wundern, wie viele Präparate doch entbehrlich sind, ganz zu schweigen von den Frei- und Sichtwahlartikeln. Dieser Umsatz ist dann schlicht weg.

Liquidität gefährdet?

Alles steht und fällt mit der Dauer der Einschränkungen vor allem in der Einzelhandelslandschaft. Tabelle 1 zeigt modellhaft eine Hauptapotheke mit 3 Mio. € Jahresumsatz sowie einer 2-Mio.-€-Filiale mit üblichen Kennwerten. Die Rechnung geht auf Monatsbasis bis zum hier relevanten gewöhnlichen Cashflow (=Rohertrag minus alle in Geld anfallenden Kosten vor Steuern, ohne Außergewöhnliches wie [Des-]Investitionen). Weiterhin werden beispielhafte Kosten für Lebenshaltung, soziale Sicherung und gegebenenfalls Tilgungen angesetzt.

Es verbleibt die echte, kontowirksame Liquidität (jeweils noch vor etwaigen Steuerzahlungen, die sich gegebenenfalls bis auf Null reduzieren). Wir berechnen hier einige teils dramatische prozentuale Umsatz- und Ertragsrückgänge. Ein Minus von 25% und mehr treibt Sie sofort ins heftige Minus, falls die Kosten weiterlaufen. Gerade eine renditearme Filiale kann sich da als massiver Klotz am Bein entpuppen. Eine nur 2- oder 3%ige Rendite ist eben viel schneller aufgezehrt als eine 7- oder 8%ige. Durch das Herunterfahren von Warenlagerbeständen lässt sich Liquidität generieren. Das ist aber unter Bevorratungsaspekten gerade in der Krise hochriskant.

Was können Sie jetzt tun?

  • Denken Sie über Ihre Öffnungszeiten nach. Sind daneben einige Ihrer Mitarbeiter völlig ausgebrannt? Bei kürzeren Öffnungszeiten können selektive Krankschreibungen eine Möglichkeit sein, um gefährdete (ältere und/oder chronisch kranke) Teammitglieder auch aus der virologischen "Schusslinie" zu nehmen.
  • Nachdem erst einmal Überstunden abgebaut wurden, winkt Kurzarbeitergeld. Dieses ist jetzt bereits möglich, wenn mindestens 10% der Mitarbeiter betroffen sind. Alles Wichtige gibt es im Internet (Ansprechpartner: örtliche Arbeitsagentur!).
  • Eine Internetsuche nach "Liquiditätshilfe" im jeweiligen Bundesland fördert die aktuellen, eilig gestrickten Hilfsprogramme zu Tage.
  • Strecken Sie gegebenenfalls Ihre Tilgungen (angesichts der minimalen Zinsen kein größeres wirtschaftliches Problem), und reduzieren Sie zeitnah Ihre Steuervorauszahlungen durch Antrag beim Finanzamt.

Stärken Sie jetzt vor allem Ihre Logistik, namentlich Ihre Lieferaktivitäten. Retten Sie so möglichst viel Umsatz ins Bestellgeschäft, und achten Sie darauf, dass die Bindung zu Ihren verängstigten Kunden erhalten bleibt. Sorgen Sie schnellstens dafür, dass Sie auf allen "Fernkanälen" erreichbar sind – und dann zeitnah liefern können!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beneide Sie nicht in diesen Tagen! Schauen wir, dass wir alle diese verrückten Zeiten meistern – mit Klugheit und Umsicht!

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(07):4-4